Sonntag, 30. September 2018

Forbearance – Klassifizierung

Frühzeitiges Erkennen finanzieller Schwierigkeiten

Markus Lechner, Prozessmanagement, Kreditwesen, BMW Bank GmbH

Das durch die Finanz- und Staatsschuldenkrise ausgelöste rezessive Wirtschaftsumfeld und die hierdurch verschlechterte Aktivaqualität in den Bankbilanzen führte bei der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) zur Besorgnis, insbesondere in Bezug auf das unklare Ausmaß der von Banken angewandten Forbearance-Maßnahmen. Zwar sind diese gewöhnliche Bankpraxis, die es Banken ermöglicht ihre Risikoprofile, insbesondere in wirtschaftlichen Abschwüngen, anzupassen. Jedoch kann Forbearance in der Praxis zu einer Verschleppung von Verlusten und der Risikovorsorgebildung führen und eine verschlechterte Kreditqualität verschleiern. Auch aufgrund der Lücke an vergleichbaren und fundierten Daten über Forbearance-Maßnahmen, die klaren nationalen und europäischen aufsichtlichen Bewertungen und Maßnahmen in Bezug auf Probleme der Aktivaqualität entgegenwirken, hat die EBA die Meldeanforderungen zu Forbearance entwickelt.

BUCHTIPP

Heibel (Hrsg.), Kreditwürdigkeitsprüfung im Privatkunden- und Baufinanzierungsgeschäft, 2017.


Seit Juni 2017 unterliegen auch HGB-Gruppen und HGB-Einzelinstitute der FinRep-Meldepflicht (Financial Reporting). Zwar hängen Meldeumfang und -komplexität von der Institutsgröße ab. Die Anforderung zur Meldung von performing und non-performing exposures (NPEs) und forborne exposures (FBEs) bzw. forborne loans (FBLs) sind jedoch selbst im geringsten FinRep-Meldeumfang (Data Points) enthalten, so dass hiervon alle Institute betroffen sind.

Zusätzlich sind FBLs erstmalig per Stichtag 30.09.2018 im Rahmen AnaCredit an die Aufsichtsbehörden auf Einzelkreditebene mittels des Meldeattributs „Stundungs- und Neuverhandlungsstatus“ („Status of forbearance and renegotiation“) zu berichten. Vom Status Forbearance ist somit der Status Neuverhandlung zu unterscheiden.

Klassifizierung Forbearance

Aufgrund der sehr generalistisch gehaltenen Definitionen der Aufsichtsbehörden sind in der Praxis Unklarheiten bei der Einstufung von Krediten als forborne (gestundet) die Folge.

Grundsätzlich stellen Forbearance-Maßnahmen Zugeständnisse an einen Schuldner dar, der Schwierigkeiten hat, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen oder kurz vor solchen Schwierigkeiten steht (finanzielle Schwierigkeiten). Dabei ist unter einem Zugeständnis eine der folgenden Maßnahmen zu verstehen:

a) eine Änderung der ursprünglichen Vertragsbedingungen, die der Schuldner aufgrund seiner finanziellen Schwierigkeiten (unzureichende Schuldendienstfähigkeit) nicht erfüllen kann, die dem Schuldner ohne seine finanziellen Schwierigkeiten aber nicht gewährt worden wäre;

b) eine völlige oder teilweise Umschuldung eines Problemvertrags, die dem Schuldner ohne seine finanziellen Schwierigkeiten nicht zugebilligt worden wäre.

Die EBA konkretisiert im Rahmen des Single Rulebook Q&A, dass für die Identifizierung eines Zugeständnisses die Modifikation der ursprünglichen Vertragsbedingungen an die finanziellen Schwierigkeiten des Schuldners geknüpft sein soll, und diese die Erzielung einer ausreichenden Kapitaldienstfähigkeit bezweckt. Zudem sollte für die Forbearance-Klassifikation eher der Sinn bzw. Inhalt der Vereinbarung berücksichtigt werden, als die formelle Änderung der vertraglichen Bedingungen. Das bedeutet, dass die Vereinbarung eines Kreditgebers, den Zahlungszeitpunkt über das ursprünglich vertraglich vereinbarte Fälligkeitsdatum hinaus zu verlängern, eine Modifikation darstellt, selbst wenn der Vertrag formell nicht geändert wurde.

Weitere Anhaltspunkte zur Forbearance-Einstufung bietet der „Leitfaden für Banken zu notleidenden Krediten“ (Europäische Zentralbank – Bankenaufsicht, März 2017), der u. a. eine nicht abschließende Liste der gängigsten Forbearance-Maßnahmen (z. B. Laufzeitverlängerungen, Zinssenkungen, neue Kreditlinien) beinhaltet.

SEMINARTIPPS

Forbearance Maßnahmen in der Kreditpraxis, 19.02.2019, Frankfurt/M.

Prüfung neue Forbearance-Prozesse & Engagement-Maßnahmen, 08.04.2019, Frankfurt/M.

Kreditrisiko-Steuerung nach neuem Risikotragfähigkeit(RTF)-Leitfaden, 09.04.2019, Frankfurt/M.

Prüfung §18/18a KWG-Prozesse: Neue (BauFi)Kreditwürdigkeitsanalyse, 20.05.2019, Frankfurt/M.

Forbearance liegt nur dann vor, wenn sich der Schuldner in finanziellen Schwierigkeiten befindet bzw. diese bereits absehbar sind. Die Situation, dass der Schuldner seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen kann, sollte bankintern konkretisiert werden.

Bei der Festlegung kann an den Ausfall- bzw. Nichtausfallratingklassen angeknüpft werden. So gelten vertragliche Änderungen im Zusammenhang mit notleidenden (non-performing bzw. ausgefallenen) Verträgen als Forbearance-Maßnahmen (Durchführungsverordnung (EU) 2015/1278 vom 09.07.2015, S. 252, 172. a)). Da FBEs in die Kategorien „non-performing“ oder „performing“ eingestuft werden, können finanzielle Schwierigkeiten bereits in einer Nichtausfallklasse vorliegen. Hinweise auf finanzielle Schwierigkeiten können beispielsweise Rücklastschriften, eine nicht gegebene oder negative Kapitaldienstfähigkeit oder Überfälligkeiten (von z. B. mehr als 30 Tagen. Vgl. Definition der „widerlegbaren Vermutung, dass eine Stundung stattgefunden hat” in Durchführungsverordnung (EU) 2015/1278 vom 09.07.2015, S. 253, 174.) sein.

Die Forbearance-Einstufung erfolgt grundsätzlich auf der Ebene einer einzelnen Risikoposition (Kredits), für die eine Modifikation der Vertragsbedingungen bzw. Umschuldung aufgrund finanzieller Schwierigkeiten des Schuldners durchgeführt wurde. Das bedeutet, nur diejenigen Risikopositionen, bei denen Forbearance-Maßnahmen zur Anwendung gelangt sind, sind als FBEs einzustufen und zu melden. Im Falle einer Restrukturierung bzw. Sanierung eines Kreditnehmers können jedoch Forbearance-Maßnahmen auf das Gesamtengagement eines Kreditnehmers abzielen, wodurch eine gesamthafte Kennzeichnung der Kredite als forborne nötig wäre.

Der im Rahmen AnaCredit zu meldende Kreditstatus „Neuverhandeltes Instrument ohne Forbearance-Maßnahme“ lässt sich von Forbearance durch das Nichtvorliegen finanzieller Schwierigkeiten abgrenzen.

Fazit und Ausblick

Die Beschäftigung mit den Forbearance-Meldeanforderungen hat gezeigt, dass die bisherigen sehr allgemeinen Regularien Raum für Interpretation lassen. Es ist davon auszugehen, dass künftige Prüfungen dieser Thematik in Kreditinstituten sowie weitere aufsichtliche Publikationen hierzu weitere Konkretisierungen liefern werden.

PRAXISTIPPS

  • Forbearance ist vom Status Neuverhandlung zu unterscheiden (AnaCredit).
  • Forbearance ist immer an das Vorhandensein bzw. Bevorstehen finanzieller Schwierigkeiten des Schuldners geknüpft und zielt auf die Ermöglichung einer ausreichenden Kapitaldienstfähigkeit ab.
  • Gemäß EBA ist für das Vorliegen von Forbearance nicht zwingend die formale Änderung der ursprünglichen Vertragsbedingungen Voraussetzung, sondern vielmehr der Inhalt der Vereinbarung mit dem Kreditnehmer relevant.
  • Hilfreiche Publikationen: EBA FINAL draft Implementing Technical Standards on Supervisory reporting on forbearance and non-performing exposures under article 99(4) of Regulation (EU) 575/2013 (European Banking Authority); Leitfaden für Banken zu notleidenden Krediten (Europäische Zentralbank – Bankenaufsicht, März 2017); Guidelines Prudential treatment of problem assets – definitions of non-performing exposures and forbearance (Basel Committee on Banking Supervision, April 2017)


Beitragsnummer: 916

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