Donnerstag, 18. Juni 2020

Musterverfahrensurteil über Zinsberechnungen bei Prämiensparverträgen

Sabine Kröger, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und Handels- und Gesellschaftsrecht, SKW Schwarz Rechtsanwälte, München 

 

Mit Urteil vom 22.04.2020, Az.: 5 MK 1/19, hat das OLG Dresden – unter Zulassung der Revision zum BGH – in einem Musterfeststellungsverfahren der Verbraucherzentrale Sachsen e.V. gegen die Stadt- und Kreissparkasse Leipzig zu Zinsanpassungsklauseln im Hinblick auf die Feststellung der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Zinsberechnung in langfristigen Sparverträgen "S-Prämiensparen flexibel" teilweise verbraucherfreundlich entschieden. Wesentliche Fragen sind aber nach wie vor offen:

 

Das OLG Dresden stellt fest, dass die beklagte Sparkasse mit ihren Kunden bei Abschluss der Sparverträge keine wirksamen Zinsanpassungsregelungen für den variablen Zinssatz formularmäßig vertraglich vereinbart habe, insbesondere nicht durch die Formulierung: „Die Spareinlage wird variabel, z. Zt. mit … % verzinst“. Das dem AGB-Recht unterliegende einseitige Leistungsbestimmungsrecht der Sparkasse über die Höhe des vereinbarten variablen Zinssatzes sei wegen Verstoßes gegen § 308 Nr. 4 BGB uniwirksam, da dieses auch unter Berücksichtigung der Interessen der Sparkasse für die Kunden nicht zumutbar sei. Die nicht näher eingegrenzte Befugnis, dem Sparer jeweils einen durch einen Aushang bekannt gemachten Zinssatz einseitig zu benennen, weise nicht das erforderliche Mindestmaß an Kalkulierbarkeit auf. Die Zinsänderungen seien in sachlicher und zeitlicher Hinsicht für den Sparer nicht mit der gebotenen Sicherheit zu kontrollieren.

 

SEMINARTIPPS

Praxisprobleme in Kontoführung & Zahlungsverkehr, 29.10.2020, Würzburg.

(Un)Zulässige Bankentgelte, 24.11.2020, Frankfurt/M.

 

Da die jeweilige Zinsänderungsklausel unwirksam ist und dispositives Recht insoweit fehlt, sei – so das OLG Dresden weiter – diese Lücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) zu schließen. Im Rechtsstreit sei diese Bestimmung durch das Gericht vorzunehmen und daran zu orientieren, welche Regelungen die Parteien in Kenntnis der Unwirksamkeit der vereinbarten Zinsanpassungsklausel nach dem Vertragszweck in angemessener Abwägung der beiderseitigen Interessen als redliche Vertragspartner nach Treu und Glauben getroffen hätten. Dabei seien sämtliche zum Vertragsschluss führenden Aspekte einzubeziehen. Dies könne nicht im Zuge einer Musterfeststellungsklage generalisierend für alle Verträge gleichermaßen festgestellt werden, weil die Umstände, die zu dem Vertragsschluss geführt haben, auch bei Musterverträgen einen, schriftlich oder mündlich von den Parteien vereinbarten, individuellen Einschlag haben können.

 

Weiter stellt das OLG Dresden fest, dass die Sparkasse verpflichtet sei, die Zinsanpassung auf der Grundlage eines angemessenen in öffentlich zugänglichen Medien abgebildeten Referenzzinssatzes, der dem konkreten Geschäft möglichst nahe kommt, vorzunehmen. Der ausgewählte Referenzzinssatz müsse von einer unabhängigen Stelle nach einem zuvor festgelegten Verfahren ermittelt werden; er dürfe keine Vertragsseite einseitig begünstigen und müsse auf die Laufzeit der Geldanlage abgestimmt sein. Die streitgegenständlichen Sparverträge seien dabei auf eine lange Laufzeit ausgerichtet. Der von der klagenden Verbraucherzentrale benannte monatlich angepasste Zinssatz der Deutschen Bundesbank mit der Bezeichnung „WX4260“, der auf der Umlaufrendite inländischer Inhaberschuldverschreibungen/Hypothekenpfandbriefe inländischer Emittenten mit einer mittleren Restlaufzeit von über neun bis einschließlich zehn Jahren beruhe, entspreche grundsätzlich diesen Anforderungen. Allerdings könne im Rahmen einer Musterfeststellungsklage nicht generalisierend für alle Verträge gleichermaßen festgestellt werden, dass die jeweiligen Parteien bei Abschluss der Sparverträge diesen Zinssatz vereinbart hätte, wenn sie diesen Punkt als regelungsbedürftig bedacht hätten.

 



Zudem stellt das OLG Dresden fest, dass die Sparkasse verpflichtet sei, aufgrund des ermittelten Referenzzinssatzes, die Zinsanpassung in den Sparverträgen monatlich vorzunehmen. Eine Bestimmung des Anpassungsintervalls im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung setze voraus, dass für etwaige Zinserhöhungen und Zinssenkungen die gleichen Parameter verwandt werden. Verständige Parteien, die eine indexanhängige Zinsanpassung begehren, würden jeweils einen Anpassungszeitraum wählen, der ihnen eine möglichst genaue Anpassung ohne zeitliche Verzögerung ermöglicht. Die Parteien hätten dabei das Modell mit der größten Genauigkeit gewählt, das noch im Verwaltungsaufwand beherrschbar sei, so dass eine monatliche Anpassung geboten sei. Zwar könne im Rahmen eines Musterfeststellungsverfahrens nicht die konkrete Zinsberechnungsmethode festgestellt werden, da dies Teil der ergänzenden Vertragsauslegung sei. Diese dürfe sich wiederum im Einzelfall nicht allein auf die Formulare der jeweils geschlossenen Sparverträge beziehen, sondern müsse auch etwaige in Einzelfällen getroffene Zusatzvereinbarungen der Parteien berücksichtigen. Im Regelfall sei die Zinsanpassung jedoch relativ zum Referenzzinssatz vorzunehmen (und nicht absolut), was dazu führe, dass der anfängliche relative Abstand zwischen dem Vertrags- und dem Referenzzins über die gesamte Vertragslaufzeit beizubehalten sei. 

 

Das OLG Dresden stellt auch fest, dass der vertragliche Anspruch von Kunden auf Zinsen zusammen mit dem Anspruch auf das Sparvertragsguthaben frühestens ab dem Zeitpunkt der wirksamen Beendigung des Sparvertrages fällig wird. Die Regelverjährung von drei Jahren beginne mit dem Zeitpunkt, zu dem die Zinsleistung zu bewirken war, was erst der Zeitpunkt ist, zu dem die Berechnungsparameter feststehen und zu dem die Zinsen vertragsgerecht zu leisten waren.

 

Dagegen könne im Rahmen einer Musterfeststellungsklage nicht festgestellt werden, dass allein die widerspruchslose Zinsgutschrift im Sparbuch nicht dazu führe, dass das Umstandsmoment für die Verwirkung gegeben ist. Denn das Vorliegen des Umstandsmoments könne nicht generell betrachtet werden. Die Hinnahme einer Zinsgutschrift sei in den Gesamtkontext der für und gegen das Vorliegen eines Umstandsmoments sprechenden Tatsachen zu stellen, ohne dass ihr eine absolute Bedeutung zukommen könne.

 

PRAXISTIPPS

 

  • Das OLG Dresden liegt mit seiner Entscheidung zunächst auf der Linie der bisherigen BGH-Rechtsprechung, nach der die in den 1990er Jahren von Sparkassen in AGB genutzten Zinsanpassungsklauseln nicht ausreichend transparent und damit unwirksam sind und die dadurch entstehende Vertragslücke durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließen ist, wobei für die Zinsanpassung ein angemessener Referenzzins sowie die Anpassungsschwelle und der Anpassungszeitraum zu bestimmen ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 17.02.2004, Az.: XI ZR 140/03; BGH, Urteil vom 10.06.2008, Az.: XI ZR 211/07; BGH, Urteil vom 13.04.2010, Az.: XI ZR 197/09; BGH, Urteil vom 14.03.2017, Az.: XI ZR 508/15). Insoweit war die Entscheidung zu erwarten.

 

  • Weiterhin ungeklärt bleibt allerdings auch nach Ergehen des OLG Dresden-Urteils, auf welche Art und Weise diese Vertragslücken zu schließen sind, insbesondere, welche Referenzzinssätze ganz konkret der Zinsanpassung zugrunde zu legen sind, oder, ob ein relativer oder absoluter Zinsabstand vorzunehmen ist. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Instanzenrechtsprechung bei der Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens unter Berücksichtigung der jeweiligen konkreten Umstände des Vertragsschlusses an den für sie nicht bindenden Ausführungen des OLG Dresden zu dem Referenzzinssatz „WX4260“ (mit oder ohne Sachverständigengutachten) als grundsätzlich passend orientieren werden. Dasselbe gilt für das grundsätzliche Heranziehen eines relativen Zinsabstands, welchen allerdings auch der BGH zur Wahrung des Äquivalenzverhältnisses anzunehmen scheint. Beides ist für die Höhe der Kundenansprüche entscheidend.

 

  • Wirtschaftlich erhebliche Auswirkungen wären für den gesamten Sparkassensektor jedenfalls zu befürchten, wenn sich die Rechtsauffassung des OLG Dresden in der Rechtsprechung – z. B. auch im Rahmen von weiteren Musterfeststellungsverfahren in anderen Bundesländern – durchsetzen würde, dass der Verjährungsbeginn der Zinszahlungsansprüche nicht unmittelbar mit der fehlerhaften Zinsbuchung, sondern erst mit der Beendigung des Sparvertrags einsetzt, was angesichts der von Anfang an bei den Kunden bestehenden Kenntnis von der vereinbarten (unwirksamen) Zinsanpassungsklausel und den jährlich gutgeschriebenen Zinsguthaben nicht frei von Bedenken ist (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.01.2016, Az.: I-14 U 180/14; LG Frankfurt, Urteil vom 11.01.2019, Az.: 2-18 O 211/18). Dies hätte zur Folge, dass die Zinsneuberechnung bis in die 1990er Jahre zurückgehen müsste und derartige nachzubezahlende Zinsansprüche heute nicht bereits in weiten Teilen verjährt wären.

Beitragsnummer: 9159

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