Montag, 25. Mai 2020

Mittelbare Kreditierung über Gesellschafter des Schuldnerunternehmens

Keine Anfechtung als Gesellschafterdarlehen (BGH, Urt. v. 27.02.2020 – IX ZR 337/18)

Andrea Neuhof, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

 

Mit Urt. v. 27.02.2020 – IX ZR 337/18 – hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass die Rückzahlung eines mittelbar über die Gesellschafter des später insolventen Schuldnerunternehmens gewährten Darlehens eines außenstehenden Dritten durch das Schuldnerunternehmen nicht der Insolvenzanfechtung gem. § 135 InsO unterliegt.

 

Der Beklagte hatte den Eheleuten V. ein Darlehen über eine Mio. € gewährt, welches diese vereinbarungsgemäß einer Autohaus-GmbH (im Folgenden „Schuldnerin“), deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Ehemann V. war, zur „Beseitigung einer Liquiditätslücke“ zur Verfügung stellten. Die Auszahlung erfolgte direkt an die Schuldnerin. Die Rückzahlung erfolgte in zwei Teilbeträgen am 27.02.2012 und am 05.10.2012. Am 19.06.2013 beantragte der Ehemann V. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärte der bestellte Insolvenzverwalter und spätere Kläger die Anfechtung der zweiten Rückzahlung vom 05.10.2012 gegenüber dem Beklagten. In erster und zweiter Instanz hatte seine gegen den Beklagten erhobene Anfechtungsklage vor dem LG Heidelberg (Urt. v. 24.05.2017 – 5 O 265/16) sowie dem OLG Karlsruhe (Urt. v. 30.11.2018 – 3 U 15/17) Erfolg. Auf die Revision des Beklagten hin hat der BGH das Urteil des Landgerichts sowie des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.

 

SEMINARTIPP

Schlanke und bezahlbare Sanierungskonzepte, 19.11.2020, Köln.

 


Gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines nachrangigen Darlehens i. S. d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder für eine gleichgestellte Forderung Befriedigung gewährt hat, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist. Insoweit hatte das OLG Karlsruhe ausgeführt, der Beklagte habe mit den Eheleuten V. gemeinsam bewusst eine Konstruktion zur Umgehung etwaiger Anfechtungsmöglichkeiten nach § 135 InsO gewählt. Damit habe die Finanzierung der Gewährung eines Gesellschafterdarlehens wirtschaftlich entsprochen. Die Rückzahlung sei demgemäß auch nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar.

 

BUCHTIPP

Cranshaw/Paulus/Michel (Hrsg.), Bankenkommentar zum Insolvenzrecht, 3. Aufl. 2016.

 



Dem ist der BGH zu Recht entgegengetreten. Der Beklagte war zu keiner Zeit Gesellschafter der Schuldnerin. Zwar ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass unter gewissen Umständen auch Dritte dem Nachrang gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO und damit auch den Restriktionen des § 135 InsO unterworfen sein können, wenn sie bei wirtschaftlicher Betrachtung einem Gesellschafter gleichstehen. Dies betrifft insbesondere z. B. die Fallgruppe der verbundenen Unternehmen. Der BGH weist in diesem Zusammenhang nochmals darauf hin, dass diese Verbindung sowohl „vertikal“ (Beteiligung des Darlehensgebers an einer Muttergesellschaft der Schuldnerin) als auch „horizontal“ (Verknüpfung von Darlehensgeber und Schuldnerin durch einen gemeinsamen, die Darlehensgeberin „beherrschenden“ Gesellschafter) bestehen kann. Diese Voraussetzungen sind jedoch bei einem – wie vorliegend – außenstehenden Dritten nicht erfüllt. Darüber hinaus sieht der BGH in Konstellationen wie der vorliegenden auch keine sanktionswürdige Umgehung des Anwendungsbereichs des § 135 InsO. Unabhängig davon, dass der Vorwurf der Umgehung von Anfechtungstatbeständen für sich genommen den Anwendungsbereich des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht eröffne und ein Anfechtungstatbestand grundsätzlich nur bei Vorliegen der im Gesetz genannten Voraussetzungen erfüllt sei, sei eine derartige Umgehung vorliegend noch nicht einmal erkennbar. Denn auch dann, wenn der Beklagte der Schuldnerin das Darlehen direkt gewährt hätte und nicht über deren Gesellschafter, hätte offensichtlich kein Gesellschafterdarlehen vorgelegen.

 

PRAXISTIPP

 

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs trifft weder eine generelle Aussage zu möglichen weiteren Anfechtungstatbeständen noch zu etwaigen anderweitigen Haftungstatbeständen des Kreditgebers. 

Die „klassischen“ Anfechtungstatbestände, die in derartigen Konstellationen bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen denkbar sind, wie insbesondere die Deckungsanfechtung, je nach den Umständen des Einzelfalls jedoch ggf. auch die Schenkungsanfechtung i. S. v. § 134 Abs. 1 InsO oder die Vorsatzanfechtung gem. § 133 Abs. 1 InsO, waren vorliegend nicht erfüllt. Eine Deckungsanfechtung schied bereits deswegen aus, weil die angefochtene Rückzahlung außerhalb des Drei-Monats-Zeitraums vor Insolvenzantragsstellung lag. Sie wurde demgemäß schon gar nicht geltend gemacht. Die Schenkungsanfechtung scheiterte daran, dass der Beklagte mit Erhalt der Rückzahlung seitens der Schuldnerin seinen entsprechend hohen und vorliegend wohl auch werthaltigen Rückzahlungsanspruch gegen die Eheleute V. verlor. Der Vorsatzanfechtung stand entgegen, dass der Kläger keinen ausreichenden Vortrag zu den tatsächlichen Voraussetzungen eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes der Schuldnerin, zur Frage einer drohenden oder bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung und zu einer Kenntnis des Beklagten hiervon gehalten hatte.

Grundsätzlich ist die Finanzierung eines Gesellschafters zum Zwecke der „Durchleitung“ des gewährten Darlehens an die – möglicherweise zum Finanzierungszeitpunkt bereits nicht mehr als kreditwürdig eingestufte – Schuldnergesellschaft allerdings nicht ganz ohne Risiko. Je nach den Umständen des Einzelfalles könnte hier neben etwaigen Anfechtungstatbeständen etwa eine Beihilfe zur Insolvenzverschleppung oder die Vergabe eines sittenwidrigen Sanierungskredits in Betracht kommen. Derartige Finanzierungen bedürfen daher grundsätzlich der sorgfältigen Prüfung und genauen Abwägung im Einzelfall.

 


Beitragsnummer: 8897

Beitrag teilen:

Beiträge zum Thema:

Beitragsicon
Insolvenzrecht in der Bankpraxis

Insolvenzrecht in der Bankpraxis

26.03.2024

Beitragsicon
Wahlrecht des maßgeblichen Datums für die Vorfälligkeitsentschädigung

Darlehensgeber hat bei der Berechnung der VE ein Wahlrecht zwischen dem Tag der tatsächlichen Zahlung und dem Zeitpunkt der VE-Anspruchsentstehung/ Kündigung.

23.10.2023

Beitragsicon
Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung!

Rechtsprechung zur erweiterten spezialgesetzlichen Prospekthaftung aufgrund einer an die Vertriebsverantwortung anknüpfenden Haftung der Altgesellschafter

21.08.2023

Um die Webseite so optimal und nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten, werten wir mit Ihrer Einwilligung durch Klick auf „Annehmen“ Ihre Besucherdaten mit Google Analytics aus und speichern hierfür erforderliche Cookies auf Ihrem Gerät ab. Hierbei kommt es auch zu Datenübermittlungen an Google in den USA. Weitere Infos finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen im Abschnitt zu den Datenauswertungen mit Google Analytics.