Montag, 25. Mai 2020

Belehrungspflicht bei Zinsprolongation auf dem Prüfstand

Tilman Hölldampf, Rechtsanwalt, Thümmel, Schütze & Partner

 

 

Die Gewährung von Immobiliardarlehen in Form der unechten Abschnittsfinanzierung ist in Deutschland der Regelfall. Dabei räumt die Bank dem Darlehensnehmer ein langlaufendes Kapitalnutzungsrecht ein, während die Parteien sich zunächst nur für einen Teil dieses Zeitraums auf eine Festzinsbindung einigen. Im Vertrag ist dabei vorgesehen, dass die Parteien sich rechtzeitig vor Ablauf der Zinsbindung über erneute Festzinskonditionen verständigen. Nur für den Fall, dass eine solche Vereinbarung nicht zustande kommt, greift sozusagen als Auffangklausel regelmäßig nach Ablauf der Festzinsbindung eine variable Verzinsung.

 

Für diese Konstellation hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass dem Darlehensnehmer für eine Zinsprolongationsvereinbarung kein Widerrufsrecht nach Verbraucherdarlehensrechts (§ 495 BGB) einzuräumen ist, da er mit der Zinsprolongation kein neues Kapitalnutzungsrecht erhält (BGH, Urt. v. 28.05.2013 – XI ZR 6/12, BKR 2013 S. 326). Ebenso hat der Bundesgerichtshof festgehalten, dass die Prolongationsvereinbarung auch nicht nach Fernabsatzrecht widerruflich ist, da die Neuvereinbarung von Zinskonditionen innerhalb einer unechten Abschnittsfinanzierung lediglich ein unselbstständiger Vorgang i. S. d. § 312b Abs. 4 S. 1 BGB a.F. ist (BGH, Beschluss v. 15.01.2019 – XI ZR 202/18, m. Anm. Hölldampf, WuB 2019 S. 115). Der von Verbraucheranwälten mitunter unternommene Versuch, sich im Wege des Widerrufs von einer Zinsprolongationsvereinbarung zu lösen, war damit fürs Erste unterbunden.

 

SEMINARTIPPS

VerbraucherKreditRecht 2020, 22.09.2020, Frankfurt/M.

Aktuelle Praxisfragen WKR: Neue EBA-Leitlinien zur Kreditvergabe!, 28.09.2020, Frankfurt/M.

Aktuelle Rechtsfragen rund um die Baufinanzierung, 23.11.2020, Frankfurt/M.

 

Die Diskussion erhält nunmehr jedoch neuen Schwung. Denn die Frage, ob es sich bei einer Zinsprolongation um eine Finanzdienstleistung im Sinne der Fernabsatzrichtlinie 2002/65/EG handelt, wurde durch das LG Kiel mit Beschluss vom 07.09.2018 – 12 O 92/18, BKR 2019 S. 248, dem EuGH vorgelegt (Az. C-639/18). In diesem Verfahren liegen nunmehr die Schlussanträge der Generalanwältin beim EuGH Sharpston vom 12.03.2020 (abgedruckt unter BeckRS 2020 S. 3.359) vor. Die Generalanwältin kommt abweichend von der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs zu der Einschätzung, dass es sich auch bei der Zinsprolongation um eine Finanzdienstleistung handele, da die Ausnahmevorschrift des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2002/65/EG, auf welche § 312b Abs. 4 S. 1 BGB a.F. zurückgeht, nicht einschlägig ist. Es handele sich bei einer Finanzdienstleistung nicht um einen bloßen „Vorgang“, da sich die Parteien durch eine neuerliche Einigung auf neue Vertragskonditionen verständigen, sodass nach Sinn und Zweck der Fernabsatzrichtlinie dem Verbraucher alle nach der Richtlinie vorgesehenen Informationen erneut erteilt werden müssten.

 

Die Generalanwältin kommt darüber hinaus zu der Auffassung, dass ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystem i. S. d. Art. 2 lit. a) Richtlinie 2002/65/EG auch dann vorliegen kann, wenn der ursprüngliche Darlehensvertrag üblicherweise als Präsenzvertrag abgeschlossen wird, die Zinsprolongation sodann jedoch üblicherweise im Wege des Fernabsatzes. Beurteilt werden müsse dies anhand der Umstände des Einzelfalls.

 

PRAXISTIPP

 

Die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston sind zunächst einmal insofern etwas überraschend, als die Generalanwältin sich darin intensiv mit einer Frage auseinandersetzt, welche eigentlich überhaupt nicht Gegenstand der Vorlage war. Denn das LG Kiel hat in seinem Beschluss vom 07.09.2018 gerade nicht die Frage formuliert, ob es sich bei der Zinsprolongation um einen „Vorgang“ i. S. d. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2002/65/EG bzw. § 312b Abs. 4 S. 1 BGB a.F. handelt. Das LG Kiel ist vielmehr in seinem Vorlagebeschluss davon ausgegangen, dass § 312b Abs. 4 S. 1 BGB a.F. auf die Zinsprolongation keine Anwendung findet und hat erst auf Basis dieser Feststellung u. a. die Vorlage formuliert, ob es sich bei der Zinsprolongation um eine „Finanzdienstleistung“ handelt. Die Frage, ob die Ausnahmeregelung des Art. 1 Abs. 2 Richtlinie 2002/65/EG einschlägig ist, war somit nicht Gegenstand der Vorlage. Gleichwohl war die Generalanwältin offenkundig der Auffassung, die Vorlagefrage nicht ohne Rücksicht auf die bestehende Ausnahmeregelung beantworten zu können. Ob die Generalanwältin in dieser Form zu einer Erweiterung des Vorlagegegenstandes berechtigt ist oder nicht vielmehr das Nichteingreifen der Ausnahmeregelung in gleicher Weise wie das vorlegende Gericht hätte unterstellen müssen, erscheint zumindest fragwürdig.

 

Unabhängig davon ist die Rechtsauffassung der Generalanwältin nicht überzeugend. Die Auffassung, dass ein „Vorgang“ i. S. d. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2002/65/EG nicht vorliege, wenn die Parteien sich im Rahmen einer unechten Abschnittsfinanzierung auf neue Zinskonditionen verständigen, wofür eine neuerliche Einigung der Parteien erforderlich ist, überzeugt nicht. Als „Vorgang“ will die Generalanwältin bei Darlehensverträgen beispielsweise Zahlungen zur Reduzierung des geschuldeten Gesamtbetrags ansehen. Diese Zahlungspflicht resultiert freilich bereits aus dem ursprünglichen Vertrag und ist kein durch den Verbraucher gesondert eingeleiteter „Vorgang“. Der Umstand, dass Handlungen des Verbrauchers innerhalb eines bestehenden Vertrages, wie die Abhebung von einem Konto oder eine Zahlung per Kreditkarte, für welche ebenfalls eine gesonderte Willensbetätigung des Verbrauchers erforderlich ist, nach Erwägungsgrund Nr. 15 der Richtlinie 2002/65/EG unter den Begriff des „Vorgangs“ fallen, zeigt, dass das Begriffsverständnis nicht derart eng ist, wie die Generalanwältin meint.

 

Es überzeugt auch nicht, wenn die Generalanwältin ausführt, durch die Vereinbarung einer erneuten Festzinsbindung würden die Parteien den Charakter des Darlehensvertrags in Form der unechten Abschnittsfinanzierung grundlegend ändern, da dieser ursprünglich für den Zeitraum nach Ablauf der Zinsbindung eine variable Verzinsung vorgesehen hat. Dabei übersieht die Generalanwältin, dass es sich hierbei um eine Art Auffangklausel handelt, die dem Umstand geschuldet ist, dass die Vereinbarung einer Zinsbindung über den gesamten Vertragszeitraum wegen der im nationalen Recht bestehenden Kündigungsfrist des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB (nach Ablauf von zehn Jahren) nicht sinnvoll möglich und jedenfalls höchst unüblich ist. Gerade der Umstand, dass zwischen den Parteien im Darlehensvertrag vereinbart wird, dass diese sich vor Ablauf der Zinsbindung auf erneute Festzinskonditionen verständigen wollen (was in aller Regel auch so erfolgt) und nur notfalls eine variable Verzinsung greift, spricht deutlich dafür, dass die Parteien keineswegs den Vertragscharakter wesentlich ändern, wenn sie sich innerhalb einer unechten Abschnittsfinanzierung auf eine erneute Festzinsbindung verständigen. Vielmehr werden dadurch die im ursprünglichen Vertrag vorgesehenen Bedingungen perpetuiert, sodass eine Einordnung als „Vorgang“ i. S. d. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2002/65/EG durchaus naheliegend ist. Der Verbraucher bedarf dabei auch nicht des besonderen Schutzes der Fernabsatzrichtlinie, denn dass die Bank dem Verbraucher nach Ablauf der ursprünglichen Zinsbindung eine erneute Zinsbindung zu den dann marktüblichen Zinskonditionen anbieten wird, ist ebenfalls die bereits bei Vertragsschluss feststehende Eigenheit der unechten Abschnittsfinanzierung und im Vertrag durch die entsprechende Abrede bereits angelegt.

 

Die durch die Generalanwältin festgestellte Notwendigkeit, dass der Begriff des „Vorgangs“ europarechtlich einheitlich nur dahingehend ausgelegt werden könne, dass auch die Zinsprolongation im Rahmen der deutschen unechten Abschnittsfinanzierung hierunter fallen muss, besteht somit in der durch die Generalanwältin festgestellten Form nicht. Gerade da die Finanzierungsformen in den Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich ausgestaltet sind, verbietet es sich keineswegs, den Begriff des „Vorgangs“ jeweils im Hinblick und mit Rücksicht auf die Besonderheiten der nationalrechtlichen Ausgestaltung auszulegen. Denn zwar dient das Europarecht der einheitlichen Auslegung im gesamten Rechtsraum. Wenn aber die in den Mitgliedstaaten bestehenden Finanzierungsformen ihrer rechtlichen Natur nach vollkommen unterschiedlich und damit auch nicht vergleichbar sind, kann daran auch eine einheitliche Auslegung nichts ändern. Das Europarecht begründet insbesondere keinen Typenzwang dahingehend, dass Verträge nur noch in bestimmter Form abgeschlossen werden dürfen.

 

Es bleibt nunmehr abzuwarten, wie der Europäische Gerichtshof entscheiden wird, wobei dieser bekanntlich in den allermeisten Fällen den Schlussanträgen der Generalanwälte*innen folgt. Sollte dies auch hier der Fall sein, müsste der Bundesgerichtshof darüber befinden, ob er an seiner bisherigen Rechtsprechung gleichwohl festhalten oder diese ändern wird. In letzterem Fall entstünde für die Banken erneut das potentielle Risiko einer massenhaften Inanspruchnahme. Denn auch wenn der Verbraucher sich durch den Widerruf einer Zinsprolongation nicht von dem Darlehen insgesamt lösen kann, so würde damit doch die Grundlage für den mit der Prolongationsvereinbarung verabredeten Festzins entfallen, sodass das Darlehen nach Ablauf der ursprünglichen Zinsbindung variabel zu verzinsen ist. Bei der Zinsentwicklung der vergangenen Jahre dürfte dies oftmals dazu führen, dass der Darlehensnehmer zu viel gezahlte Zinsen erstattet verlangen kann.

 


Beitragsnummer: 8896

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