Dienstag, 12. Juni 2018

Risikotragfähigkeit – Auf zu einem neuen Abschnitt

Henning Riediger, Prüfungsleiter im Referat Bankgeschäftliche Prüfung, Deutsche Bundesbank, Hauptverwaltung in Hannover[1]

Change The Bank – Change The Reporting Carefully

Kennen Sie die Blockfahrweise bei der Eisenbahn? Ungefähr so funktioniert auch Bankenaufsicht – damit meine ich jetzt nicht die Verspätung bei der Veröffentlichung von Aufsichtsdokumenten, sondern das Ampel- oder besser Signalprinzip. Wenn das Signal auf freie Fahrt steht, dann darf der nächste Abschnitt passiert werden. Ähnlich verhält es sich mit dem neuen RTF-Leitfaden. Dieser signalisiert denjenigen Instituten, die weiterhin einen Going Concern-Ansatz traditioneller Art nutzen wollen, freie Fahrt in den nächsten Abschnitt. Aber das Vorsignal für den übernächsten Abschnitt zeigt momentan keine freie Fahrt für diese Institute. Das bedeutet für diese Institute, dass die Weiterverwendung für die ganze Strecke nicht garantiert ist. Erschwerend kommt hinzu, dass bisher niemand die Länge des vor uns liegenden Streckenabschnitts bestimmen kann. Nicht nur das Zeichen, sondern auch die Lage ist bislang unbekannt. Es kann somit sehr schnell gehen!

 SEMINARTIPPS

Neuer aufsichtlicher Leitfaden zur Risikotragfähigkeit, 18.10.2018, Köln.

Deutlich anspruchsvollere Vorgaben für die Kreditportfolio-Steuerung, 19.11.2018, Köln.

Stolpersteine bei Verknüpfung der Kapitalplanung mit der RTF-Planung, 22.11.2018, Köln.

Prüfung und Beurteilung der Risikotragfähigkeitsprozesse (RTF), 26.11.2018, Frankfurt/M.

Was bedeutet dies für die relevanten Institute? Das „Alte“ zu nutzen, sich aber mit dem „Neuen“ vertraut zu machen. Institute, welche sich bisher nicht oder nur sehr rudimentär mit barwertigen Ansätzen zur Steuerung und Überwachung auseinandergesetzt haben, sollten nunmehr verstärkt daran „Interesse finden“. Die Schwierigkeit von barwertigen Steuerungsansätzen liegt nicht unbedingt in der Rechnung selbst begründet, sondern vielmehr in der Ausgestaltung der jeweils relevanten Parameter. Zentrale Herausforderungen sind daher die Wahl und Kalibrierung der zu schätzenden Einflussgrößen, z. B. beim Thema Sach- und Personalaufwand – wie lang müssen Infrastruktur und Personal in welchem Umfang vorgehalten werden? Diese Kosten sind damit aufwandsrelevant und stellen verbartwertet einen Abzugsbetrag vom Vermögenswert des Instituts dar. Die zentrale Frage zielt bei barwertigen Ansätzen zunächst immer nach dem Diskontfaktor. Darüber hinaus besteht auch die Herausforderung für das Institut diejenigen Ausprägungen zu identifizieren, die steuerungsrelevant sind. Das Kreditinstitut sollte bis zu einem final steuerungsrelevanten Einsatz von barwertigen Verfahren schon ausreichend Erfahrungen mit barwertigen Steuerungsgrößen gesammelt haben. Dies kann auch dadurch geschehen, dass bereits heute entsprechend barwertige Ansätze informativ zum eigentlich steuerungsrelevanten Ansatz mitlaufen und so dem Institut die Chance geben, Erfahrungen mit der Volatilität und den Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu sammeln. Von enormer Bedeutung ist daher, dass nicht nur das „rechnende“ Risiko-Controlling, sondern auch die Ebene der Berichtsempfänger mit der Systematik und Wirkungsweise vertraut sein muss. Die Ebene der Berichtsempfänger umfasst nicht nur die Geschäftsleitung bzw. den Vorstand, sondern vielmehr auch das Aufsichtsorgan in Form des Aufsichts- oder Verwaltungsrates. Ein Mitglied des Aufsichtsorgans muss daher die Berichte verstehen und die Handlungen seiner Geschäftsleitung daran messen können. Denn schließlich wird die barwertige Sicht perspektivisch im Vergleich mit der „normativen Sicht“ die entscheidendere Betrachtung sein, wenn es um die operative Steuerung geht. Die normative Sicht mit ihren auf Jahresscheiben abgestellten Ergebnissen dürfte nicht über die entsprechende unterjährige Sensitivität der Ergebnis- und Risikosteuerung verfügen. Die Erwartung geht daher in die Richtung, dass gewöhnlich die Ermittlung der normativen Sicht jährlich erfolgt, während die barwertige Sicht der Risikotragfähigkeit mindestens quartalsweise zu bestimmen ist.

 BUCHTIPP

Reuse (Hrsg.),Praktikerhandbuch Risikotragfähigkeit, 2. Aufl. 2016.


Während für die barwertige Sicht mindestens ein Konfidenzniveau von 99,9 % erwartet wird, ergibt sich in der normativen Sicht für das adverse Szenario mehr Spielraum für die Institute. Heutige Going Concern-Ansätze traditioneller Prägung gehen von einem Impulsereignis zu einem bestimmten selbstgewählten Konfidenzniveau aus. Nunmehr wird im adversen Szenario nicht mehr auf einen einmaligen (Risiko-)Impuls abgestellt, sondern auf eine negativ von der Planung abweichende Entwicklung über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren, an welche man schwerlich ein Konfidenzniveau „dranschreiben” kann. Die Parameteränderungen im adversen Szenario sind in ihrer Schwere eher einem Risikoszenario als einem Stresstest vergleichbar zu konzipieren.

Richten wir zunächst den Blick auf die Komponenten, die als „advers“ eingestuft werden sollten. Neben einer antizipierten Entwicklung des SREP-Zuschlags sollten mindestens die folgenden Komponenten einbezogen werden, wobei sowohl das Planergebnis als auch die potenziellen Auswirkungen auf die Eigenmittelanforderungen relevant sind:

  • Verfehlung von Wachstumszielen – Die Wahl der adversen Entwicklung richtet sich nach dem Engpassfaktor. Das heißt, ist das Eigenkapital der Engpassfaktor, dann ist ein verstärktes Wachstum der risikotragenden Positionen anzusetzen. Besteht der Engpassfaktor auf der Ertragsseite, so sind die Auswirkungen eines schwächeren Wachstums zu untersuchen. Dieser Punkt kann Verschiebungen zwischen Produkten mit unterschiedlichen Deckungsbeiträgen im Kundengeschäft beinhalten. Darüber hinaus sind mögliche Rückgänge von provisionsrelevanten Geschäftsaktivitäten einzubeziehen.
  • Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen – An dieser Stelle ist mit erhöhten Ausfällen im Kreditgeschäft zu rechnen, so dass die Position „Bewertungsergebnis Kredit“ entsprechend angepasst werden muss. Migrationen können ebenfalls zu einer Erhöhung der CRR-Anrechungsbeträge für Adressrisiken führen.
  • Zinsentwicklung mit negativen Auswirkungen – Für das jeweilige Geschäftsmodell muss institutsindividuell in Abhängigkeit von der Erwartung der Zinsentwicklung eine entsprechend negative Entwicklung abgeleitet werden.
  • Belastungen aus Kostenstruktur – Für den Verwaltungs- und Personalaufwand ist mit Kostensteigerungen bzw. mit Nichteintreten von geplanten Kostenreduktionen zu rechnen.

Maßgebliches Kriterium ist das Geschäftsmodell. Störungen bzw. Einschränkungen von diesem sind relevant für das adverse Szenario.

Also auch wenn die „alte Welt” sich noch etwas weiterdreht – Bleiben Sie neugierig!

PRAXISTIPPS

  • Stellen Sie sicher, dass alle Berichtsempfänger mit der barwertigen Sicht umgehen können.
  • Wählen Sie die Parameter der Verbarwertung angemessen; begründen und dokumentieren Sie Ihre Entscheidung.
  • Implementieren Sie sinnvolle Steuerungsgrößen und richten Sie ein passendes Limitsystem ein.
  • Achten Sie darauf, dass das adverse Szenario die wesentlichen Risiken und Einflussgrößen umfasst.
  1. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder, die nicht zwingend die Sichtweise der Bundesbank sein muss.



Beitragsnummer: 706

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