Freitag, 15. Juni 2018

Schadensersatz bei fehlerhaftem Emittentenrating

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

Das OLG Düsseldorf musste sich in seiner Entscheidung vom 08.02.2018, Az. I-6 U 50/17, zunächst mit der Frage auseinandersetzen, ob ein Anleger, der u. a. auch durch das fehlerhafte Rating einer ein Finanzinstrument herausgebenden Emittentin zum Erwerb des betreffenden Finanzinstruments bewogen wurde, von der Ratingagentur Schadensersatz nach der erst im Jahr 2013 eingeführten Norm des Art. 35a Abs. 1 S. 2 der EG-Rating-VO Nr. 1060/2009 in der Fassung der EU-Verordnung Nr. 462/2013 verlangen kann.


SEMINARTIPP

18. Heidelberger Bankrechts-Tage, 22.–23.10.2018, Heidelberg




Durch eine umfassende, auf Wortlaut, Gesetzessystematik, Historie und Teleologie gestützten Auslegung des Art. 35a Abs. 1 S. 2 Rating-VO gelangt das OLG Düsseldorf zum Ergebnis, dass der Anleger über Art. 35a Abs. 1 S. 2 Rating-VO nur dann von der Ratingagentur Schadensersatz verlangen könne, wenn das Rating sich auf das vom Anleger erworbene Finanzinstrument selbst bezieht. Betrifft das Rating wiederum nur die Emittentin des Finanzinstruments, dann sei der Anwendungsbereich des Art. 35a Abs. 1 S. 2 Rating-VO nicht eröffnet. Die Tatsache, dass das Rating in dem das Finanzinstrument bewerbende Wertpapierprospekt veröffentlicht und damit bewusst ein Bezug zwischen dem Erwerb des Finanzinstruments und den im Prospekt aufgenommenen Emittentenrating hergestellt wurde mit der Folge, dass jeder an der Zeichnung des Finanzinstruments interessierte Anleger seine Kapitalanlageentscheidung insbesondere auch auf das Rating des Emittenten stützte, vermochte das OLG Düsseldorf nicht von seiner Auffassung abzubringen. Vielmehr führte das OLG Düsseldorf diesbezüglich aus, dass die Erwägungsgründe des Verordnungsgebers nichts erkennen lassen, was dafür spricht, dass Art. 35a Abs. 1 S. 2 der Rating-VO auch dann dem Anleger Schadensersatz gewähren soll, wenn das im Wertpapierprospekt aufgenommene Rating nicht das Finanzinstrument selbst, sondern den Emittenten betrifft (vgl. hierzu Berger/Ryborz, BB 2018 S. 1.236, welche diese Sichtweise aus Gesichtspunkten des Anlegerschutzes für kritisch erachten; vgl. auch Amort, NJW 2018 S. 1.615, 1.619, welcher die Verantwortung für das Nichteingreifen der Haftungsnorm der EU-Legislative zuweist, welche Art. 35a Abs. 1 Rating – VO zu eng gefasst habe).

Hieran anschließend prüft das OLG Düsseldorf, ob dem Kapitalanleger nicht zumindest über die Norm des § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter ein Schadensersatzanspruch zustehen könnte. Unter umfassender Auseinandersetzung mit der diesbezüglichen Rechtsprechung des BGH, insbesondere mit der Rechtsprechung des BGH zur Experten- und Sachverständigenhaftung, gelangt der 6. Zivilsenat des OLG Düsseldorf unter Bezugnahme auf die inhaltlich gleich lautende Entscheidung des 14. Zivilsenat des OLG Düsseldorf (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Hinweisbeschluss v. 01.12.2017, Az. I-14 U 151/16) und des LG Düsseldorf (WM 2017 S. 816) sowie unter Hinweis auf die überwiegende Auffassung in der Literatur zum Ergebnis, dass dem Anleger im Falle eines fehlerhaften Unternehmensrating gegenüber einer Ratingagentur grundsätzlich kein Anspruch aus der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter zusteht. Dies obwohl nach dem Anlass für das Rating für alle beteiligten Parteien offenkundig war, dass der entsprechende Ratingbericht in den das Finanzinstrument bewerbenden Wertpapierprospekt aufgenommen wird, wodurch gezielt auf die Kapitalanlageentscheidung des Anlegers im Zusammenhang mit der Bewertung und dem Erwerb des Finanzinstruments Einfluss genommen wurde. Hiergegen wendet das OLG Düsseldorf ein, dass es für eine Haftung nach den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter nicht ausreichend ist, dass das Unternehmensrating im Wertpapierprospekt als Kaufargument genutzt wird. Erforderlich sei vielmehr, dass das Rating bestimmungsgemäß gerade zur Erlangung von Leistungen Dritter verwendet wird, was vorliegend nicht der Fall sei, da die Verwendung des Unternehmensratings jedenfalls nicht unmittelbar der Erlangung des Kaufpreises für die Anlage und erst recht nicht alleinige Grundlage der Kapitalanlageentscheidung des Anlegers gewesen sei. Im Übrigen sei im Unterschied zu einer zu Finanzierungszwecken dienenden Grundstücksbewertung vor Kreditvergabe beim Rating eines Unternehmens im Hinblick auf den unkontrollierbaren und unüberschaubaren Veröffentlichungsgrad eines Unternehmensratings der Kreis potentieller Anleger für die Ratingagentur nicht einschätzbar und damit auch nicht versicherbar.

PRAXISTIPP

Auch wenn die Entscheidung des OLG Düsseldorf der überwiegend in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Rechtsauffassung entspricht und argumentativ überzeugend ist, hätte man bei großzügiger Betrachtungsweise eine Haftung der Ratingagentur durchaus sowohl nach Art. 35a der Rating-VO als auch nach den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter bejahen können. Letzteres insbesondere deswegen, weil die Ratingagentur das Emittentenrating bewusst in den Wertpapierprospekt in Bezug auf das von den Anlegern zu erwerbende Finanzinstrument hat aufnehmen lassen, mit der Folge, dass der Ratingagentur positiv bekannt war, dass deren Emittentenrating von allen Kapitalanlegern, die sich zum Erwerb des im Prospekt beworbenen Finanzinstruments entscheiden, maßgeblich im Zusammenhang mit deren Kapitalanlageentscheidung herangezogen wird, weswegen für die Ratingagentur durchaus erkennbar war, welcher konkrete Personenkreis sich bei seiner Kapitalanlageentscheidung von deren Emittentenrating maßgeblich beeinflussen lässt. Aufgrund des Umstandes, dass die Ratingagentur es zudem zugelassen hat, dass ihr Emittentenrating im Wertpapierprospekt zur Beeinflussung des Erwerbs des im Wertpapierprospekt beworbenen Finanzinstruments aufgenommen wird, hätte es bei teleologischer Ausweitung des Anwendungsbereichs der Norm nicht völlig ferngelegen, von einem zumindest mittelbaren Rating in Bezug auf das mit dem Rating beworbene Finanzinstument i. S. v. Art. 35a der Rating-VO auszugehen. Denn für die Ratingagentur war ganz offenkundig, dass jeder Kapitalanleger, der sich für den Erwerb des Finanzinstruments interessiert, dass Emittentenrating für die Bewertung des beworbenen Finanzinstruments heranzieht, was einem Emissionsrating gleich kommt. Vor diesem Hintergrund bleibt mit Spannung abzuwarten, wie der Bundesgerichtshof oder andere Oberlandesgerichte im Falle einer Entscheidung über diese Rechtsfrage entscheiden. Diesbezüglich verwundert es im Übrigen sehr, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf trotz Grundsatzbedeutung der Rechtsfrage die Revision nicht zugelassen, sondern den Anleger auf den steinigen Weg der Nichtzulassungsbeschwerde verwiesen hat, wobei letzterer Weg nur offen ist, wenn der Streitwert € 20.000,00 übersteigt.



Beitragsnummer: 692

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