Montag, 20. April 2020

COVID-19: Einfluss auf Immobilienbewertung u. Beleihungswertermittung

Dipl.-Ing. Matthias Westhoff, Immobiliengutachter CIS HypZert (F), MRICS, HIB Helaba Gesellschaft für Immobilienbewertung mbH

 

Die Corona-Pandemie hat nicht nur schlagartig das persönliche Umfeld jedes Einzelnen verändert, sondern hat auch zu gravierenden Veränderungen des Arbeitsumfeldes und der wirtschaftlichen Situation in Deutschland geführt. Stichworte wie Home-Office, Shutdown oder Kontaktsperre sind in unseren Alltag vorgedrungen. Wir sehen geschlossene Einkaufscenter und leere Innenstädte, die Menschen sitzen statt im Büro zu Hause im Home-Office und die Luft über Frankfurt ist klar wie noch nie, weil nur noch fünf Prozent des Flugverkehrs stattfinden. 

Aber die Arbeit muss fortgesetzt werden und es werden nach wie vor Immobilienbewertungen dringend benötigt. Wenn man eine Vorschau wagen darf, wird aufgrund der sehr unterschiedlichen Auswirkungen der Pandemie auf einzelne Marktsegmente der Bedarf an Bewertungen seitens der Immobilienwirtschaft und insbesondere der Kreditinstitute mittelfristig stark steigen. Die Aufgabe des Bewerters wird hier sein, die Märkte und das zunehmend volatilere Marktgeschehen genau im Auge zu behalten und vorausschauend und profund zu agieren.

In diesem Zusammenhang soll hier im Weiteren auf zwei wesentliche aktuelle Aspekte der Wertermittlung eingegangen werden, die durch die Corona-Pandemie maßgeblich beeinflusst werden.

Nach einer neuen Definition der gif- Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. ist die Immobilienbewertung der Prozess einer marktkonformen Erkennung und Einordnung von Eindrücken, Information und Daten (1), eine Simulation des Marktgeschehens (2) und die schlüssige Dokumentation der Wertfindung in einem Gutachten (gif Grundsätze ordnungsgemäßer Marktwertermittlung März 2020). Die Besichtigung des Bewertungsobjektes ist dabei zentraler Bestandteil und Ausgangspunkt jeder Immobilienbewertung, erst sie liefert dem Gutachter die relevanten Primärdaten zum Objektzustand und zum Objektstandort und -umfeld.


Zu Punkt 1: Informationssammlung

Aufgrund der bestehenden Kontaktsperren und Ausgangsverbote sind derzeit die erforderlichen Objektbesichtigungen der Immobilien vor Ort nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Damit fehlt dem Gutachter ein wesentliches Kernstück seiner Expertise. Außerdem gerät er in Konflikt zu den geltenden Gesetzesanforderungen und der bankaufsichtsrechtlichen Regulatorik hinsichtlich BelWertV, CRR oder MaRisk.

Aus diesem Grund hat die BaFin Erleichterungen zum Thema Objektbesichtigung veröffentlicht, unter denen angesichts bestehender Reisebeschränkungen/Kontaktsperren auf die nach der Beleihungswertermittlungsverordnung (BelWertV) für die Indeckungnahme normalerweise erforderliche Besichtigung des Beleihungsobjekts im Rahmen der Wertermittlung vorübergehend verzichtet werden kann:

  • Bei Objekten im Sinne des § 24 Abs. 1 BelWertV (Kleindarlehensobjekt), die nicht bereits unter die ohnehin geltenden Regelungen des § 24 Abs. 3, Abs. 3a BelWertV fallen (Besichtigungserleichterungen), ist ein Abschlag in Höhe von mindestens zehn Prozent auf das Ergebnis der Beleihungswertermittlung vorzunehmen.

 

  • Bei allen anderen Immobilien ist im Falle einer fehlenden Besichtigung ein Mindestabschlag in Höhe von 20 % auf das Ergebnis der Beleihungswertermittlung vorzunehmen, bei lediglich fehlender Innenbesichtigung reduziert sich der Mindestabschlag auf 15 %. Der Abschlag ist bei der Ableitung des Beleihungswertes (§ 4 Abs. 1 BelWertV) auszuweisen und in Ansatz zu bringen.

 

  • Etwaige nachhaltige krisenbedingte Auswirkungen auf den Beleihungswert, wie sie insbesondere bei Betreiberimmobilien infolge verringerter Auslastung entstehen können, müssen bei der Ermittlung angemessen berücksichtigt werden.

 

  • Die fehlende Besichtigung ist nach Wegfall der genannten Einschränkungen unverzüglich nachzuholen.

 

  • Wird statt einer Besichtigung des Beleihungsobjektes eine Ansicht per Video-Übertragung (bspw. durch ein Mobiltelefon) vorgenommen und kann der Gutachter dabei einen zumindest annähernd vollständigen Einblick der gesamten Immobilie und ihres Umfelds erhalten, können die genannten Abschläge um jeweils fünf Prozentpunkte vermindert werden, bzw. im Falle von Kleindarlehen (§ 24 Abs. 1 BelWertV) ganz entfallen.

Weitere Informationen finden sich auf der Homepage der BaFin unter 

 (https://www.bafin.de/DE/Aufsicht/CoronaVirus/CoronaVirus_node.html)


Zu Punkt 2: Marktgeschehen

Seit dem Ausbruch von Corona und dem Herunterfahren großer Teile des öffentlichen Lebens finden im Markt derzeit praktisch keine Immobilientransaktionen mehr statt. Die aktuell noch in Abwicklung befindlichen Transaktionen bei den Banken sind noch unbeeinflusst von der Corona-Pandemie. Somit stehen dem Sachverständigen aktuell keine gesicherten Marktdaten zur Verfügung. Allerdings lassen sich aus der Analyse der Marktdeterminanten unterschiedlicher Assetklassen gewisse Megatrends ableiten. 

Entscheidend für die zukünftige Entwicklung der Immobilienmärkte sind die Dauer und der Umfang der gesamtgesellschaftlichen Einschränkungen und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen auf nationaler, aber auch europäischer und internationaler Ebene. 

Eine Expertengruppe des DVW e.V. (Gesellschaft für Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement) hat sich in einer ersten Einschätzung zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den deutschen Immobilienmarkt geäußert. Demzufolge dürften die Effekte auf den Wohnimmobilienmärkten schwächer ausfallen als bei den Gewerbeimmobilien. Für den individuellen Wohnungsbau ist der Bedarf der Bevölkerung nach angemessenem und bezahlbarem Wohnraum maßgebend, die Auswirkungen der Pandemie werden daran im Grund nichts ändern. Auswirkungen könnten sich durch reduzierte Liquidität von Wohnimmobilieneigentümern sowie Erwerbs- und Bauinteressenten infolge der verschlechterten wirtschaftlichen Gesamtlage ergeben.

Nach Einschätzung der Research-Abteilung der HIB (Helaba Immobilienbewertungsgesellschaft) ist davon auszugehen, dass sich der Markt insbesondere auf dem Sektor der wirtschaftlich genutzten Immobilien und hier besonders denjenigen der Gastronomie, Hotellerie, des Handels und des Dienstleistungssektors im weitesten Sinne zunächst rückläufig entwickeln wird. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie bewirken aktuell Renditeeinbußen, die zu nachhaltigen Rückgängen bei den Investitionen in den Bau oder Kauf dieser Assetklassen führen dürften. Segmente des Immobilienmarktes, wie Logistik oder Wohnen, dürften davon nicht im selben Umfang betroffen werden. 

Darüber hinaus führt die COVID-19 Pandemie u. a. zu Gesetzesänderungen, die insbesondere aus immobilien-ökonomischen Gesichtspunkten wesentlich sind: 

  • Ausweitung des Kündigungsschutzes für Mieter
  • Pausen für die Zahlung von Darlehensraten für bislang drei Monate
  • Kurzarbeit und Einnahmeausfälle von Unternehmen


SEMINARTIPPS

Prüfung Kreditsicherheiten: Aufsichtsrechtliche Vorgaben & Prozesse, 29.09.2020, Frankfurt/M.

Kreditsicherheiten Kompakt: Sach- & Personalsicherheiten, 30.09.2020, Frankfurt/M.

Kredit-Jahrestagung 2020, 18.–19.11.2020, Berlin.

 


Für die Beleihungswerte sind derzeit keine direkten Auswirkungen erkennbar, vorausgesetzt, es handelt sich um kurzfristige Marktveränderungen. Die Spreads zwischen Marktwert und Beleihungswert sind überwiegend so hoch, dass hier ausreichend Puffer vorhanden sein sollte.


Fazit:

Derzeit sind keine verlässlichen Daten über die Marktentwicklungen verfügbar – eine wahrscheinlich kommende Volatilität lässt sich noch nicht abschließend abschätzen, derzeit sind nur indirekte Einflüsse, z. B. Mietaussetzungen, Insolvenzen u. a. quantifizierbar. Auch etablierte Marktschwankungskonzepte greifen hier nicht, da nur rückwirkende Betrachtungen verarbeitet sind. Pauschale Abwertungen sind nach Meinung der HIB aber nicht zielführend, da die Einflüsse auf die unterschiedlichen Assetklassen differenziert ausfallen werden und so die Gefahr einer Überkompensation möglicher Veränderungen besteht.



 

Praxistipp:

  • Die BaFin beanstandet es vorübergehend nicht, wenn ein Institut für die Ermittlung der Eigenmittelanforderungen nach Artikel 92 bis 386 der CRR bei Verwendung eines Beleihungswertes nach Artikel 4 (1) Nr. 74 CRR in Verbindung mit § 22 SolvV , eine Immobilie auch ohne vorherige Besichtigung des Beleihungsobjektes als Sicherheit berücksichtigt.

Beitragsnummer: 6768

Beitrag teilen:

Beiträge zum Thema:

Beitragsicon
NEUE BelWertV 2022

Am 4. Oktober 2022 wurde seitens der BaFin die neue BelWertV veröffentlicht mit Konsequenzen für die kreditwirtschaftliche Bewertung von Immobilien.

31.10.2022

Beitragsicon
Prüfung des Managements von Immobilienrisiken

Nach Zinswende 2022 und neuen Regulierungen müssen Banken Immobilienrisiken neu bewerten und managen für Zukunftssicherheit.

02.04.2024

Um die Webseite so optimal und nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten, werten wir mit Ihrer Einwilligung durch Klick auf „Annehmen“ Ihre Besucherdaten mit Google Analytics aus und speichern hierfür erforderliche Cookies auf Ihrem Gerät ab. Hierbei kommt es auch zu Datenübermittlungen an Google in den USA. Weitere Infos finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen im Abschnitt zu den Datenauswertungen mit Google Analytics.