Montag, 20. April 2020

Corona-Pandemie – Wenn der (Vor-)Lieferant nicht liefert …

Höhere Gewalt, Unmöglichkeit oder Störung der Geschäftsgrundlage – Kann sich ein Lieferant von Lieferpflichten befreien?

Dr. Kerstin Kern, LL.M. (Wellington), Rechtsanwältin, Schrade & Partner Rechtsanwälte PartmbB 

 


Der Corona-Virus hat die Welt inzwischen fest im Griff und für die Wirtschaft einschneidende Folgen. Verbraucher leeren durch Hamsterkäufe die Supermarktregale und Unternehmen stehen vor der Herausforderung, mitunter äußerst knappe Rohstoffe und Vorprodukte für ihre Produktion zu beschaffen. Bereits geschlossene Verträge müssen grundsätzlich erfüllt werden. Welche Möglichkeiten bestehen für Lieferanten und Dienstleister, sich in begründeten Fällen von ihren Verpflichtungen ohne Haftungsrisiken – zumindest vorläufig – zu befreien?

 

Erste Frage: Was ist zwischen den Parteien vereinbart?

 

Als Erstes sollte bei Lieferschwierigkeiten überprüft werden, was zwischen den Parteien vereinbart wurde. Welche Lieferpflicht besteht? Wer trägt z. B. nach der vereinbarten Incoterms©-Klausel das Risiko, das sich verwirklicht hat? 

 

Viele Verträge enthalten sog. Höhere-Gewalt-Klauseln (in englischsprachigen Verträgen Force Majeure), die häufig detailliert regeln, was ein Fall höherer Gewalt ist (wobei in der Praxis nicht jede Klausel auch Pandemien erfasst), und welche Folgen sich daraus für die Vertragsdurchführung ergeben. Strukturell bestehen solchen Klauseln meist aus einer Art Generalklausel und einer Aufführung von definierten Regelbeispielen höherer Gewalt sowie Rechtsfolgen dafür, was bei Eintritt solcher Fälle gelten soll (z. B. eine Pflicht zur Vermeidung der Folgen des Eintritts höherer Gewalt, einen Haftungsausschluss, ein Rücktrittsrecht). Im Einzelfall kann sich eine anwaltliche Überprüfung bei AGB bzw. Musterverträgen lohnen, wenn die Klausel sehr einseitig gestaltet ist.

 

Besonders zu beachten ist, dass Lieferanten vielfach verpflichtet sind, dem Abnehmer unverzüglich mitzuteilen, wenn sie erkennen, dass eine Leistung nicht (oder nicht rechtzeitig) erbracht werden kann, selbst wenn die Gründe außerhalb des Einflussbereichs des jeweiligen Lieferanten liegen. Dies ist z. B. aufgrund AGB-rechtlicher Anforderungen selbst in den eigenen Verkaufsbedingungen oft vorgesehen. Eine solche Informationspflicht besteht aber auch unter dem – im internationalen Handel wichtigen – UN-Übereinkommen für den Internationalen Warenkauf (CISG – dazu sogleich) und zumindest als vertragliche Nebenpflicht nach deutschem Recht. Wird diese Pflicht verletzt, können sich hieraus Schadensersatzansprüche ergeben.

 

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Neben Klauseln über höhere Gewalt werden in professionell abgefassten internationalen Verträgen mitunter auch sog. Hardship-Klauseln aufgenommen, die eine Risikoverteilung für den Fall vornehmen, dass die Vertragsdurchführung durch höhere Gewalt lediglich wirtschaftlich sehr unattraktiv wird. In diesen Fällen ist die Vertragserfüllung zwar noch möglich, aber nur mit zu erheblich höheren Kosten, die nicht eingepreist sind und auch eine der Parteien in die Insolvenz treiben könnten, wenn sie sie zu erfüllen hätte. Aufgrund der Hardship-Klausel kann sich der Lieferant darauf berufen, dass die Erfüllung des Vertrages für ihn unzumutbar ist. Der Vertrag ist dann ohne Schadensersatzansprüche – je nach Vereinbarung – für die Zukunft zu beenden oder rückabzuwickeln.

 

Höhere Gewalt im internationalen Handelsrecht

 

Gerade im grenzüberschreitenden Warenverkehr treten derzeit viele Schwierigkeiten auf. Neben einem eingeschränkten Warenangebot gibt es Ein- und Ausfuhrbeschränkungen für das Transportpersonal und mitunter auch Waren selbst, weniger Transportmöglichkeiten durch die Einschränkungen im internationalen Flugverkehr und längere Abfertigungszeiten durch weniger Personal (sei es bei den Unternehmen, sei es beim Zoll, weil dieses nun durch andere Aufgaben gebunden ist).

 

Wenn keine ausdrückliche Force Majeure- oder Hardship-Regelung getroffen wurde, muss bei internationalen Verträgen zunächst das anzuwendende Recht festgestellt werden. Häufig wird in sog. Rechtswahlklauseln geregelt, welches Recht für internationale Lieferverträge etc. gelten soll. Fehlt jedoch eine Rechtswahlklausel (z. B. auch wegen einander widersprechender AGB), so gilt nach einem weltweit verbreiteten Prinzip in der Regel das Recht am Sitz des Lieferanten. Sollte dieser Staat – wie z. B. Deutschland – ein Mitglied des CISG sein, so gilt CISG, wenn es nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist. Das CISG stellt einen ausgewogenen Kompromiss zwischen Verkäufer- und Käuferinteressen dar. Über 85 % des deutschen Außenhandels werden mit CISG-Mitgliedsstaaten abgewickelt, die Chance ist also groß. Anderenfalls müssen sich Abnehmer über das (vielleicht inhaltlich in einigen Punkten überraschende) Recht am Sitz des Lieferanten informieren oder nachträglich eine einvernehmliche Lösung finden.

 

In internationalen Verträgen, auf die das CISG anzuwenden ist, sind neben dem Vertragstext auch besondere gesetzliche Bestimmungen zu Leistungshindernissen anzuwenden (Art. 79 CISG). Danach schuldet eine Partei keinen Schadensersatz, soweit die Nichterfüllung auf einem Hinderungsgrund beruht, der außerhalb ihres Einflussbereichs liegt und der entweder bei Vertragsschluss vernünftigerweise nicht vorhersehbar war oder der Hinderungsgrund bzw. seine Folgen für die Partei nicht überwindbar oder vermeidbar sind. Die Hürden sind hoch. In Betracht kommen als Hinderungsgrund behördliche Anordnungen, z. B. wenn das Personal zum Aufbau einer Produktionsanlage plötzlich nicht mehr einreisen kann und geeignete Mechaniker vor Ort nicht aufzutreiben sind. Bei Vertragsabschlüssen nach Ausbruch der Pandemie kann man diese als Hinderungsgrund aber nicht mehr geltend machen, da ihre Folgen nun vorhersehbar sind. 

 

Daneben bestehen die Erfüllungsansprüche und sonstigen Rechte und Pflichten der Parteien aus Vertrag (z. B. Vertragsstrafen) und CISG (z. B. Rücktrittsrechte) fort. Der Lieferant ist verpflichtet, auch extreme Preisschwankungen hinzunehmen (sogar bis zur Verdreifachung des Marktpreises – OLG Hamburg, 28.02.1997, CISG-online 261), da die Beschaffung des zuliefernden Gegenstands in seinem Risiko liegt. Soweit er nicht liefern kann, schuldet er keinen Schadensersatz. Es obliegt dem Lieferanten, seinen Abnehmer zu informieren. Versäumt er dies, haftet er für alle Schäden, die durch die Verzögerung entstanden sind.

 

Es besteht unter Geltung des CISG keine Rechtspflicht zur vertraglichen oder die Befugnis zur richterlichen Vertragsanpassung bei wirtschaftlicher Unmöglichkeit. Im Ausnahmefall kann aber auch der Erfüllungsanspruch erlöschen, wenn die Erfüllung unter Berücksichtigung der Vereinbarungen und des guten Glaubens im internationalen Handel wegen des Hinderungsgrunds nicht mehr zumutbar ist.

 

Kein Verzug bei Vorliegen höherer Gewalt

 

Da sich die Probleme des internationalen Handels in der deutschen Lieferkette fortsetzen, stellt sich die Frage nach der rechtlichen Beurteilung der Auswirkungen der Corona-Pandemie auch im innerdeutschen Handel. Im deutschen BGB hat die höhere Gewalt bislang nur eine Randbedeutung gehabt. Grundgedanke der Haftung im deutschen Vertragsrecht ist der Umstand des Verschuldens. Ein Verschulden ist aber in den Fällen von höherer Gewalt in der Regel gerade nicht gegeben, so dass z. B. der Verzug nicht eintritt. Die deutsche Rechtsprechung sieht – verkürzt gesagt – „höhere Gewalt“ als ein für die Parteien unvorhersehbares, unvermeidbares und außergewöhnliches Ereignis an, wobei diese Voraussetzungen im Einzelfall stets genau zu prüfen sind. 

 

Trotzdem könnte ein Lieferant vereinbarte Vertragsstrafen verwirkt haben. Soweit es sich um AGB (auch Standardvertragsmuster!) handelt, könnte es sich aber lohnen, die Wirksamkeit der betreffenden Regelungen anwaltlich überprüfen zu lassen.

 

Leistungsbefreiung bei Unmöglichkeit

 

Eine vollständige Leistungsbefreiung kann in Fällen der Unmöglichkeit nach § 275 BGB vorliegen. Hierbei unterscheidet man absolute/faktische Unmöglichkeit (objektiv und subjektiv), Unmöglichkeit aufgrund unverhältnismäßig großen Aufwandes und die Unmöglichkeit bei persönlich zu erbringenden Leistungen. 

 

Die absolute Unmöglichkeit wird im Warenhandel selten vorliegen. Soweit Lieferengpässe bestehen, kann es sich um Fälle der Unmöglichkeit wegen unverhältnismäßigen Aufwands handeln. Wenn der Aufwand, den der Lieferant betreiben muss, um seine Leistung tatsächlich zu erbringen, im Verhältnis zur Gegenleistung schlicht unzumutbar ist, liegt ein Fall der Unmöglichkeit vor. Die persönliche Unmöglichkeit kann vor allem bei Dienst- und Arbeitsverträgen vorliegen. Sie ist aber auch bei Beraterverträgen denkbar.

 

Liegt eine Unmöglichkeit vor, muss der betroffene Vertragspartner nicht mehr leisten, verliert aber auch den Anspruch auf die Gegenleistung. Soweit der Vertragspartner eine Gegenleistung bereits empfangen hat, ist diese zurückzugeben. Grundsätzlich besteht aber ein Schadensersatzanspruch, es sei denn, diejenige Partei, deren Leistung unmöglich geworden ist, kann nachweisen, dass sie die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat. 

 

Die vorübergehende Unmöglichkeit ist in Deutschland gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Die Regelung zur Unmöglichkeit wird aber zumindest so angewendet, dass der Leistungsanspruch vorübergehend nicht geltend gemacht werden kann. Der Erfüllungsanspruch und der Anspruch auf die Gegenleistung leben wieder auf, sowie das Leistungshindernis beseitigt ist. Der andere Vertragspartner kann aber unter Umständen nach Fristsetzung vom Vertrag zurücktreten. Ein Schadensersatzanspruch entsteht nur, wenn der Lieferant die Unmöglichkeit verschuldet hat. Im Einzelfall kann durch den Zeitablauf die vorübergehende in eine dauernde Unmöglichkeit übergehen, wenn der Vertragszweck durch die andauernde Unmöglichkeit derart in Frage gestellt ist, dass einem der Vertragspartner das Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann. 

 

Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage

 

Wenn die Unmöglichkeit nicht vorliegt, können nachrangig im deutschen Recht die Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage eingreifen. Nach § 313 f. BGB besteht in besonderen Ausnahmefällen die Möglichkeit, ein Vertragsverhältnis anzupassen, wenn die Geschäftsgrundlage sich nach Vertragsschluss auf eine Art und Weise verändert, die die Vertragspartner nicht voraussehen können, und das Festhalten am Vertrag unzumutbar wäre. Es ist durchaus zu überlegen, ob sich bei den gegebenen Rahmenbedingungen die maßgebliche Geschäftsgrundlage in der Art geändert hat. Zu beachten ist aber, dass die die Verwirklichung von Risiken, die eine Partei nach den Vereinbarungen trägt, nicht als Störung der Geschäftsgrundlage gilt. Zum anderen handelt es sich hier um Einzelfallrechtsprechung, so dass eine anwaltliche Beratung notwendig ist.

 

Bei Störung der Geschäftsgrundlage besteht grundsätzlich die Verpflichtung zur Vertragsanpassung oder – bei besonders schwerwiegenden Störungen – gar ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht. Hier kommt es darauf an, ob die Vertragsdurchführung für die Parteien noch zumutbar ist. Regelmäßig wird hier die Anpassung von Fristen im Vordergrund stehen. Preisschwankungen sind in der Regel das Risiko des Lieferanten und berechtigen nicht zur Vertragsanpassung.

 

Fazit

 

In vielen aktuellen Fällen ist nicht klar zu bestimmen, ob sich Liefer- und/oder Beschaffungsprobleme schon „höhere Gewalt“ oder gar „Unmöglichkeit“ darstellen oder noch als sog. Leistungserschwerung (Störung der Geschäftsgrundlage oder „hardship“) einzuordnen sind. Soweit eine einvernehmliche Lösung mit dem Abnehmer nicht gefunden werden kann, kann sich ein Lieferant bei unvorhergesehenen, unverschuldeten Lieferproblemen – zumindest zeitweise – von seinen Leistungspflichten ohne weitere Haftung befreien. Ob eine solche Möglichkeit besteht, richtet sich aber nach den Umständen des Einzelfalls unter Abwägung der jeweiligen Rechtsfolgen, daher ist eine rechtliche Beratung zu empfehlen.

 

PRAXISTIPPS

  • Überprüfen Sie bei Lieferschwierigkeiten Ihre Verträge auf Höhere-Gewalt- und Verzugsklauseln.
  • Informieren Sie möglichst schnell Ihre Abnehmer und Ihre Versicherung.
  • Wenn möglich, vereinbaren Sie die Anpassung von Fristen.

Beitragsnummer: 6767

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