Dienstag, 21. April 2020

Ein Stresstest im Stresstest

Anlassbezogene Betrachtung von Risikoinventur und Stresstests in Zeiten der Corona-Pandemie.

Tim-Oliver Engelke, Spezialist Controlling, Abteilung Finanzmanagement, Sparda-Bank Hessen eG

 

Selbst die pessimistischsten Experten hätten mit Auftreten der ersten Fälle des Coronavirus im Dezember 2019 wohl nicht antizipiert, welche Auswirkungen dies auf die gesamte Bevölkerung und Weltwirtschaft haben wird. Allein der DAX hat von seinem Höchststand am 19.02.2020 bis zum bisherigen Tiefpunkt am 18.03.2020 knapp 38,8 % eingebüßt. Im von Anfang April bis Anfang Juni 2019 durchgeführten LSI-Stresstest wurde bezogen auf Marktpreisrisiken ein Wertverlust für Aktienpositionen von 30,7 % angenommen. Ohne die zusätzlichen Auswirkungen des Coronavirus auf die weiteren Risikoarten zu betrachten, kann man allein aus diesem Umstand schließen, dass wir uns derzeit bereits in einem realen Stresstest befinden.

 

Dies hat auch die europäische Aufsicht anerkannt und den für 2020 angesetzten EBA-Stresstest auf 2021 verschoben (EBA 2020). Auch die deutsche Aufsicht ist diesem Beispiel gefolgt und hat den für 2021 geplanten LSI-Stresstest auf das Jahr 2022 angesetzt (BaFin 2020a). Des Weiteren wurde seitens der EZB und der BaFin die Möglichkeit geschaffen, die Eigenmittelzielkennziffer bzw. die Säule-2-Empfehlung (P2G), welche explizit als Kapitalpuffer für Stressphasen innerhalb der letzten Jahre eingeführt wurde, ohne unmittelbare Auswirkungen bis auf Weiteres zu unterschreiten (BaFin 2020b).

 

SEMINARTIPPS

10. Kölner Risikomanagement-Tagung 2020, 25.–26.05.2020, Köln.

Aufsichtliche Mängel in Risikomessverfahren – Institute in der Pflicht, 26.10.2020, Frankfurt/Offenbach.

 

Anlassbezogene Risikoinventur und Stresstests

 

Die Frage ist daher, wie sich die geschilderten Auswirkungen auf die derzeitige Gesamtbanksteuerung in den Instituten auswirken. Hier sei sowohl auf die Risikoinventur gemäß MaRisk AT 2.2 Tz. 1 als auch auf die Stresstests gemäß AT 4.3.3 Tz. 2 verwiesen, welche sowohl regelmäßig als auch anlassbezogen durchzuführen sind.

 

Im Fokus der Risikoinventur steht die Identifizierung aller wesentlichen Risiken, sowie damit einhergehender Risikotreiber und -konzentrationen. Anlassbezogen sollten die Institute zwar keine komplett neue Risikoinventur durchführen, jedoch bietet sich in Zeiten der Corona-Pandemie speziell die Analyse von Risikokonzentrationen an. Hier kann sich die Einschätzung der Bedeutung einzelner Branchen- bzw. Länderkonzentrationen aufgrund der aktuellen Entwicklungen durchaus geändert haben. Aufbauend auf den Erkenntnissen der anlassbezogen Risikoinventur kann dann ein zugehöriger Stresstest durchgeführt werden. Um neben den weiter durchzuführenden turnusmäßigen Stresstests einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu leisten, könnten derartige anlassbezogene Stresstests speziell eine inverse Sichtweise einnehmen. Das Institut kann demnach analysieren, wie stark beispielsweise der DAX noch fallen oder die Spreads noch steigen könnten, bis sich deutliche Auswirkungen auf die Kapitalanforderungen innerhalb der Kapitalplanung ergeben.

 

Die Corona-Pandemie kann sich je nach Risikoart durch unterschiedliche Risikotreiber und
-konzentrationen manifestieren. Dies wird nachstehend exemplarisch dargestellt. Da sich das Thema der Corona-Pandemie zudem täglich weiterentwickelt, sei bezüglich der einzelnen Risikoarten auf aktuelle Zeitungsartikel verwiesen. Dies soll verdeutlichen, dass die Annahmen der Stresstests derzeit nicht mehr nur noch auf hypothetischen Gedankenspielen, sondern tatsächlichen Entwicklungen basieren.

 

BUCHTIPPS

Geiersbach/Prasser (Hrsg.): Praktikerhandbuch Stresstesting 4. Aufl. 2020.

Janßen/Riediger (Hrsg.): Praktikerhandbuch Risikoinventur, 2. Aufl. 2019.

 

Auswirkungen auf Marktpreisrisiken

 

Marktpreisrisiken in Zeiten von Corona können sich primär im Rahmen von gesteigerten Zinsänderungs- und Aktienkursrisiken darstellen. Im Rahmen der normativen Perspektive der Risikotragfähigkeit können eintretende Marktpreisrisiken durch steigende Zinsen oder sinkende Aktienkurse zu einem gesteigerten Bewertungsergebnis der Wertpapiere führen. Des Weiteren ist auch perspektivisch mit einem Rückgang der Dividendenerträge zu rechnen, was ebenfalls zu einem sinkenden Betriebsergebnis führen würde. Hierbei sei speziell auf die Empfehlungen der BaFin bezüglich des Verzichts auf Dividendenausschüttungen für Banken verwiesen (BaFin 2020c).

 

Institute sollten speziell im Rahmen des Aktienkursrisikos ihr gesamtes Portfolio, inklusive Positionen in bestehenden Fonds, auf Corona-sensitive Branchen- und Länderkonzentrationen untersuchen. Gemäß einer Exklusivstudie der Boston Consulting Group gelten speziell die Automobil-, Chemie-, Elektrotechnik-, Luftfahrt-, Metall- und Tourismusindustrie als besonders von den Folgen von Corona betroffen (Manager Magazin 2020). Bezüglich etwaiger Länderkonzentrationen könnte das Portfolio zudem exemplarisch auf italienische Staats- oder Bankenanleihen untersucht werden. Italien wurde in Europa besonders verheerend von den Auswirkungen des Virus getroffen. Zudem ist für Italien aufgrund der Bedeutung der Branchen Tourismus, Luftfahrt und Handel mit weiteren schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen zu rechnen (Spiegel Wirtschaft 2020).

 

Derartige Entwicklungen sollten beispielsweise über szenariobedingte Wertabschläge in der Risikomessung berücksichtigt werden. Die Bundesbank teilte ersten Banken bereits mit, frühzeitig informiert werden zu wollen, falls signifikante Verluste bezüglich eintretender Kredit- oder Marktpreisrisiken zu erwarten sind.

 

Auswirkungen auf Kreditrisiken

 

Bezüglich der Auswirkungen der Kreditrisiken sei speziell zwischen dem Kundengeschäft und dem Eigengeschäft zu unterscheiden. Im Rahmen des Kundengeschäfts ist speziell mit steigenden Ausfallwahrscheinlichkeiten oder sinkenden Sicherheitenwerten zu rechnen. Auf das Firmenkundengeschäft bezogen sollten speziell kleinere und mittlere Institute untersuchen, ob größere Kredite an Unternehmen innerhalb der Gastronomie-, Baugewerbe- oder Automobilzuliefererbranche vergeben wurden. Aufgrund der Zwangsschließung in Deutschland leiden diese Branchen besonders unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie (Handelsblatt 2020a). Dies sollte bei besonders hohen Einzelengagements laufend beobachtet werden und kann ggf. zu einer anlassbezogenen Neubewertung führen.

 

Für das Eigengeschäft kann zudem mit Spreadausweitungen im Zuge von Ratingherabstufungen und Bonitätsveränderungen gerechnet werden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Europa von bis zu 7,5 % (WELT 2020). Daher ist speziell in der Zukunft mit einem Anstieg der Bonitätsherabstufungen einzelner Unternehmen zu rechnen. Moody’s hat bereits erst kürzlich BMW von A1 auf A2 herabgestuft und erwägt weitere Ratingverringerungen speziell im Zusammenhang mit der Automobilbranche (Frankfurter Allgemeine 2020).

 

Die Entwicklungen im Kunden- und Eigengeschäft können zu einer erhöhten Limitauslastung des Kreditrisikos in der Risikotragfähigkeit sowie einem gesteigerten Bewertungsergebnis und demnach einer Belastung in der GuV führen.

 

Auswirkungen auf Liquiditätsrisiken

 

Erhöhte Liquiditätsrisiken können sich in Zeiten der Corona-Pandemie primär in einem erhöhten Abzug von Kundeneinlagen oder der gesteigerten Ziehung von Linien manifestieren. Die Bundesbank äußerte bereits die Erwartungshaltung, rechtzeitig einen Hinweis erhalten zu wollen, falls eine signifikante Erhöhung der Bargeldnachfrage seitens des Instituts bemerkt wurde oder antizipiert wird. In Österreich wurde speziell zu Beginn des Ausbruchs festgestellt, dass sich die Bargeldabhebungen in einigen Instituten verdoppelt bis verdreifacht haben (Handelsblatt 2020b). Auch die Bundesbank konnte speziell in der Woche ab dem 16.03.2020 eine deutliche Steigerung der Bargeldnachfrage feststellen (FAZ 2020). Aufgrund derartiger Entwicklungen haben bereits einige Banken in Deutschland ein Limit für Abhebungen an den Automaten festgesetzt (FAZ 2020 oder auch Stuttgarter Nachrichten 2020).



 

Die Banken sollten ihre Annahmen bezüglich der erwarteten Mittelzuflüsse und -abflüsse im Rahmen der gemäß MaRisk BTR 3.1 Tz. 3 zu erstellenden Liquiditätsübersichten anpassen. Hier sollten szenariobedingte Zunahmen der Mittelabflüsse innerhalb der Liquiditätssteuerung analysiert werden, um zu eruieren, ob daraus Verkürzungen des Überlebenshorizonts zu erwarten sind.

 

Praxistipps

 

  • Analysieren Sie im Rahmen der anlassbezogenen Risikoinventur, ob im Zusammenhang mit Markt- und Kreditrisiken bestimmte Branchen- und Länderkonzentrationen bestehen.
  • Betrachten Sie die Entwicklung bestehender größerer Einzelengagements innerhalb Ihres Kreditbestands.
  • Analysieren Sie im Sinne einer inversen Betrachtung, welche Marktentwicklungen deutliche Auswirkungen auf Ihre Kapitalquoten haben könnten.
  • Eruieren Sie bei deutlichen Risikosteigerungen eine Umwidmung von Wertpapieren in das Anlagevermögen zur Entlastung der Limite in der Risikotragfähigkeit.

 

Literaturquellen

 

BaFin (2020a): Corona-Virus - BaFin und Bundesbank verschieben den für 2021 geplanten LSI-Stresstest auf das Jahr 2022 (02.04.2020).

BaFin (2020b): FAQ - Geändert am 9. April 2020 Governance: Muss die Eigenmittelzielkennziffer auch im Krisenfall noch eingehalten werden? (25.03.2020).

BaFin (2020c): Pressemitteilung | 30. März 2020 - BaFin bekräftigt ihre Erwartung an Institute, auf Dividendenzahlungen zu verzichten (30.03.2020).

EBA (2020): FAQs on ECB supervisory measures in reaction to the coronavirus (03.04.2020).

FAZ (2020): Coronakrise und Bargeld – Ist Bares nur Wahres? (01.04.2020).

Frankfurter Allgemeine (2020): Corona drückt die Bonität der Unternehmen – Vielen Kreditratings droht Herabstufung (27.03.2020).

Handelsblatt (2020a): KfW-Förderprogramme – Bundesregierung prüft die Ausweitung des KfW-Hilfspakets (18.03.2020).

Handelsblatt (2020b): Banken dünnen wegen Corona ihr Filialnetz aus (17.03.2020).

Manager Magazin (2020): CORONA - Was Deutschlands Branchen erwartet, zeigt eine Exklusivstudie, Ausgabe 4/2020, S. 32.

Spiegel Wirtschaft (2020): Freier Fall - Italiens Wirtschaft in der Coronakrise (26.03.2020).

Stuttgarter Nachrichten (2020): Bundesbank – Bargeldversorgung gesichert (23.03.2020).

WELT (2020): IWF prophezeit größten weltweiten Wirtschaftseinbruch seit 90 Jahren (16.04.2020).


Beitragsnummer: 6485

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