Dienstag, 28. April 2020

Kontinuität und Konzentration

Das Interne Kontrollsystem in Zeiten von Corona.

Henning Riediger, Prüfungsleiter, Deutsche Bundesbank Hannover

 

Der Beitrag spiegelt ausschließlich die persönliche Meinung des Referenten und nicht notwendigerweise die der Deutschen Bundesbank wider.

 

„In der Krise beweist sich der Charakter.“ – wer hat dies gesagt? Helmut Schmidt. Diese Aussage gilt für die Banken in der Corona-Pandemie im Jahr 2020 wie folgt: In der Krise beweist sich das Interne Kontrollsystem! Die deutschen Institute sind im ersten Quartal 2020 vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Zunächst sind und waren diese Herausforderungen organisatorischer Natur: Wie halte ich den Betrieb auch unter den Pandemieeinschränkungen am Laufen? Welche Ausweichkonzepte sind jetzt sinnvoll umsetzbar? Welche Ressource benötige ich dringend bzw. wo kann ich Abstriche machen? All jene, die bisher ihre Hausaufgaben im Bereich des Business Continuity Managements in den letzten Jahren gemacht haben, sind vergleichsweise solide durch den Beginn der Pandemie gekommen. Jetzt zahlen sich Konzepte zu Ausweicharbeitsplätzen, alternative Kommunikationsformen und Notfallsensibilität aus.



BUCHTIPP

Geiersbach/Prasser (Hrsg.): Praktikerhandbuch Stresstesting 4. Aufl. 2020.


 

Sind die oben angeführten organisatorischen Fragen beantwortet und umgesetzt, kommen die strategisch wichtigeren Fragen: Wie richte ich meine Geschäftsaktivitäten aus? Welches Geschäft lasse ich zu und was nicht? An welchen Stellen bzw. bei welchen Kunden bin ich bereit, ein höheres Risiko einzugehen als bisher oder auch als ich bisher wollte? Es ist die Zeit der Macher und Entscheider – siehe Schmidt! Zeit für Pragmatismus auch im Internen Kontrollsystem? Ja, aber nur auf Basis der Einhaltung der grundlegenden Maßgaben (z. B. Funktionstrennung, Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen) der qualitativen Anforderungen an das Betreiben des Bankgeschäfts.



SEMINARTIPPS

(Neue) IKS-Kontrolltests im (LSI-)SREP, 25.06.2020, Frankfurt/M.

IKS Kompakt: Aufbau & Prüfung von Schlüsselkontrollen, 07.10.2020, Frankfurt/M.


 

Es zeichnen sich bereits deutliche Auswirkungen im Bereich des Kundenkreditgeschäfts ab. Ganze Branchen und Wirtschaftszweige geraten durch den Lockdown in Solvenz- und Liquiditätsengpässe. Jetzt zeigt sich, wer es vorab mit den Themen der Risikokonzentrationen in den Portfolios ernst gemeint hat. Wer sich im Rahmen der Risikoinventur mit seinen Ertrags- und Risikokonzentrationen intensiv beschäftigt hat, kann am ehesten ableiten, aus welcher Richtung Belastungen für das eigene Institut drohen und kann durch diesen zeitlichen Vorteil im Bereich der Risikofrüherkennung eher gegensteuern, als ein Institut, wo Themen wie Risikoinventur, Strukturvorgaben und -limite sowie Stresstests als notwendige Übel betrachtet wurden. Natürlich hat keiner eine Krise in dieser Form antizipiert – gut, wenn ich jetzt jemanden Unrecht zufüge – die wenigsten, habe eine Krise in dieser Form antizipiert. Was meine Kollegen und ich seit Jahren hören, wenn wir auffordern mal über die „Finanzkrise 2007/08“ hinaus zu denken: „Das ist doch unrealistisch!“ Gefangen im Narrativ der eigenen Daten. Auch von uns hat dies keiner in dieser Form so vorausgesagt, aber dass die nächste Krise andere Herausforderungen bringen würde, war erwartbar. Mein Lieblingszitat an dieser Stelle (dieses Mal nicht von Helmut Schmidt): „Der Rückspiegel ist kleiner als die Frontscheibe!“


INHOUSETIPP

IKS Kompakt: Aufbau & Prüfung von Schlüsselkontrollen.


 

Nicht wenige Institute reagieren jetzt mit zusätzlichen Portfolioanalysen. In der Gesamtschau werden die Risikokonzentrationen transparent aufgearbeitet und die Verlustpotenziale szenariobasiert abgeleitet. Dies stellt nicht nur ein Backtesting, sondern auch einen Stresstest für die bisherigen Risikomessverfahren dar. Gerade eine zu stark ausgeprägte Modellgläubigkeit kann und wird an der ein oder anderen Stelle deutlich ins Wanken geraten. Auch hier zeigt sich eine negative Entwicklung in der Vor-Corona-Zeit: Häufig wurde den modelltheoretischen Risikowerten eine zu hohe Bedeutung gegenüber weiteren Steuerungs- und -überwachungsinstrumenten eingeräumt. Wenn das Risikomodell bestimmte Risikoausprägungen (z. B. Gruppen- oder Branchenkonzentrationen) nicht enthält, hilft auch das Kalibrieren auf die 38. Nachkommastelle wenig. Dann sind weitere Strukturvorgaben sinnvoll und notwendig. Gezielt relevante Strukturdaten zu erheben und (neudeutsch!) zu challengen, ist das Gebot der Stunde. Hierbei hat es sich gezeigt, dass es dann hilfreich ist, den Berichtsturnus für die Kenngrößen in der derzeitigen Situation ad-hoc zu verkürzen, um nicht zu lange auf „frische Daten“ warten zu müssen. Rechtzeitigkeit der Risikofrüherkennung – eine heilige Kuh der MaRisk!


BERATUNGSTIPP

IKS Kompakt: Aufbau & Prüfung von Schlüsselkontrollen.

 

Durch die Verwerfungen an den Finanzmärkten ergaben sich deutlich höhere Auslastungen im Bereich der Kurswertrisiken bei der Überprüfung der Risikotragfähigkeit. Teilweise haben sich bei Instituten die ausgewiesenen Risikobeträge verdoppelt oder sogar vervielfacht. Hierbei ist zu beachten, dass der Anstieg zumeist nicht aus einem veränderten Risikomessverfahren resultiert, sondern sich maßgeblich mit dem Abschmelzen der vorhandenen stillen Reserven begründet. Diese Reserven werden häufig mit den ermittelten Risikobeträgen verrechnet, um das Abschreibungsrisiko „netto“ auszuweisen. Bei der Verwendung von Annex-Ansätzen (i. S. d. „alten Going-Concern-Ansatzes) ist dieses Vorgehen zulässig. Die Bankgeschäftlichen Prüfer haben jedoch bereits vor der Corona-Krise wiederholt die Darstellung in Risikoberichten der Institute kritisiert, wenn lediglich das Netto-Ergebnis ausgewiesen wird, ohne im Bericht die tatsächlichen Verhältnisse von Risiken und Reserven auszuweisen. Nach den Corona-Schwankungen der letzten Wochen dürfte sich damit auch so mancher Aufsichtsrat die Augen reiben, was sein Institut denn „auf einmal“ für hohe Kurswertrisiken aufweist.

 

Gerade zum Jahresende 2019 haben die Institute ihre Geschäfts- und Kapitalplanung finalisiert und müssen nunmehr die aktuellen Entwicklungen im Basisszenario einarbeiten. Die derzeitige Pandemie mit ihren offensichtlichen Auswirkungen auf das Wirtschaftsgeschehen haben viele Erwartungen der Planungen der Institute überholt. Jetzt gilt es, diese aktualisierten Erwartungen institutsindividuell anzupassen, ggf. muss bei neueren Erkenntnissen nachjustiert werden. Bitte beachten Sie dabei folgenden Zusammenhang: Das adverse Szenario bleibt auch weiterhin die negative Abweichung von der (nunmehr aktualisierten) Planung.

 

Die Aufsichtsbehörden haben bisher angemessen reagiert und insbesondere Übergangsregelungen ermöglicht, damit temporäre Schwierigkeiten der Kunden des Kreditgeschäfts nicht zu weiteren Verschärfungen des Kreditengagements führen. Insbesondere die zeitweise Aussetzung der Ausfallkriterien ermöglicht es den Instituten, für die grundsätzlich gesunden Kunden angemessene Lösungswege zu finden. Nach meiner Auffassung wird die Aufsicht auch weiterhin mit Bedacht etwaige Lockerungen ermöglichen und zweckmäßige Lösungen ermöglichen. Verwundert war ich teilweise schon, dass einige ein Komplett-Aussetzen der MaRisk gefordert haben, oder insbesondere Vorgaben aus den RTF-Leitfäden oder ICAAP-Guides massiv hinterfragt wurden. So wurde teilweise vehement eine Abkehr vom Mindestkonfidenzniveau von 99,9 % in der ökonomischen Sicht gefordert. Auch durch eine Situation, wie sie jetzt vorliegt, sollte der Prozess der Überprüfung der Risikotragfähigkeit nicht in eine institutsinterne Zielwertsuche abdriften. Sämtliche qualitativen Anforderungen der Aufsicht lassen den Instituten ausreichend Spielraum, um das gelebte Interne Kontrollsystem den aktuellen Anforderungen risikoorientiert anzupassen. Eine Totalrevision wäre hier nicht zielführend.





 

Jetzt kommt beim Leser sicherlich die Frage auf: Was versteht man unter risikoorientierter Anpassung des Internen Kontrollsystems? Hierbei wäre zunächst eine klare Prioritätensetzung zu erwarten: Brauchen wir diesen Schritt jetzt zwingend unter veränderten Personalbedingungen oder können wir diese Kontrolle nachholen?! Benötigen wir die Kontrolle in diesem Umfang und Tiefe oder reduzieren wir entsprechend vor dem Hintergrund des Verlustpotenzials diese Kontrolle?! Oder es gibt sicherlich bestimmte Bereiche oder Berichtsformate, die aufgrund der volatilen Lage jetzt häufiger und intensiver genutzt werden müssen. Zitieren wir noch mal Helmut Schmidt: „In einer Zeit weltweit wachsender Probleme konzentrieren wir uns in Realismus und Nüchternheit auf das Wesentliche, auf das, was jetzt notwendig ist, und lassen anderes beiseite. Kontinuität und Konzentration – das sind die Leitworte [...].


PRAXISTIPPS

  • Definieren Sie Schlüsselkontrollen in Umfang und Tiefe für die Krisenzeit.
  • Fokussieren Sie Ihr Berichtswesen. Passen sie den Turnus an.
  • Führen Sie szenariobasierte Portfolioanalysen durch.
  • Dokumentieren Sie Ihre Entscheidungen und legen Sie Ihre Beurteilungsmaßstäbe offen.
  • Überprüfen Sie, ob Ihre Steuerungs- und Strukturlimite konsistent und noch angemessen sind.

Beitragsnummer: 6480

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