Montag, 6. April 2020

Moratorium bei Dauerschuldverhältnissen im Bereich der Grundversorgung

Eduard Meier, Rechtsanwalt, Thümmel, Schütze & Partner

Mit dem erklärten Ziel, aufgrund der Corona-Pandemie in Zahlungsschwierigkeiten geratene Verbraucher und Kleinstunternehmen nicht von Leistungen der Grundversorgung abzuschneiden, hat der Gesetzgeber im Rahmen seines am 27.03.2020 beschlossenen „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ ein weitreichendes Leistungsverweigerungsrecht eingeführt.

Für sog. „wesentliche Dauerschuldverhältnisse“ sieht Art. 240 § 1 Abs. 1 u. 2 EGBGB nunmehr ein Moratorium dergestalt vor, dass Verbraucher und Kleinstunternehmen bis zum 30.06.2020 dazu berechtigt sind, ihre Leistung zu verweigern, soweit sie hierzu aufgrund der Corona-Pandemie ohne Gefährdung ihres angemessenen Lebensunterhalts bzw. ihrer wirtschaftlichen Grundlagen nicht in der Lage sind.

SEMINARTIPPS

VerbraucherKreditRecht 2020, 22.09.2020, Frankfurt/M.

Aktuelle Rechtsfragen rund um die Baufinanzierung, 23.11.2020, Frankfurt/M.

Wesentlich sind nach der Vorstellung des Gesetzgebers solche Dauerschuldverhältnisse, welche zur Eindeckung mit Leistungen der Daseinsvorsorge erforderlich sind. Die Gesetzesbegründung zählt hierzu beispielhaft Pflichtversicherungen, Verträge über die Lieferung von Gas- und Strom oder über Telekommunikationsdienste sowie die Wasserver- und Entsorgung auf. Miet- und Pachtverträge sowie Darlehens- und Arbeitsverträge zählen nach der ausdrücklichen Regelung des Art. 240 § 1 Abs. 4 EGBGB nicht dazu.

Das Leistungsverweigerungsrecht muss vom Schuldner einredeweise geltend gemacht werden. Beruft er sich darauf, muss er grundsätzlich auch belegen, dass er gerade wegen der Corona-Pandemie nicht leisten kann. Es ist absehbar, dass diese notwendige Kausalität in der Praxis erhebliche Anwendungsprobleme bereiten wird. Das Gesetz führt weder aus, ob die Corona-Pandemie die einzige oder zumindest die (weit) überwiegende Ursache für die Leistungsunfähigkeit darstellen muss, noch ob die Pflicht zum Nachweis der Ursächlichkeit materielle Voraussetzung des Leistungsverweigerungsrechts oder lediglich eine Beweislastregelung darstellt. Die damit verbundenen Unsicherheiten machen die Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts aus Sicht des Schuldners nicht ungefährlich.

Macht der Verbraucher bzw. Kleinstunternehmer von dem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch, bleibt die Leistungspflicht zwar grundsätzlich bestehen und muss nach Ablauf des Moratoriums auch erfüllt werden. Das Leistungsverweigerungsrecht hindert aber für die Dauer des Moratoriums deren Durchsetzbarkeit und damit einhergehend auch die Entstehung von Sekundäransprüchen und -rechten (z. B. Ersatz von Verzugsschäden einschl. Verzugszinsen, Kündigung etc.). Dies gilt sowohl für „neue“ Forderungen als auch für solche, die bereits bei Inkrafttreten des Gesetzes fällig waren; ein bei Inkrafttreten bereits bestehender Verzug wird für die Dauer des Moratoriums suspendiert. Hinzu kommt, dass wegen § 390 BGB eine Aufrechnung mit diesen Forderungen durch den Vertragspartner – etwa gegen bestehendes Guthaben des Verbrauchers – für die Dauer des Moratoriums ebenfalls ausscheidet.

Unklar ist, welche Auswirkungen das Gesetz auf bereits titulierte Ansprüche hat. Soweit die Gesetzesbegründung an einer Stelle davon spricht, dass das Leistungsverweigerungsrecht auch die „Vollstreckbarkeit“ hindere, dürfte es sich dabei im Hinblick auf den nachfolgenden Inhalt zwar um eine Verwechslung mit dem Begriff „Durchsetzbarkeit“ handeln. Gleichwohl spricht einiges dafür, dass das Leistungsverweigerungsrecht auch im Wege der Vollstreckungsabwehrklage geltend gemacht werden kann, mit der Folge, dass eine Zwangsvollstreckung erst mit Beendigung des Moratoriums wieder zulässig würde. Problematisch dürfte auch der Umgang mit noch nicht titulierten, aber bereits rechtshängig gemachten Forderungen sein, da der entsprechenden Klage nachträglich vorbergehend die Grundlage entzogen wird.

Der Wortlaut des Art. 240 § 1 EGBGB enthält keine Hinweise darauf, dass der jeweilige Vertragspartner bei Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts weiterhin – im Sinne einer für die Dauer des Moratoriums bestehenden Vorleistungspflicht – uneingeschränkt zur Leistungserbringung verpflichtet sein soll. Gegen die Annahme einer Vorleistungspflicht spricht – neben erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken –, dass das hier vorgesehene Leistungsverweigerungsrecht an der Fälligkeit des Anspruches zunächst einmal nichts ändert. Insoweit können – außer bei einer Stundung – grundsätzlich auch einredebehaftete Ansprüche fällig sein. Demnach ist der Vertragspartner aufgrund von Zahlungsrückständen zwar für die Dauer des Moratoriums nicht berechtigt, den Vertrag zu kündigen, es bliebe ihm jedoch im Hinblick auf künftige Leistungen unbenommen, sich seinerseits auf Leistungsverweigerungsrechte wie etwa das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB oder die Einrede des nicht erfüllten Vertrages nach § 320 BGB zu berufen. Selbst wenn man von einer Vorleistungspflicht des Vertragspartners ausginge, stünde diesem zumindest die Unsicherheitseinrede nach § 321 BGB zu, wonach die Vorleistungspflicht entfällt, soweit nach Abschluss des Vertrags erkennbar wird, dass der Anspruch auf die Gegenleistung durch mangelnde Leistungsfähigkeit des anderen Teils gefährdet wird. Für die Annahme einer unbedingten Vorleistungspflicht ließe sich allenfalls einwenden, dass der mit Art. 5 verfolgte Zweck, Verbraucher und Kleinstunternehmer nicht von Leistungen der Grundversorgung abzuschneiden, andernfalls weitestgehend ausgehöhlt würde. Jedoch hätte es dem Gesetzgeber dann auch oblegen, eine diesem Zweck genügende Formulierung in das Gesetz aufzunehmen.

Zur Wahrung der Verfassungskonformität hat sich der Gesetzgeber dazu veranlasst gesehen, in Art. 240 § 1 Abs. 3 EGBGB eine Härteklausel zugunsten des Vertragspartners einzuführen. Danach scheidet die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts aus, wenn dies für den Vertragspartner unzumutbar wäre. In diesem Fall kann der Verbraucher bzw. der Kleinstunternehmer das Dauerschuldverhältnis – wohl ohne Einhaltung einer Frist – kündigen. Wie letzteres dem Verbraucher helfen soll, die für ihn notwendige Grundversorgung sicherzustellen, bleibt offen.

Zuletzt gilt das Leistungsverweigerungsrecht nur für solche Verträge, welche vor dem 08.03.2020 geschlossen worden sind. Als Grund hierfür wird die mangelnde Schutzwürdigkeit späterer Vertragsabschlüsse angeführt, nachdem zu diesem Zeitpunkt die möglichen Auswirkungen der Corona-Pandemie bekannt waren oder zumindest hätten sein müssen. Diese Begründung erscheint im Hinblick darauf, dass das Leistungsverweigerungsrecht nur für – regelmäßig (faktisch) nicht verzichtbare – Verträge der Daseinsvorsorge gilt, ebenfalls etwas fragwürdig. 


Beitragsnummer: 6470

Beitrag teilen:

Beiträge zum Thema:

Beitragsicon
Leistungsverweigerungsrecht des Darlehensgebers nach Widerruf

BGH bestätigt Leistungsverweigerungsrecht des Darlehensgebers nach Widerruf eines AVD.

27.06.2022

Beitragsicon
BGH: Rolle rückwärts bei Widerruf von Allgemein-Verbraucherdarlehen

Der BGH entschied aktuell, dass ein Kreditnehmer kein fortdauerndes Widerrufsrecht hat, auch wenn die erteilte Angabe einer Klauselkontrolle nicht standhalte.

21.03.2024

Beitragsicon
Dauer der Speicherung von Daten aus öffentlichen Verzeichnissen

Grundlage für die Speicherung der Daten aus dem Insolvenzregister ist eine vorzunehmenden Interessenabwägung des Kunden und der Kreditwirtschaft.

15.01.2024

Um die Webseite so optimal und nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten, werten wir mit Ihrer Einwilligung durch Klick auf „Annehmen“ Ihre Besucherdaten mit Google Analytics aus und speichern hierfür erforderliche Cookies auf Ihrem Gerät ab. Hierbei kommt es auch zu Datenübermittlungen an Google in den USA. Weitere Infos finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen im Abschnitt zu den Datenauswertungen mit Google Analytics.