Montag, 2. April 2018

100 Tage MiFID II – erste Erfahrungen aus der Praxis

Sabine Warner, Chief Compliance Officer, Volksbank in der Ortenau

Nach monatelangen Vorbereitungen in diversen Projekten war er da – der 03.01.2018. Gerade wegen vieler technischer Veränderungen waren wir alle gespannt, ob die geplanten wie getesteten Anpassungen auch im „echten Wertpapierleben“ funktionieren würden. Gerne möchte ich an dieser Stelle die aus unserer Sicht drei wesentlichsten Tops aus der MiFID II-Praxis thematisieren.

Sprachaufzeichnung

Wir haben wie viele andere Banken im Vorfeld überlegt, ob wir telefonische Beratung und telefonische Orders weiterhin ermöglichen wollen. Unsere Sorge war, ob zum einen die Technik funktionieren würde und zum anderen, ob im Handling mit der Sprachaufzeichnung nicht Fehler entstehen: So könnte ein Kollege vergessen die Sprachaufzeichnungsfunktion überhaupt zu betätigen oder aber auch zu spät aufzeichnen. Letztlich haben sich alle Befürchtungen nicht bewahrheitet. Nach gründlicher Schulung im Vorfeld, wer was wann und wie aufzuzeichnen hat, funktioniert die Sprachaufzeichnung insgesamt sehr gut. Sowohl die Berater, die zur Aufzeichnung berechtigt sind, als auch die ordernden Kunden haben mittlerweile die Scheu vor den Aufnahmen verloren.

Natürlich stellte sich – wie bei vielen anderen Banken – in unserem Haus die Frage, was wir bei einem technischen Ausfall der Sprachaufzeichnungsfunktion tun. Auch wenn dies bei vielen Kunden auf Unverständnis stoßen würde: Wir können und dürfen dann weder beraten noch Order erfassen. Mögliche Alternativen sind neben persönlichen Besuchen im Falle gewünschter Beratungen Faxaufträge für reine Ordergeschäfte. Man könnte im Notfall auch E-Mailaufträge zulassen, wenn der Kunde am Telefon die Authentizität des Mailauftrags bestätigt. Bislang ist eine Störung dieser Art in unserem Haus allerdings nicht eingetreten.

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Compliance-Tagung 2018, 14.–15.11.2018, Berlin.

WpHG und MaComp AKTUELL!, 26.11.2018, Frankfurt/M.



Ex-ante-Kostenerklärung

Dies ist wohl aktuell eine der größten Herausforderungen. Im „Normalfall“ funktioniert dies zwar ebenfalls sehr gut. Dank der entsprechenden Systemunterstützung wird die Ex-ante-Kosteninformation erzeugt und dem Kunden vor der Ordererfassung ausgehändigt, in sein elektronisches Postfach überstellt oder auf Wunsch auch dem Kunden zugefaxt. Soweit die optimale Situation. Allerdings kommt es nicht selten vor, dass die Erstellung der Ex-ante-Kosteninformation technisch nicht funktioniert oder der Kunde telefonisch ordert aber weder ein elektronisches Postfach, ein gewöhnliches Mailpostfach oder aber ein Faxgerät besitzt. Ebenfalls haben wir in einigen Fällen festgestellt, dass die systemseitig erzeugte Kosteninformation sogar inhaltlich falsch war. Was ist zu tun?

Da einem Kunden schwer vermittelbar ist, dass seine Order leider ohne vorherige Übermittlung der korrekten! Kosteninformation nicht ausführbar ist, haben sich viele Banken für Notlösungen entschieden, wie z. B. der ausdrücklich erklärte Verzicht des Kunden auf die vorherige Übermittlung – optimalerweise per Sprachaufzeichnung dokumentiert. Wir haben uns – bis auf den Fall der technischen einmaligen Störung – gegen die Verzichtslösung ausgesprochen, da diese aus unserer Sicht selbst bei sehr großzügiger Auslegung gesetzlich einfach nicht möglich ist. Ein technischer Ausfall bzw. ein Systemfehler der zur inhaltlichen Unrichtigkeit führt ist vom Gesetzgeber vermutlich versehentlich nicht konkret angesprochen worden.

Auch das in einigen Banken praktizierte komplette Vorlesen der Kosteninformation – dokumentiert durch die Sprachaufzeichnung – wäre ein Gesetzesverstoß – womöglich aber ebenfalls „versehentlich“ nicht im Gesetz als Möglichkeit mit aufgenommen. Diese Vorlese-Option haben wir durchaus diskutiert. Letztlich entspricht dies jedoch in den seltensten Fällen dem Kundenwunsch. Dieser will möglichst schnell seine Order platzieren und nicht vorher minutenlang Informationen anhören. Diese Vorgehensweise wird daher – da vom Kunden abgelehnt – in unserem Haus in der Regel nicht praktiziert.

Wir warten jedoch gespannt auf die angekündigte Abstimmung dieser Thematik zwischen Aufsicht und Verbänden. Sollte die Aufsicht „grünes Licht“ geben, werden auch wir allein im Interesse der Kunden ebenfalls mit der Verzichtslösung arbeiten.

Geeignetheitserklärung

Einen echten Mehr-Wert, bei allem was an Mehr-Aufwand auf Berater zukam, bietet die neue systemseitig unterstützte Geeignetheitserklärung. Viele ehemals überflüssige Angaben sind entfallen. Stattdessen werden, bei entsprechend im Gespräch vorgenommener Auswahl, die für den Kunden relevanten Passagen zur Erklärung der Geeignetheit mit sinnvollen Textbausteinen gefüllt. Wir haben unsere Berater angewiesen Freitextfelder nur noch im Falle notwendiger Plausibilisierungen, bei widersprüchlichen oder ungenauen Angaben des Kunden, zu verwenden. Damit reduzieren sich Aufwand und gleichzeitig mögliche Fehlerquellen wegen unklarer Formulierungen.

Vielen Kunden fällt allerdings die neue Form der Dokumentation kaum auf. Das Erscheinungsbild ist zum einen durchaus ähnlich. Zum anderen legen Kunden die Dokumentation einfach ohne zu lesen zu ihren Unterlagen. Das hat sich durch die neue Geeignetheitserklärung nicht verändert.

Insgesamt stellen wir in unserem Haus nach 100 Tagen fest: Wir hatten einen Orkan erwartet, aber es wurde nur ein Sturm mit einigen heftigen Böen. Wir sind zufrieden!

PRAXISTIPPS

  • Falls Ihre Sprachaufzeichnung noch hakt, geben Sie den Mitarbeitern überarbeitete Gesprächsleitfäden mit genauen Vorgaben dazu, was wann und wie aufzuzeichnen ist, mit an die Hand.
  • Überlegen Sie im Haus Notfallszenarien im Falle, dass eine Aushändigung der Ex-ante-Kosteninformation nicht möglich ist – im Zweifel fragen Sie bei Ihrem Verband an, wie Sie hier prüfungssicher agieren können.
  • Nutzen Sie die Erfahrungen aus anderen Häusern und geben Sie Ihre Erkenntnisse weiter – auch verbandsübergreifend – wir freuen uns auf einen Austausch mit Ihnen!


Beitragsnummer: 619

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