Dienstag, 8. Mai 2018

Entscheidungsserie des Bundesgerichtshofs zu Widerrufsfällen


Tilman Hölldampf, Rechtsanwalt, Thümmel, Schütze & Partner

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshof hat in einer ganzen Entscheidungsserie vom 27.02.2018 (Az. XI ZR 156/17; Az. XI ZR 160/17; Az. XI ZR 187/17; Az. XI ZR 417/17; Az. XI ZR 458/17; Az. XI ZR 474/16; Az. XI ZR 480/16) erneut zu den aktuellen Widerrufsfällen Stellung genommen, wobei insbesondere der Entscheidung zu Az. XI ZR 160/17 grundsätzliche Bedeutung zukommt.

In diesem vorgenannten Urteil stellt der Bundesgerichtshof zunächst nochmals klar, dass bei Widerrufsfällen grundsätzlich die Leistungsklage im Verhältnis zur Feststellungsklage vorrangig ist, was auch für den Widerruf verbundener Verträge gilt (Rn. 14).

Der Bundesgerichtshof weist sodann nochmals auf die Modifizierung des Beginns der Widerrufsfrist bei Vorliegen von Fernabsatzverträgen hin (BGH, Urt. v. 24.01.2017, Az. XI ZR 183/15). Der Bundesgerichtshof führt sodann weiter aus, dass im konkret zu beurteilenden Fall ein Fernabsatzgeschäft jedoch nicht gegeben sei, da dem Vertragsabschluss ein persönlicher Kontakt zwischen den Darlehensnehmern und einem Mitarbeiter der Bank in der Vertragsanbahnungsphase vorausging. Nach den dem Fernabsatzwiderrufsrecht (dessen Voraussetzungen auf das verbraucherdarlehensrechtliche Widerrufsrecht gem. § 312d Abs. 5 S. 2 BGB a.F. entsprechende Anwendung fanden) zugrunde liegenden Europäischen Richtlinien (Richtlinie 97/7/EG; Richtlinie 2002/65/EG) liegt eine Fernabsatzsituation nur in den Fällen vor, in welchen der Verbraucher nicht die Möglichkeit hat, sich in der Vertragsanbahnungsphase und/oder bei Vertragsschluss im Rahmen eines persönlichen Gespräches mit dem Unternehmer zu informieren und Rückfragen zu stellen.

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Hinsichtlich der Beweislast, ob ein Fernabsatzgeschäft vorliegt, hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil zu Az. XI ZR 187/17, Rn. 17, klargestellt, dass dann, wenn die ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln beim Vertragsschluss unstreitig ist, den Darlehensgeber die Beweislast dafür trifft, dass im Rahmen der Vertragsanbahnung ein persönliches Gespräch stattgefunden hat bzw. der Vertrag nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist.

In seinem Urteil zu Az. XI ZR 160/17, Rn. 24, stellt der Bundesgerichtshof zudem weiter klar, dass die Wirksamkeit einer Widerrufsbelehrung nicht voraussetzt, dass alle Vorgaben des § 355 Abs. 2 BGB a.F. in den Belehrungstext selbst aufgenommen werden müssen. In diesem Zusammenhang stellt der Bundesgerichtshof auch klar, dass sein Urt. v. 10.03.2009, Az. XI ZR 33/08, insbesondere die dortige Erwähnung des Begriffs „Vertragsurkunde“ nicht dahingehend misszuverstehen sei, der Verbraucher müsse zwangsweise in der Widerrufsbelehrung darauf hingewiesen werden, dass ihm seine eigene Vertragserklärung bzw. eine Abschrift derselben vorliegen müsse. Der Bundesgerichtshof stellt zudem weiter in Rn. 30 des Urteils zu Az. XI ZR 160/17 klar, dass die Aushändigung einer „Vertragsurkunde“ an den Verbraucher nicht voraussetzt, dass der Darlehensnehmer die bei seinen Unterlagen verbliebene Ausfertigung des Vertragsformulars selbst unterschrieben hat.

Im Hinblick auf die Rechtsfolgenbelehrung weist der Bundesgerichtshof unter Rn. 28 der Entscheidung zu Az. XI ZR 160/17 darauf hin, dass bei der Kombination eines Darlehensvertrages und eines Bausparvertrages, bei der die darlehensfinanzierte Ansparleistung zur späteren Tilgung des Darlehens bestimmt ist und mit der die Parteien im wirtschaftlichen Ergebnis zwei Darlehensverträge hintereinander schalten, keine verbundenen Verträge vorliegen, da diese Konstruktion von Sinn und Zweck des § 358 Abs. 3 BGB a.F. nicht erfasst werde. Auf die Frage, ob der Widerruf des Darlehensvertrages in diesem Fall über § 139 BGB auch den Bausparvertrag erfasse, müsse nicht in der Widerrufsbelehrung hingewiesen werden.

BUCHTIPP

Nobbe (Hrsg.): Kommentar zum Kreditrecht, 3. Aufl. 2018.




Der Bundesgerichthof stellt unter Rn. 29 der Entscheidung zu Az. XI ZR 160/17 weiter klar, dass es im Hinblick auf die Belehrung zu „Finanzierte Geschäfte“ unschädlich ist, wenn die Bank hinsichtlich der Formulierung „wenn sich der Darlehensgeber bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Darlehensvertrags der Mitwirkung des Unternehmers bedient“ die Formulierung „und“ anstatt „oder“ verwendet. Dies schon allein deswegen, da der Verordnungsgeber zur BGB-InfoV in seinem Muster nach Anl. 2 in der bis zum 07.12.2004 geltenden Fassung diese Formulierung selbst vorgesehen hat. Dann sei diese Formulierung auch nach dem 07.12.2004 dem Unternehmer weiterhin erlaubt und nicht zu bestanden.

Der Bundesgerichtshof hat letztlich in seinen Entscheidungen zu Az. XI ZR 480/16, Rn. 12, und Az. XI 474/16, Rn. 18, nochmals festgehalten, dass die Verwirkung des Widerrufsrechts bei beendeten Darlehensverträgen nicht deswegen verneint werden kann, da der Verbraucher von dem Fortbestand des Widerrufsrechts keine Kenntnis hatte.

PRAXISTIPP

Zunächst ist erfreulich, dass der Bundesgerichtshof nunmehr klargestellt hat, dass der Darlehensnehmer auch dann eine „Vertragsurkunde“ erhalten hat, wenn er das bei seinen Unterlagen verbliebene Exemplar des Darlehensvertrages nicht unterzeichnet hat (vgl. hierzu Hölldampf, WM 2018, S. 114, S. 120). Die Diskussion war durch die in dieser Hinsicht etwas unglückliche und von vielen Verbraucheranwälten aus dem Zusammenhang gerissene Formulierung des Bundesgerichtshofs in dessen Urt. v. 21.02.2017, Az. XI ZR 381/16, Rn. 14, entstanden, wonach eine „Vertragsurkunde“ dass von beiden Vertragsparteien unterzeichnete schriftliche Original des Vertrages sei.

Im Hinblick auf die Frage, ob ein Fernabsatzvertrag vorliegt, ist die Klarstellung des Bundesgerichtshof ebenfalls erfreulich, wonach eine Fernabsatzsituation ausscheidet, wenn der Darlehensnehmer die Möglichkeit hatte, sich im Rahmen der Vertragsanbahnung über die Konditionen des Darlehens persönlich zu informieren. Es ist mithin entgegen anderweitiger Behauptungen von Verbraucherseite nicht erforderlich, dass sämtliche Konditionen des Darlehens im Rahmen der Vertragsanbahnung im Einzelnen besprochen wurden. Die faktische Möglichkeit des Verbrauchers, diesbezüglich Nachfragen zu stellen, reicht für das Ausscheiden einer Fernabsatzsituation aus.

Da der Bundesgerichtshof jedoch in – in der Praxis gar nicht so selten vorkommenden – Fällen, in welchen das Vertragsformular zum Zwecke des Vertragsabschlusses (Unterschriftsleistung) postalisch übersandt wird, die Bank dafür in der Beweislast sieht, dass im Rahmen der Vertragsanbahnung persönliche Gespräche stattgefunden haben, ist es erforderlich, dass die Bank zu den Umständen des Vertragsabschlusses im Rechtsstreit entsprechend vorträgt. Denn es kommt durchaus vor, dass von Seiten von Verbraucheranwälten im Rahmen eines Gerichtsprozesses irgendwann das Argument angeführt wird, die Bank hätte über die fernabsatzrechtlichen Besonderheiten (§ 312 d Abs. 5 S. 2 BGB a.F.) nicht belehrt.

Zuzustimmen ist dem Bundesgerichtshof weiter bei seiner Klarstellung, dass § 355 Abs. 2 BGB a.F. nicht fordert, dass sämtliche dort genannten Voraussetzungen für den Fristbeginn in der Widerrufsbelehrung explizit wiedergegebenen werden. Teilweise wurde dieses Erfordernis im Umkehrschluss daraus hergeleitet, dass der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit betont hat, dass die erteilte Widerrufsbelehrung dann, wenn sie die gesetzlichen Anforderungen zutreffend wiedergibt, nicht zu beanstanden ist, da der Unternehmer nicht genauer belehren muss als das Gesetz selbst (BGH, Beschluss v. 27.09.2016, Az. XI ZR 309/15). Tatsächlich besteht für diesen Umkehrschluss keinerlei Anlass, da die Bank sich darauf beschränken kann, die gesetzlichen Anforderungen wiederzugeben, dies jedoch keineswegs muss, wenn sie den Fristbeginn anderweitig zutreffend beschreibt.

Zutreffend ist weiter die Klarstellung des Bundesgerichtshofs, dass bei hintereinander geschalteten Darlehensverträgen verbundene Verträge nicht vorliegen und zwar unabhängig davon, ob ein Teilbetrag des Vorfinanzierungsdarlehens auf das dahinter geschaltete Bauspardarlehen einbezahlt wird. Sinn und Zweck des Widerrufsrechts bei verbundenen Verträgen ist, den Verbraucher vor einem Aufspaltungsrisiko zu schützen, wenn er eine von ihm erworbene Ware oder Dienstleistung nicht selbst, sondern durch ein Darlehen finanziert. Eine solche Situation liegt jedoch erkennbar nicht vor, wenn der Darlehensnehmer lediglich über die Kombination unterschiedlicher Finanzierungsbausteine mehrere Darlehen zeitlich hintereinander schaltet. In dieser Situation stellt sich allein die nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilende Frage, ob ein einheitliches Rechtsgeschäft i. S. d. § 139 BGB vorliegt, worauf jedoch eine Hinweispflicht in der Belehrung nicht besteht.

Im Hinblick auf die Verwirkung des Widerrufsrechts hat der Bundesgerichtshof nochmals seine jüngst aufgestellten Grundsätze betont (vgl. Hölldampf, BTS März 2018).


Beitragsnummer: 607

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