Samstag, 21. April 2018

Abgrenzung adverses Szenario vom Stresstest – Wie schwer darf es sein?

M. Sc. Tim-Oliver Engelke, Referent Bankenaufsichtsrecht/Gesamtbanksteuerung, Bereich Regulatorik, Verband der Sparda-Banken e.V.

Im neuen Leitfaden zur aufsichtlichen Beurteilung der Risikotragfähigkeit löst sich die Aufsicht durch die Einführung der normativen und ökonomischen Risikotragfähigkeitskonzeptionen von den bisherigen Going-Concern- und Gone-Concern-Ansätzen. In der normativen Perspektive werden ein Basisszenario und ein adverses Szenario gefordert, um die Geschäftsentwicklung des Instituts über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren zu betrachten. Ergänzend zu den RTF-Konzeptionen wird zudem die Durchführung von Stresstests gem. MaRisk AT 4.3.3 verlangt.

Synonyme Verwendung der Begrifflichkeiten

Da die EZB und die BaFin bezüglich des adversen Szenarios nur von „widrigen Entwicklungen“ (BaFin, 2017) und „einem ausreichend hohen Schweregrad“ (EZB, 2017) sprechen und die Begriffe des Stresstests und des adversen Szenarios teilweise synonym verwendet werden, besteht Unklarheit über den Schweregrad des adversen Szenarios in der Kapitalplanung. Erschwerend kommt hinzu, dass es keine einheitliche Definition des Begriffs des Stresstests gibt und die EBA, EZB, BCBS und die BaFin teilweise unterschiedliche Definitionen verwenden. Des Weiteren räumt die BaFin im neuen RTF-Leitfaden den Instituten die Möglichkeit ein, das Stressszenario des schweren konjunkturellen Abschwungs als adverses Szenario im Rahmen der normativen Perspektive zu verwenden (BaFin, 2017). Dies führt demnach zu dem Problem, dass nicht eindeutig ersichtlich ist, wo das adverse Szenario aufhört und wo der Stresstest beginnt.

Um eine Art der Abgrenzung zu schaffen, ist zunächst auf die Unterscheidung von Stresstests in univariate Sensitivitätsanalysen und multivariate Szenarioanalysen zu verweisen. Im Rahmen der Szenarioanalysen können hypothetische oder historische Szenarien angewendet werden, welche sich über alle wesentlichen Risikoarten auf Gesamtinstitutsebene erstrecken. Im Zuge der Sensitivitätsanalysen werden hingegen einzelne Faktoren oder ein begrenztes Set an ausgewählten Parametern verändert.

Die nationalen und internationalen Aufsichtsbehörden beziehen sich in den Stressszenarien speziell auf die Veränderung des makroökonomischen Umfelds. Hierbei werden Auswirkungen der makroökonomischen Szenarien in einzelne Risikoparameter übersetzt und dann auf das Institut angewendet. Beispielsweise beschreibt das adverse makrofinanzielle Szenario des EU-weiten Stresstests der EBA Veränderungen im Rahmen der Arbeitslosenquote, des Bruttoinlandsproduktes, des harmonisierten Verbraucherpreisindex, Steigerungen der Insolvenzraten und starke Senkungen der Preise von Wohnimmobilien (EBA, 2018). Oftmals wird daher mit den Stressszenarien der Begriff des Krisenszenarios oder des Crashszenarios assoziiert. Im Rahmen des Stresstests sollte gewährleistet sein, dass das Institut auch in Krisenzeiten die SREP-Gesamtkapitalquote (TSCR), bestehend aus Eigenmittelanforderungen gem. Säule 1 und SREP-Zuschlag, einhält und ein Fortbestand und „Überleben“ des Instituts sichergestellt ist.

Die Kapitalplanung im Rahmen der normativen Perspektive

Im Gegensatz zum primären Gedanken der Sicherung des Fortbestands setzt die mehrjährige Kapitalplanung der normativen Perspektive den Fokus darauf, etwaige Lücken im Kapitalmanagement zu identifizieren und den Kapitalbedarf auch aus einer zukunftsgerichteten Perspektive heraus zu sichern. Die Kapitalplanung beinhaltet demnach einen klaren Steuerungsimpuls um aus für das Institut ungünstigen Entwicklungen klare Handlungsalternativen abzuleiten und Gegensteuerungsmaßnahmen zu evaluieren.

Das Planszenario bezieht sich auf die erwartete Geschäftsentwicklung des Instituts in „normalen Zeiten“. Hier wird beispielsweise von einer gewissen Erwartungshaltung bezüglich Erträgen in Form von Zins- und Provisionsüberschüssen, Kosten und Entwicklungen der risikogewichteten Aktiva (RWA) ausgegangen. Das adverse Szenario zeichnet sich durch ungünstige Entwicklungen aus, die von der Erwartung abweichen und einen schlechteren Geschäftsverlauf, ausgelöst durch Schwankungen in den Planungsannahmen implizieren. Im Sinne einer Sensitivitätsanalyse werden demnach einzelne Faktoren verändert, die beispielsweise eine Verringerung des geplanten Provisionsüberschusses, eine Erhöhung des Zinsaufwandes oder der Personalkosten bewirken können. Des Weiteren erhöhen sich beispielsweise die risikogewichteten Aktiva im Adressenausfallrisiko des adversen Szenarios durch die Anwendung erhöhter Risikogewichte ausgelöst durch einen PD-Shift. Im Bereich des Zinsrisikos ist von einer Belastung der GuV durch einen Abschreibungsbedarf gem. IDW RS BFA 3 auszugehen, da durch abrupt ansteigende Zinssätze Drohverlustrückstellungen zu bilden sind.

Abgrenzung in Bezug auf den gegebenen Schweregrad

Gemäß dem RTF-Leitfaden der BaFin muss sich das adverse Szenario „nicht zwingend“ (BaFin, 2017) durch den Schweregrad eines Stresstests auszeichnen, wobei jedoch schon von ungünstigen Umständen auszugehen ist, die einen „spürbaren Einfluss auf die zukünftige Kapitalausstattung“ (BaFin, 2017) besitzen. Fraglich ist, wie die Stärke der einzelnen Szenarien zu messen und zu vergleichen ist. Gemäß den Ergebnissen des Stresstests der EBA aus dem Jahre 2016 ist im Basisszenario von steigenden harten Kernkapitalquoten (CET1) für rund 70 % der Institute auszugehen (EBA, 2017). Im adversen Szenario sollte sich gem. den nationalen und internationalen Aufsichtsbehörden ein Rückgang der CET1 abzeichnen, um einen ausreichenden Schweregrad sicherstellen zu können. Bei der Gestaltung des adversen Szenarios ist neben einem Rückgang der CET1 zu gewährleisten, dass das jeweilige Institut seine individuellen Stärken und Schwächen identifiziert und sich die institutsindividuellen Charakteristika in dem Szenario widerspiegeln.


 Seminartipps

Neuausrichtung Risikotragfähigkeit-Konzepte, 18.–19.06.2018, Köln.

Neuer aufsichtlicher Leitfaden zur Risikotragfähigkeit, 18.10.2018, Köln.

Deutlich anspruchsvollere Vorgaben für die Kreditportfolio-Steuerung, 19.11.2018, Köln.

Stolpersteine bei Verknüpfung der Kapitalplanung mit der RTF-Planung, 22.11.2018, Köln.

Zur Abgrenzung lässt sich sagen, dass sich der Stresstest primär an konjunkturelle Verläufe und makroökonomische Faktoren richtet. Das Ziel ist es, sich qualitativ mit der Lage des Instituts in Krisenszenarien auseinanderzusetzen und zu gewährleisten, dass das Institut auch unter diesen schweren Abschwüngen die TSCR einhalten kann, um den Fortbestand zu sichern. Das adverse Szenario stützt sich hingegen auf die Veränderung einzelner Parameter und die institutsindividuelle Planung. Es geht hierbei speziell um die Frage, inwieweit sich die individuelle Geschäftsentwicklung des Instituts verändert und in welchem Maße das Institut auch unter ungünstigen Umständen in der Lage ist, seine Planzahlen zu realisieren. Zudem sollte in der Kapitalplanung die Steuerungswirkung gewährleistet sein, indem spezielle Handlungsmaßnahmen evaluiert werden um möglichen Schwankungen in den Planungsannahmen entgegenzuwirken.

Im Rahmen der Kapitalplanung sollten die adversen Szenarien in ihrer Ausgestaltung und Schwere von den Szenarien des Stresstesting abweichen. Dies wird auch durch MaRisk AT 4.3.3 Tz. 5 unterstützt, wonach „eine Unterlegung mit Risikodeckungspotenzial [nur] dann erforderlich [ist], wenn die Stresstests bewusst zur Quantifizierung des internen Kapitalbedarfs eingesetzt werden.“ Wenn in der normativen Perspektive beispielsweise das Szenario des schweren konjunkturellen Abschwungs, welches gem. MaRisk ein Stressszenario darstellt, als adverses Szenario verwendet wird, sind demnach die Auswirkungen des Stresstests bewusst mit internem Kapital zu unterlegen. Die Verwendung eines Stressszenarios in der Kapitalplanung würde daher einem mehrjährigen Stresstest gleichkommen, vergleichbar mit dem aufsichtlichen LSI-Stresstest der Deutschen Bundesbank und der BaFin. Im Zuge des LSI-Stresstests werden die regulatorischen Kapitalquoten in einem Basis- und einem Stressszenario ermittelt, um die Ergebnisse in die Festlegung der Eigenmittelzielkennziffer (EMZK) einfließen zu lassen.

 Buchtipps

Riediger (Hrsg.), Risikoreporting: Interne Berichtspflichten & Aufsichtliches Meldewesen, 2018.

Geiersbach/Prasser (Hrsg.), Praktikerhandbuch Stresstesting, 3. Aufl. 2017.

Klopf/Kasprowicz (Hrsg.), Neue regulatorische Offenlegungspflichten für Kreditinstitute, 2. Auflage, 2016.


Im Rahmen des ICAAP sollten in der normativen und ökonomischen Perspektive durchzuführende Stresstests die Risikotragfähigkeitskonzeptionen im Allgemeinen und die Kapitalplanung im Speziellen ergänzen und nicht in diese integriert werden.

Praxistipps

  • Das Institut sollte sich bei der Auswahl und Gestaltung des adversen Szenarios mit den institutsindividuellen Stärken und Schwächen auseinandersetzen.
  • Der Stresstest sollte sich im Schweregrad vom adversen Szenario der Kapitalplanung abgrenzen, um das Risikotragfähigkeitskonzept durch zusätzliche Informationen zu ergänzen.
  • Um unterschiedliche Ausprägungen des Schweregrades des Planszenarios, des adversen Szenarios und des Stresstests zu vergleichen, sollte die jeweilige Auswirkung auf die harte Kernkapitalquote (CET1) als Indikator herangezogen werden.
Quellen

BaFin (2017): Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte und deren prozessualer Einbindung in die Gesamtbanksteuerung („ICAAP“) – Neuausrichtung, Diskussionspapier vom 20.12.2017.

EBA (2017): Consultation Paper - Draft Guidelines on the revised common procedures and methodologies for the supervisory review and evaluation process (SREP) and supervisory stress testing.

EBA (2018): 2018 EU-wide stress test: Frequently Asked Questions.

EZB (2017): Mehrjahresplan für die SSM-Leitfäden zum ICAAP und zum ILAAP.




Beitragsnummer: 586

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