Frank Neumann, Leiter Controlling, Sparkasse Bodensee
Mit dem Leitfaden zur „Aufsichtlichen Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte und deren prozessualen Einbindung in die Gesamtbanksteuerung („ICAAP“) – Neuausrichtung“ vom 24.05.2018 wurde ein Paradigmenwechsel eingeleitet und das Primat der Doppelunterlegung von Risiken durch die Aufsicht abgeschafft. Dem bisherigen Säule 1+ Ansatz wurde Bestandsschutz erteilt. Die Vorteile aus der Neuregelung werden jedoch unbestritten dafür sorgen, dass die aktualisierte Anforderung der Aufsicht schnell Einzug in die Praxis hält.
Die wesentlichen Vorteile der Neuerung aus Praktikersicht sind die Aufgabe der Doppelunterlegung von Risiken sowie die klare Trennung der steuerungsrelevanten Perspektiven und Sachverhalte. Auch wird damit eine Harmonisierung der deutschen Vorschriften mit internationalen Standards erreicht und damit potenziellen Wettbewerbsnachteilen entgegengewirkt. Betrachtet man die Neuregelungen im Kontext der zu erwartenden steigenden Belastungen aus der Umsetzung der CRD II; Basel IV sowie weiteren Regulierungsvorhaben (z. B. LCR weitere Abflussfaktoren; NPL-Backstop usw.) so wird klar, dass die frühzeitige Befassung mit den angepassten Regelungen unter Umständen eine existenzielle Bedeutung haben.
Mit der sachgerechten Umsetzung der Anforderungen werden sich institutsspezifisch neue Fragestellungen und bislang unbekannte Stolpersteine ergeben. Im Kern führt die Aufsicht folgende Steuerungssichten ein:
| Normative Sicht | Ökonomische Sicht |
Ziel: | - Sicherstellung der Fortführungsfähigkeit
| - Substanz-und Gläubigerschutz
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Betrachtungszeitraum: | | |
Methodik: | - Planung der Kapitalentwicklung und der aufsichtlichen Anforderungen: Eigenmittel (Säule 1), Leverage Ratio, Großkredite
- ein Plan- und mindestens ein adverses Szenario
| - Berechnung der Risiken und des Risikodeckungspotenzials
- Barwertig oder barwertnah
- Konservative Risikomessung: VaR auf 99,9 %
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RDP Begriff: | - Aufsichtliche Eigenmittel
| - ökonomisch ermittelter Substanzwert/Ertragswert je nach Institut
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Risikobegriff: | | - Ökonomisch ermittelte Risiken
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Relevante Begrenzung: | - Mindestkapitalisierungs-anforderungen
| - Zu erhaltene RDPe/Limitierungen
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Abbildung : Überblick über die neue normative und ökonomisch
Risikotragfähigkeit-Perspektive
An der Gegenüberstellung der grundlegenden Methodiken wird bereits erkennbar, dass beispielsweise für die normative Sicht an die Genauigkeit von Planungen höhere Anforderungen gestellt werden. Auch werden Regulierungsvorgaben wie Basel IV entsprechend höhere Auswirkungen entfalten können. Die ökonomische Perspektive stellt viele deutsche Regionalbanken vor neue Herausforderungen, da diese bisher kaum verbreitet war.

Übergang Going Concern-Ansatz auf neue normative RTF-Perspektive, 31.03.2020, Frankfurt/M.
Aufsichtsfokus Stresstests/adverse Szenarien laut ICAAP-/RTF-Leitfaden, 01.04.2020, Frankfurt/M.
Neue Meldung von RTF-Informationen – Anforderungen & Herausforderungen, 23.04.2020, Frankfurt/M.
„Gestresste“ Kreditportfolien: Praktische Umsetzung neuer RTF-Vorgaben, 05.05.2020,Frankfurt/M.
10. Kölner Risikomanagement-Tagung 2020, 25.–26.05.2020, Köln.
Neben grundsätzlichen Fragestellungen, z. B. nach der barwertigen/barwertnahen Bestimmung der RDPe werden bestehende Verfahren der Risikoquantifizierung (z. B. Szenarioanalysen) abgeschafft und durch den VaR ersetzt. Hierfür müssen entsprechende Zeitreihen aufgebaut und neue Parameter der Risikoquantifizierung und Validierung erarbeitet werden. Die Konsequenzen auch auf geschäftspolitische Entscheidungen dürften bedeutend sein.
Diese Änderung der Methodik bzgl. der Feststellung der Risikotragfähigkeit führt sowohl bei den Risikocontrollern als auch bei den Entscheidern zu einem Umdenken. Um die Ergebnisse sinnvoll bewerten zu können, besteht noch vielfach Bedarf an vertiefenden Analysen/Wissensaufbau. Wie bei jeder Veränderung können Unsicherheiten und Widerstände entstehen. Es ist wichtig, die Entscheider dort abzuholen, wo sie stehen und den Umgestaltungsprozess, z. B. in Form eines Vorgehensplans, begreifbar zu machen. Wesentlich für die Akzeptanz ist es, dass Entscheider mögliche Stolpersteine erkennen und die Möglichkeit haben, Wissen aufzubauen.

Im Kern hat die Aufsicht beim neuen Leitfaden nicht weniger als das Herzstück der Steuerung umgestaltet. Neben den prozessualen und methodischen Veränderungen ergeben sich enorme inhaltliche Fragen, bei denen auch das Management auskunftsfähig sein muss. Je nach Ergebnis ergeben sich neue Steuerungsimpulse. Allein die Diskussion der Planung der RWA-Entwicklung dürfte insbesondere die Revision und den Vorstand vor neue Herausforderungen stellen. Betrachtet man die Diskussion im Kontext der CRR II/Basel IV/NPL-Backstop, so wird aus einer Vereinfachung eine überaus komplexe neue Herausforderung.
PRAXISTIPPS
- Auch wenn der Methodenwechsel intensiv durch die Verbände und Unternehmensberatungen begleitet/unterstützt wird, lohnt sich heute schon die interne Kommunikation und Beschäftigung mit der veränderten Vorgehensweise. So kann die bestehende Planung der GuV-Ergebnisse und der RWA-Entwicklungen überprüft bzw. weiterentwickelt werden. Auch die zugehörigen Kommunikations- und Dokumentationsprozesse werden künftig bedeutsamer.
- Kommunizieren Sie die Anpassungen Ihren Entscheidern gegenüber frühzeitig und reservieren Sie entsprechende Ressourcen. Betrachten Sie die normative Sichtweise auch im Kontext von CRD II und Basel IV.
- Prüfen Sie Ihren Datenhaushalt! Durch die Umstellung der Herangehensweise werden v. a. bei der ökonomischen Sicht komplexe mathematische Verfahren eingeführt (z. B. VaR-Ansatz), die noch stärker als die derzeit verbreiteten Szenarioansätze auf Daten basieren. Unplausibilitäten können künftig kaum mehr durch Parameternachjustierungen abgefangen werden. Daneben werden die notwendigen Modell- und Verfahrensvalidierungen ein Höchstmaß an Datentransparenz erfordern.
Beitragsnummer: 5162