Freitag, 13. April 2018

Diesel-Skandal: Widerruf von Kfz-Finanzierungen

Dr. Amela Schön, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

Das Landgericht Arnsberg hat in seinem Urt. v. 17.11.2017, Az. 2 O 45/17, entschieden, dass ein Autokäufer seinen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag, den er als Verbraucher zum Zwecke der Finanzierung eines Fahrzeugs bei der Hausbank des Fahrzeugherstellers abgeschlossen hat, noch über eineinhalb Jahre nach dessen Abschluss wirksam widerrufen kann. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LG Arnsberg ausgeführt, dass die grundsätzlich zweiwöchige Widerrufsfrist (§ 355 Abs. 2 BGB) deshalb nicht zu laufen begonnen habe, weil dem Kläger in der ihm zur Verfügung gestellten Vertragsurkunde nicht im ausreichenden Maße die Angaben über „das einzuhaltende Verfahren bei der Kündigung des Vertrags“ gem. § 492 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB mitgeteilt wurden.

Unter Verweis auf die Begründung des Regierungsentwurfs führt das LG Arnsberg zunächst aus, dass nach der Vorstellung des deutschen Gesetzgebers die Regelung des Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB dem Darlehensnehmer verdeutlichen soll, wann eine Kündigung des Darlehensgebers wirksam ist und wie der Darlehensnehmer selbst den Vertrag kündigen kann, sodass bei befristeten Darlehensverträgen zumindest auch darauf hingewiesen werden müsse, dass eine Kündigung nach § 314 BGB möglich ist (BT-Drs. 16/11643, S. 128). Zur Begründung dieses Verständnisses der Norm beruft sich das LG Arnsberg neben dem gesetzgeberischen Willen insbesondere auch auf das Erfordernis einer europarechtskonformen Auslegung. In diesem Zusammenhang müsse, so das LG Arnsberg, Art. 10 Abs. 2 lit. s) Verbraucherkreditrichtlinie (VerbrKrRL) berücksichtigt werden, in welchem geregelt ist, dass im Kreditvertrag in klarer und prägnanter Form die „einzuhaltenden Modalitäten bei der Ausübung des Rechts auf Kündigung des Kreditvertrags“ anzugeben sind. Zu diesen Modalitäten zähle, so das LG Arnsberg weiter, jedenfalls die Benennung des Kündigungsgrundes. Zur Unterstreichung dieses Auslegungsergebnisses stützt sich das LG Arnsberg weiter auf die Norm des Art. 10 Abs. 2 lit. p) VerbrKrRL, wonach der Verbraucher u. a. über „das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts sowie die Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts“ zu informieren ist. Insoweit spreche nach Auffassung des LG Arnsberg insbesondere der Normzweck des Art. 10 Abs. 2 lit. p) VerbrKrRL für die Annahme, dass der Verbraucher auch über alle in Betracht kommenden Kündigungsgründe informiert werden müsse und damit auch über das Kündigungsrecht nach § 314 BGB.

Ausgehend von einem wirksam erklärten Widerruf des Darlehensvertrags sowie im Hinblick auf den Umstand, dass Darlehensvertrag und PKW-Kaufvertrag verbundene Geschäfte gem. § 358 BGB sind, hält das LG Arnsberg sodann fest, dass der Kläger der beklagten Autobank weder Zins- noch Tilgungsleistungen schuldet. Vielmehr habe der Verbraucher der Bank lediglich das finanzierte Fahrzeug zurückzugeben und der Bank Wertersatz in Form von Nutzungsentschädigung für den Wertverlust des Fahrzeugs gem. §§ 355, 357c S. 3, 357 Abs. 7 BGB zu bezahlen.

Dieser Auffassung des Landgerichts Arnsberg haben sich zwischenzeitlich das Landgericht Berlin, Urt. v. 05.12.2017, Az. 4 O 150/16, das Landgericht Ellwangen, Urt. v. 25.01.2018, Az. 4 O 232/17, sowie das Landgericht München I, Urt. v. 09.02.2018, Az. 29 O 14138/17, angeschlossen und ausgeführt, dass auch ihrer Auffassung nach die jeweiligen Kläger nicht ausreichend über das einzuhaltende Verfahren bei der Kündigung des Vertrags i. S. v. § 492 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB informiert wurden, da diesen nicht mitgeteilt wurde, dass ihnen auch ein außerordentliches Kündigungsrecht gem. § 314 BGB zusteht. Zur Begründung dieser Ansicht stellten alle drei Gerichte – wie schon zuvor das LG Arnsberg – sowohl auf die in BT-Drucks. 16/11643, S. 128, enthaltenen Begründung ab als auch auf die insoweit gebotene europarechtskonforme Gesetzesauslegung. Entsprechend der Auffassung des Landgerichts Arnsberg haben alle drei Gerichte den Autokäufer zudem für verpflichtet angesehen, an die Bank das Auto zurückzugeben und Wertersatz für den eingetretenen Wertverlust am PKW zu bezahlen.

Anders als die Landgerichte Arnsberg, Berlin, Ellwangen und München haben das Landgericht Heilbronn in seinem Urt. v. 24.01.2018, Az. 6 O 311/17, sowie das Landegericht Köln in seinem Urt. v. 10.10.2017, Az. 21 O 23/17, die Rechtsauffassung vertreten, dass der Autokäufer und Darlehensnehmer bei Abschluss eines Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags aufgrund der Vorgaben in Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB nur über die ihm zustehenden ordentlichen Kündigungsrechten und nicht auch über das ihm ebenfalls zustehende außerordentliche Kündigungsrecht nach § 314 BGB informiert werden muss, weswegen nach Auffassung der Landgerichte Heilbronn und Köln ein Widerrufsrecht dem PKW-Käufer wegen vollständiger Erteilung der Pflichtangaben nicht gewährt wurde. Zur Begründung führen beide Gerichte u. a. aus, dass es schon dem Wortlaut des Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB widerspricht, unter den Pflichtangaben zum „Verfahren bei Kündigung“ die umfangreiche Auflistung von Kündigungsrechten zu verstehen. Erst recht ergebe sich aus dem Wortlaut der Norm nicht, dass man den PKW-Käufer auch über außerordentliche Kündigungsrechte wie das Kündigungsrecht aus § 314 BGB informieren müsse. Auch aus dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 lit. s der VerbKrRL ergebe sich nichts anderes, da dort ebenfalls nur von der Einhaltung von „Modalitäten bei der Ausübung des Rechts auf Kündigung des Kreditvertrages“ die Rede ist.

PRAXISTIPP

Wie die vorstehend dargestellte Instanzgerichtsurteile zeigen, ist zunächst die Frage streitig, ob der seinen PKW-Kauf finanzierende Darlehensnehmer bei Abschluss eines Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags wegen der Vorgabe in Art. 247 § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EGBGB, wonach dem Darlehensnehmer Angaben über „das einzuhaltende Verfahren bei der Kündigung des Vertrages“ zu erteilen sind, nicht nur über die ihm zustehenden ordentlichen Kündigungsrechte, sondern auch über das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 314 BGB zu informieren ist. Die Antwort auf diese Frage ist bei Kfz-Finanzierungen deshalb von ganz entscheidender Bedeutung, weil es sich bei diesen Finanzierungen grundsätzlich um Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge handelt, bei welchen der Gesetzgeber, anders als bei Immobiliardarlehensverträgen, keine Widerrufshöchstfrist von einem Jahr und 14 Tagen eingeführt hat (§ 356 b Abs. 2 S. 4 BGB), weswegen diese Finanzierungen, vorbehaltlich des Eingreifens des Verwirkungs- oder Rechtsmissbrauchseinwands, „auf ewig“ widerrufbar sind, wenn eine Pflichtangabe wie der Hinweis auf das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 314 BGB fehlt.

Nach hiesiger Auffassung sprechen die überzeugenderen Ausführungen der Landgerichte Heilbronn und Köln dafür, Art. 247 § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EGBGB dahingehend auszulegen, dass eine Hinweispflicht auch auf das außerordentliche Kündigungsrecht gem. § 314 BGB nicht besteht. Dies deshalb, weil richtigerweise weder dem Wortlaut des Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB noch dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 lit. s) VerbrKrRL entnommen werden kann, dass unter Angaben über das „Verfahren bei Kündigung“ eine umfassende Aufzählung von Kündigungsrechten zu verstehen ist. Für dieses Verständnis der Norm spricht auch, dass es sich gerade bei der außerordentlichen Kündigung gem. § 314 BGB um eine allgemeine zivilrechtliche Vorschrift handelt, die für einen normal informierten und verständigen Verbraucher nicht erläuterungsbedürftig ist. Einer Hinweispflicht auch auf das außerordentliche Kündigungsrecht gem. § 314 BGB dürfe nach hiesiger Ansicht auch der Erwägungsgrund 33) der VerbrKrRL entgegenstehen, welcher nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut für eine Beschränkung der Informationspflicht auf ordentliche Kündigungsrechte spricht.

Wollte man ungeachtet vorstehender Ausführungen den Widerruf des Kfz-Finanzierungsdarlehens zulassen, dann müsste man sich mit der weiteren streitigen Frage auseinandersetzen, ob und wenn ja auf Grundlage welcher Berechnungsmethode den beklagten Autobanken ein Anspruch auf Wertersatz in Form der Nutzungsentschädigung zusteht. Nach einer in der Literatur vertretenen Meinung sollen Verbraucher seit dem 13.06.2014 im Falle einer Rückabwicklung des Darlehensvertrags und des damit verbundenen PKW-Kaufvertrags aufgrund wirksamen Widerrufs keinen Wertersatz für die Wertminderung und Nutzung des PKW an die Autobank schulden (so etwa Döll, DAR 2018 S. 61 (66 f.). Zur Begründung wird im Wesentlichen angeführt, dass ein wirksamer Widerruf bzw. ein jeder Fehler einer Widerrufsbelehrung die Wertersatzpflicht des Verbrauchers vollständig entfallen lässt. Diese Ansicht vermag indes nicht zu überzeugen. Ihr ist entgegenzuhalten, dass sich weder aus dem Gesetz noch dem gesetzgeberischen Willen entnehmen lässt, dass die Pflicht des Verbrauchers zum Wertersatz vollständig entfällt, wenn die diesem erteilte Widerrufsbelehrung nicht in allen Punkten ordnungsmäßig ist. Richtigerweise ist daher der Verbraucher im Falle der hier beschriebenen Rückabwicklungssituation grundsätzlich zum Wertersatz verpflichtet. Dies ergibt sich bereits aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 358 Abs. 4 S. 1 BGB, welcher ausdrücklich auf § 357 BGB und damit auch auf die in § 357 Abs. 7 BGB geregelte Wertersatzpflicht verweist. Auch Sinn und Zweck dieser Vorschriften, die Intension sowohl des deutschen als auch des europäischen Gesetzgebers sowie die hier zwingend gebotene europarechtskonforme Auslegung des § 357 Abs. 7 Nr. 2 BGB sprechen dafür, dass den beklagten Autobanken im Falle einer Rückabwicklung des Darlehens- und des damit verbundenen Kaufvertrags ein Wertersatzanspruch zusteht. Eine in allen Punkten ordnungsmäßig erteilte Widerrufsbelehrung bedarf es dafür nicht. Vielmehr ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass dem Verbraucher überhaupt eine (nicht gänzlich unbrauchbare) Widerrufsbelehrung überreicht wurde. Etwaige Fehler in der Widerrufsbelehrung wirken sich richtigerweise lediglich auf den Beginn der Widerrufsfrist aus und haben keine Auswirkungen auf die Frage der Wertersatzpflicht.



Beitragsnummer: 516

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