Mittwoch, 12. Februar 2020

Haftung des Anlageberaters/-vermittlers für spätere Anlageentscheidung

Olaf Sachner, Rechtsanwalt, Thümmel, Schütze & Partner

 

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in seiner Entscheidung vom 21.11.2019, Az. III ZR 244/19, festgehalten, dass ein Anlageberater-/Vermittler, der eine pflichtwidrige Empfehlung erteilt, auch für die Folgen späterer Anlageentscheidungen haften kann, wenn diese vom Schutzzweck der verletzten Pflicht umfasst sind, was wertend unter Berücksich­tigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist (Rn. 28 f). 

 

Der BGH-Entscheidung lag der Fall zugrunde, dass der Kläger über einen Zeitraum von rd. 20 Jahren hinweg, vor allem in Versicherungsangelegenheiten, von der Beklagten beraten wurde. Verschiedene dem Kläger im Jahr 2005 vorgestellte Renten- oder Lebensversicherungsprodukte erfüllten die Bedürfnisse des Klägers nach hoher Rendite und kurzer Laufzeit nicht. In einem Gespräch Ende 2006 wies ein Mitarbeiter der Beklagten auf die Anlagemöglichkeit bei einem Rechtsanwalt hin, der nebenbei auch kurzfristige Kapitalanlagen zu guten und individuell auszuhandelnden Festzinsen anbiete. Auch die Beklagte beziehungsweise ihre Mitarbeiter würden diese Möglichkeit nutzen. Über die nähere Art der Anlage sprachen die Parteien nicht. Der Kläger trug vor, im Februar 2007 erstmals eine Anlage von 10.000 € getätigt und in den Jahren 2008 bis 2014 insgesamt weitere 200.000 € an den Rechtsanwalt überwiesen zu haben.

 

SEMINARTIPP

20. Bankrechts-Tag, 22.10.2020, Frankfurt/M.

 



Das Berufungsgericht hatte angenommen, dass zwischen den Parteien ein Beratungsvertrag zustande gekommen war. Dies ließ der Bundesgerichtshof offen. Der ursprüngliche Beratungsvertrag sei durch die (ergebnislose) Beratung des Klägers erfüllt, so dass dieser beendet sei. Durch das weitere Gespräch Ende 2006 sei indes ein neuer Vertrag mit Haftungsfolgen geschlossen worden, der jedenfalls Auskunftspflichten der Beklagten begründet habe (Rn. 16). Ob dieser Vertrag auf eine Anlageberatung gerichtet war oder lediglich eine Anlagevermittlung zum Gegenstand hatte, könne auf sich beruhen (Rn. 23).

 

Der Bundesgerichtshof erinnert in seiner Entscheidung zunächst daran, dass ein Vertrag mit Haftungsfolgen zumindest dann stillschweigend zu Stande kommt, wenn der Interessent deutlich macht, dass er auf eine (bestimmte) Anlageentscheidung bezogen die besonderen Kenntnisse und Verbindungen einer Person, die geschäftlich Beratungs- und Auskunftstätigkeiten in Bezug auf Geldanlagen anbietet, in Anspruch nehmen will und der Dienstleister dieses Angebot annimmt, indem er die gewünschte Tätigkeit beginnt (Rn. 17). Dabei hält der Bundesgerichtshof fest, dass für die Annahme eines verbindlichen Auskunfts- oder Beratungsvertrages der Abschluss einer Entgeltvereinbarung nicht notwendig sei. Auch die Dauer des Gesprächs spiele für die Rechtsverbindlichkeit des Vertrages keine Rolle, könne jedoch für die Qualität der Beratung bedeutsam sein (Rn. 18). 

 

Hieran anschließend führt der Bundesgerichtshof aus, dass sowohl ein Anlageberatungs- als auch ein Anlagevermittlungsvertrag den Dienstleister dazu verpflichtet, richtige und vollständige Informationen über diejenigen tatsächlichen Umstände zu erteilen, die für den Anlageentschluss des Interessenten von besonderer Bedeutung sind. Dazu sei es grundsätzlich erforderlich, dass sich der Dienstleister vorab selbst hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Kapitalanlage und der Bonität des die Kapitalanlage Anbietenden informiert. Liegen dazu objektive Daten nicht vor oder verfügt der Dienstleister mangels Einholung entsprechender Informationen insoweit nur über unzureichende Kenntnisse, so müsse er dies dem anderen Teil gegenüber offenlegen (Rn. 24). 

 

Diese Auskunftspflichten habe die Beklagte im konkreten Fall verletzt, da sie weder die Wirtschaftlichkeit und Plausibilität der Anlage noch die Bonität des Rechtsanwalts geprüft und den Kläger auch nicht auf die unterlassene Prüfung hingewiesen habe. Eine Mitteilung, keine Kenntnis von der Anlagestrategie des Rechtsanwalts zu haben, genüge wiederum für sich alleine nicht (Rn. 25). 

 

Eine Haftung scheitere entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht zwingend an dem fehlenden Zurechnungszusammenhang zwischen dem geltend gemachten Schaden und der Beratungspflichtverletzung (Rn. 26). Zwar könne der Zurechnungszusammenhang zwischen einer Beratungs-/Auskunftspflichtverletzung und späteren Anlageentscheidungen des Kunden fehlen, auch wenn diese adäquat kausal auf eine pflichtwidrige Empfehlung zurückzuführen sind. Insoweit erfahre die Zurechnung eine Einschränkung durch die Schutzzwecklehre, nach der eine Haftung nur für Schadensfolgen besteht, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte Vertragspflicht übernommen wurde. Der geltend gemachte Schaden müsse in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen; ein äußerlicher, gleichsam zufälliger Zusammenhang genüge nicht. Insoweit sei eine wertende Betrachtung geboten (Rn. 27).

 

Der Schutzzweck einer Auskunfts- oder Beratungspflicht sei nicht stets auf den ersten Erwerb einer Anlage nach dem Gespräch, in dem die Empfehlung ausgesprochen worden ist, begrenzt. Zwar bestünden im Normalfall einer Anlageberatung, die sich auf die Anlage eines Geldbetrags bezieht, Pflichten nur hinsichtlich dieser konkreten Anlageentscheidung, wie der III. Zivilsenat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des XI. Zivilsenats in seinem Urt. v. 28.04.2015 – XI ZR 378/13 –, Rn. 23, ausführt. Es stehe den Vertragsparteien jedoch frei, auch größere oder unbestimmte Risiken einzugehen. Insofern könne der Schutzzweck haftungserweiternd wirken. Dies könne z. B. dann der Fall sein, wenn ein Interessent um einen Rat für die Anlage nicht lediglich eines (bestimmten) Geldbetrags nachsucht und der Berater in Kenntnis dessen eine Empfehlung abgibt, die sich nicht auf eine einmalige Geldanlage beschränkt, sondern eine fortbestehende Möglichkeit zur wiederholten Anlage noch unbestimmter Geldbeträge umfasst (Rn. 28).

 

Da sich das Berufungsgericht von seinem Rechtsstandpunkt folgerichtig mit der Zurechnungsproblematik unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Norm bzw. der verletzten Vertragspflicht nicht auseinandergesetzt hatte, wurde die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (Rn. 29 f.).

 

PRAXISTIPP

 

Zu begrüßen ist die Entscheidung des III. Zivilsenats insofern, als sie die Rechtsprechung des XI. Zivilsenats bestätigt, wonach im Normalfall einer Anlageberatung, die sich auf die Anlage eines Geldbetrages bezieht, Pflichten nur hinsichtlich der auf diese Anlageberatung zurückzuführenden konkreten Anlageentscheidung bestehen, weswegen durch die erfolgte Beratung oder Vermittlung in Bezug auf das konkret beratene Produkt die Beratung oder Vermittlung mit dem Erwerb des Produkts aufgrund der getroffenen konkreten Anlageentscheidung beendet ist, mit der weiteren Folge, dass der Anlageberater oder Anlagevermittler für nach Beendigung der Beratung/Vermittlung vom Kunden getroffene neue Kapitalanlageentscheidungen sowie für den Erwerb dieser neuen, nicht beratenen Produkte grundsätzlich nicht haftet. 

 

Zweifel erweckt allerdings die vom III. Zivilsenat vorgenommene Haftungserweiterung im konkreten Fall, in welchem ein Berater, der seinem Kunden bisher nur Renten- und Versicherungsprodukte zur Zeichnung vermittelt hat und welchem die Rendite aus diesen Produkten nicht mehr ausreicht, zur Zeichnung renditeträchtigerer Produkte an einen Dritten verweist, ohne mit diesem über die nähere Art der Anlage sowie über den neuen „Produkt-Berater“ sowie dessen Bonität zu sprechen. Denn in solchen Fällen, in denen ein „Versicherungsberater- oder Vermittler“ seine Kunden an einen weiteren Berater vermittelt, welcher seinen Kunden keine Renten- und Versicherungsprodukte, sondern anderweitige, renditestärkere Produkte verkauft, ist offenkundig, dass der „Versicherungsmann“ nicht für Pflichtverletzungen des Dritten haften will.

 

Da zumindest der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs dies anders sieht, sollten diejenigen Berater/Vermittler, welche ihre Kunden an andere Berater zur Zeichnung von Kapitalanlagen weitervermitteln, beim Aussprechen solcher Empfehlungen/Tipps vorsichtiger agieren. Insbesondere sollten solche Berater/Vermittler dann, wenn sie ihre Kunden weitervermitteln, diesen gegenüber klarstellen und vorsorglich auch schriftlich dokumentieren, dass sie weder die Wirtschaftlichkeit noch die Plausibilität und Sinnhaftigkeit der vom Dritten vermittelten Kapitalanlageprodukte noch die Bonität und Zuverlässigkeit des Dritten geprüft haben.


Beitragsnummer: 5139

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