Montag, 11. November 2019

Optionen für die Vermögensanlage im Niedrigzinsumfeld

Auswirkungen der Zinsentwicklung in Deutschland für private Anleger und mittelständische Unternehmen.

Dr. Martin Stötzel, Rhein Asset Management (Lux.) S.A.

I. Historische Entwicklung der Zinsen

Die Zinsentwicklung in Deutschland ist spätestens seit 2008 von einem markanten Abwärtstrend gekennzeichnet. Die Umlaufrendite deutscher öffentlicher Anleihen notierte Anfang Juli 2008 bei rund 4,75 % p. a. Fünf Jahre später war der Wert auf 1,46 % p. a. gefallen, nach weiteren drei Jahren erreichte der bekannte Zinsindikator erstmals negatives Territorium. Der bereits seit den späten 80er-Jahren abwärts gerichtete Zinstrend erfuhr im Anschluss an die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 eine deutliche Beschleunigung, als die EZB zur Bekämpfung der Rezession in der Eurozone die Leitzinsen kräftig absenkte. Da sich die EZB bei der Ausgestaltung ihrer Geldpolitik am gesamten Euroraum ausrichtet, wird oftmals die These vertreten, dass die Zinsen für die gute konjunkturelle Situation in Deutschland seit einiger Zeit zu niedrig sind. Hennecke schätzt die Differenz zwischen angemessenem und tatsächlichem Zinsniveau für das Jahr 2018 auf rund 3,3 %[1].

Allerdings ist dieser monokausale Erklärungsansatz für das historisch niedrige Zinsniveau durchaus umstritten. So weist etwa Tichy darauf hin, dass die niedrigen Zinssätze „zu einem erheblichen Teil als Reaktion auf die vorhergehende Hochzinsphase und als Folge der derzeit niedrigeren Inflation“ erscheinen[2]. Die Erklärung des Niedrigzinsumfeldes anhand des strukturellen Ersparnisüberschusses und der Rückführung der Verschuldung sowohl im Staatssektor wie auch bei den privaten Unternehmen weist die Bedeutung der Geldpolitik der EZB in die Schranken. Gleichzeitig stellt diese Herleitung auch die populäre Ansicht in Frage, die der EZB einseitig die Schuld für die Zinsmisere der deutschen Sparer zuweist.

Sollte die strukturelle Erklärung zutreffen, dann dürften die Möglichkeiten der EZB begrenzt sein. Da sich an den strukturellen Gegebenheiten kurzfristig kaum Grundlegendes ändern wird, liegt der Schluss nahe: „Dabei wird sich zeigen, dass zwar ein Ende der Nullzinsphase möglich ist, kaum jedoch ein Ende der Periode sehr niedriger Zinsen.“[3]

Fazit: Anleger, die dem Niedrigzinsumfeld mit einer Abwarten-Strategie begegnen wollen, sollten sich darüber im Klaren sein, dass diese Periode langfristiger Natur sein wird.

II. Das Ausmass von Negativzinsen

Das Volumen Negativ verzinster Anleihen steigt drastisch an

Negativ verzinste Anleihen sind kein deutsches oder europäisches Phänomen: Ende August 2019 notierten Anleihen im Volumen von etwa 17 Bio. US-Dollar in negativen Bereich. Die Dynamik des Volumenanstiegs war allerdings in Europa in den letzten Monaten mit Abstand am höchsten. Aktuell liegt das Volumen negativ verzinster Anleihen in Europa mit 8,7 Bio. US-Dollar deutlich über dem Volumen im asiatischen Bereich (inkl. Japan) mit 7,3 Bio. US-Dollar.

Ebenfalls dramatisch zugenommen hat der Umlauf negativ verzinslicher Anleihen europäischer Emittenten. Ende 2018 lag das Volumen bei 3200 Milliarden US – Dollar, ein Jahr später bereits bei 8.700 Milliarden US- Dollar[4].

III. Die Folgen der Negativzinsen

1. Banken

Die hiesigen Banken suchen derzeit mit Hochdruck nach Alternativen zur 1:1-Weiterberechnung der von der EZB erzwungenen Negativzinsen an ihre vermögenden Firmen- und Privatkunden. Vor diesem Hintergrund wächst die Neigung der Banken, selbst Gelder zu horten. Laut Bundesbank liegen derzeit 37,4 Mrd. € an Bargeld in den Tresoren der Institute[5]. Das entspricht dem Doppelten der 2016 gehorteten Summe. Bei vielen Banken sollen die Limits der maximal versicherten Beträge bereits erreicht sein.

Das nicht ausschließbare Risiko, dass Negativzinsen schlimmstenfalls zu einem gefährlichen Bank Run führen könnten, bereitet in den Führungsetagen erhebliche Sorgen. Fast ein Sechstel des insgesamt 6,2 Bio. umfassenden privaten Geldvermögens ist derzeit auf unverzinsten Girokonten geparkt.

Ob die Rentabilität der Banken unter den Negativzinsen tatsächlich leidet oder nicht ist umstritten[6],[7]. Unbestreitbar erleiden die Geschäftsbanken einen Verlust aus der Unmöglichkeit, die ihnen von der EZB berechneten Negativzinsen an die Kunden weiterzugeben[8]. Andererseits haben eine Vielzahl von Banken diese Situation als Rechtfertigung genutzt, um Gebühren und Kosten für Dienstleistungen anzuheben.

2. Kunden

a.) Sparer/private Anleger

Ausweichstrategien von Sparern bestehen in der Eröffnung mehrerer Konten, dem Wechsel der Bankverbindung für den Fall der Berechnung von Negativzinsen und schließlich in vermehrter Bargeldhaltung.

Bei größeren Summen – aktuell berechnen oberhalb von 100–500 TEURO fast alle Institute Negativzinsen für Guthaben auf Konten – greifen diese Ausweichstrategien nicht mehr oder sind mit erheblichen Kosten oder Risiken verbunden (Tresorkosten, Risiko bei privater Bargeldhaltung ).

b) Semi-Institutionelle Anleger (hier: mittelständische Unternehmen)

Mittelständische Unternehmen sehen sich ebenfalls seit einiger Zeit mit den Folgen des Niedrigzinsumfeldes konfrontiert. Dies umso mehr, als sie in den vergangenen Jahren aufgrund des guten konjunkturellen Umfeldes hohe Gewinne und große Volumina an Liquiditätszuflüssen verzeichnen konnten[9].

Der Mittelstand hortet Liquidität

Auf der Suche nach positiven Renditen für das Finanzergebnis haben mittelständische Unternehmen in den vergangenen Jahren insbesondere in längere Laufzeiten im Anleihebereich investiert und auch in geringerem Umfang Bonitätsabstriche gemacht.

Eine aktuelle Studie der Commerzbank/forsa[10] zeigt auf, dass die Sicherheit des Anlageproduktes weiterhin die wichtigste Anforderung der Unternehmen ist. Doch die Bedeutung der Kriterien „Rendite“ und auch „Nachhaltigkeit“ haben erheblich zugenommen. Eine Zunahme der Risikobereitschaft lässt sich ebenfalls konstatieren: Aktien, Investmentfonds und Zertifikate/Aktienanleihen finden sich immerhin bei 34 % der befragten Unternehmen im Depot. Dass immerhin knapp ein Viertel der Befragten die Anlage an Vermögensverwalter ausgelagert haben, weist auf ein Streben nach mehr Professionalität bei der Finanzanlage hin.

IV. Alternativen im Negativzinsumfeld

1. Laufzeitverlängerung

10-jährige Anleihen weisen im Vergleich zu einjährigen Papieren im Euroraum einen Renditevorteil von 0,2 % (Deutschland) bis 1,1 % (Italien) auf. Bei Papieren mit 30-jähriger Laufzeit erhöht sich der Renditeaufschlag noch. Wichtig ist folgender Aspekt der Durationsverlängerung in der aktuellen Zinslandschaft: Bei einer Null-Verzinsung entspricht die Duration exakt der Restlaufzeit des Papiers. Dies ist ein deutlicher Unterschied zu der Situation z. B. vor zehn Jahren, als die Umlaufrendite noch bei ca. drei Prozent lag und zehnjährige Papiere Kupons und Renditen von rund vier Prozent aufwiesen. Die Duration stellte sich damals für zehnjährige Papiere auf rund 7,8 Jahre. Konkret bedeutet eine zehnjährige Duration, dass aktuell eine Zinserhöhung von einem Prozent mit einem zehnprozentigen Kursabschlag der Anleihe einhergeht. Stärkere Zinssteigerungen und längere Laufzeiten erhöhen den Verlust. Ob der geringe Renditevorteil das Verlustrisiko kompensiert, muss der Investor entsprechend seines Risikobudgets entscheiden.

2. Bonitätsabstufung

Der Renditeaufschlag für Anleihen mit niedriger Bonität liegt in der aktuellen Zinsphase im langfristigen Vergleich im unteren Bereich. Konkret erzielt der Investor bei Erwerb von Unternehmensanleihen einen Renditeaufschlag von rund 0,15 % p. a. in kürzeren Laufzeiten und etwa 0,8 % p. a. in langen Laufzeiten, für eine Investition in Unternehmensanleihen, die noch mit einem Investment Grade bewertet werden, im Vergleich zu Staatsanleihen. Titel, die im „High-Yield“ Bereich angesiedelt sind, bringen eine etwa ein Prozent p. a. höhere Rendite.

In einem diversifizierten Portfolio tragen Investitionen in Anleihen mit niedrigerer Bonität somit zur Renditesteigerung bei. In jedem Fall benötigen Unternehmen, die nicht über eine professionell ausgestattete Finanzabteilung verfügen, in diesem Umfeld Unterstützung von spezialisierten Vermögensverwaltern.

3. Nutzung der Volatilitätsrisikoprämie

Eine Möglichkeit, mit geringem Aktienmarktrisiko eine gleichbleibende Rendite zu erwirtschaften kann die Ausnutzung von Risikoprämien sein. Hierbei wird das Anlageziel verfolgt, die Differenz zwischen impliziter und realisierter Volatilität zu vereinnahmen. Diese Risikoprämie kann über den Verkauf von Put-Optionen oder auch Variance Swaps vereinnahmt werden. Die einfachste Möglichkeit für den Anleger, diese Risikoprämie teilweise zu vereinnahmen ist der Einsatz von Discount-Zertifikaten. Discount-Zertifikate verbriefen den Anspruch, an der Kursentwicklung eines Basiswertes teilzuhaben. Dabei gewährt das Zertifikat gegenüber dem Basiswert einen Kursabschlag („Discount“). Durch den geringeren Einstiegspreis entsteht somit ein Sicherheitspuffer. Discount-Zertifikate, welche einen Sicherheitspuffer von >40 % aufweisen, werden auch „Deep-Discount-Zertifikate“ genannt. In einer rollierenden Wiederanlagestrategie kann somit, je nach Volatilitätsniveau, eine Rendite zwischen 0,5 %-1,0 % p. a. erwirtschaftet werden.

Die Vereinnahmung der Volatilitätsrisikoprämie birgt jedoch auch Risiken. Stark ansteigende Volatilität kann bei den eingesetzten Instrumenten kurzfristig aktienmarktähnliche Verluste auslösen.

4. Fondsselektion

Mit der Einführung des Regulatorik-Standards für Fonds, UCITS V, kommen seit mehreren Jahren immer mehr sog. „Absolute Return Strategien“ an den Markt bzw. werden für ein breites Spektrum von Investoren überhaupt erwerbbar.

In der Kombination verschiedenster Strategien ist es möglich, ein „Absolute-Return Portfolio“ aufzubauen, welches aus alternativen Investmentfonds besteht, die zum einen niedrig zueinander korreliert sind und zum anderen in ihrer jeweiligen Strategie gleichbleibende Renditen bei wenig Schwankung erzielen sollen. Wichtig hierbei ist, dass die Komposition im Portfolio möglichst wenige Überlappungsrisiken aufweist. Eine Veränderung der Marktparameter darf nicht alle selektieren Fonds gleichermaßen beeinflussen. Ebenfalls sollte die Strategie der Fonds vom jeweiligen Portfoliomanager antizipier- und auch simulierbar sein, um ein dauerhaftes Risikomanagement zu gewährleisten.

Praxistipp:

  • Privaten Investoren sowie mittelständischen Unternehmen gleichsam stehen die vorgestellten strategischen Optionen zur Erhöhung der Rentabilität der Liquiditätshaltung bzw. zur strategischen Vermögensanlage zur Verfügung. Vor der Durchführung ist eine individuelle, systematische Rendite/Risiko-Analyse unverzichtbar. Insofern sollten die Investoren – seien es private Anleger oder Unternehmen – je nach Komplexität der Aufgabenstellung, über die Hinzuziehung von Spezialisten nachdenken.
  1. Peter Hennecke, „Wie stark und schnell wurden die Niedrigzinsen an Bankkunden weitergereicht?, Wirtschaftsdienst 10/2017, S. 735.
  2. Gunter Tichy, Sind die Niedrigzinsen der EZB ökonomisches Gesetz?, Strategie | Volkswirtschaft, Bankmagazin 6/2019, S. 30.
  3. Tichy, S. 31.
  4. DDO BHF, Anlagealternativen im Negativzinsumfeld; Oktober 2019 S. 5–6.
  5. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht September 2019.
  6. Erstens behaupte ich, dass das niedrige Zinsniveau nicht die zentrale Ursache der Ertragsschwäche im deutschen Bankensektor ist. Die Zinsmarge sinkt seit 30 Jahren kontinuierlich und ich bin der festen Überzeugung, dass sich der Bankensektor mit diesem Umstand arrangieren muss und kann – schließlich gibt es auch in diesem Umfeld erfolgreiche Institute.
  7. Prof. Dr. Joachim Wuermeling, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank, Profitabilität im digitalen Zeitalter – Chancen und Risiken für den Bankensektor Keynote beim 3. Forum der Deutschen Kreditwirtschaft zu Aufsicht und Regulatorik, 24.10.2019 | Frankfurt/M.
  8. S. hierzu: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht September 2019 S. 96.
  9. Antonia Kögler, in Finance, 18.09.15, Commerzbank: Niedrigzinsumfeld verändert Anlageverhalten im Mittelstand;

    Die Studie wurde zwischen Mitte April und Mitte Mai 2015 von der Fachhochschule des Mittelstands in Zusammenarbeit mit der Commerzbank durchgeführt.

  10. Zwischen Sicherheit und Chance: Wie der Mittelstand anlegt, Oktober 2019.


Beitragsnummer: 3704

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