Mittwoch, 16. Oktober 2019

Anforderungen an Berufungsbegründung (nicht nur) in Widerrufsfällen

Andrea Neuhof, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 16.07.2019, Az. XI ZB 10/18, die Rechtsbeschwerde zweier Bankkunden gegen die Zurückweisung ihrer Berufung durch das OLG Köln (Beschluss vom 14.03.2018 – 13 U 236/17) aufgrund mangelhafter Ausgestaltung ihrer Berufungsbegründung als unzulässig verworfen.

Vorangegangen war zunächst ein Urteil des LG Köln vom 16.11.2017, Az. 22 O 257/16, in welchem die klagende Bank nach Darlehenswiderruf der beiden beklagten Kunden im Juni 2016 die Feststellung begehrte, dass der streitgegenständliche Darlehensvertrag aus dem Jahre 2004 durch den Widerruf nicht in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt worden sei, sondern wirksam fortbestehe. Das LG Köln gab der Klage statt, wobei es über die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Widerrufsbelehrung mangels Entscheidungserheblichkeit nicht entschied, sondern vielmehr der Bank den Einwand des Rechtsmissbrauchs zugestand.

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Hintergrund war, dass die Beklagten im Jahre 2013 mit der Klägerin noch vor Ablauf der Zinsbindungsfrist über neue Zinskonditionen verhandelten und das aus Sicht der Beklagten seinerzeit günstige Zinsniveau bereits vorzeitig neu festschrieben. Ferner einigten sich die Parteien auf die Erbringung einer Sondertilgung zum 31.01.2015. Aufgrund dieser Besonderheiten dokumentierten die Beklagten nach den Ausführungen des LG Köln, dass sie zu günstigeren Konditionen bereit waren, das Darlehen fortzuführen. Im Anschluss wurde das Darlehen dann noch weitere 3 Jahre lang bis zur Ausübung des Widerrufs ordnungsgemäß bedient. Nach Einschätzung des LG Köln hätten die Beklagten die ihnen erteilte Widerrufsbelehrung überdies „von ihrem objektivierten Empfängerhorizont her betrachtet" richtig verstanden. Nach alledem musste die klagende Bank nach den Feststellungen des LG Köln nicht mehr damit rechnen, dass die Beklagten ihre rund elfeinhalb Jahre zuvor abgegebene Vertragserklärung noch widerrufen würden, weshalb der Einwand des Rechtsmissbrauchs auf Bankenseite durchgreife. Zwar führe allein die vorbehaltlose Vertragserfüllung grundsätzlich nicht dazu, dass der Widerruf als rechtsmissbräuchlich zu erachten sei. Etwas anderes gelte aber dann, wenn der Darlehensnehmer darüber hinaus seinen Willen, an dem Vertrag festzuhalten, dokumentiert habe, den Vertrag anschließend anstandslos bediene und sich erst Jahre später nach einer weiteren Absenkung des Zinsniveaus zum Widerruf entschließe.

Die Beklagten legten gegen dieses Urteil Berufung zum OLG Köln ein. Die Berufungsbegründungsschrift leiteten sie mit den Sätzen ein, das Landgericht habe der Klage zu Unrecht stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das landgerichtliche Urteil werde daher in vollem Umfang zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt. Sodann wurden die Ausführungen aus der Klageerwiderung zur Treuwidrigkeit des Widerrufs lediglich um ein Wort gekürzt wörtlich wiederholt, die Ausübung des Widerrufsrechts sei weder verwirkt noch rechtsmissbräuchlich. Der Senat habe in seinem Urt. v. 12.07. 2016 (XI ZR 501/15, BGHZ 211 S. 105 ff.) in einem Fall, in dem der Widerruf rund sieben Jahre nach vollständiger Beendigung des Darlehensvertrags erklärt worden sei, entschieden, dass die Ausübung des Widerrufsrechts auch nach vollständiger Rückzahlung des Darlehens weder rechtsmissbräuchlich noch verwirkt sei, und das dortige Berufungsurteil aufgehoben. „Bei laufenden Kreditgeschäften“ gebe es belegt durch eine weitere Entscheidung des Senats „für Verwirkung und unzulässige Rechtsausübung erst Recht keinen Raum“. „Insoweit dürften die Argumente der Klägerin zu der Wirksamkeit ihrer Widerrufsbelehrung und der Verwirkung sowie der unzulässigen Ausübung des Widerrufsrechts überholt sein“.

BUCHTIPP

Nobbe (Hrsg.), Kommentar zum Kreditrecht, 3. Aufl. 2018.




Das OLG Köln hat die Berufung nach Erteilung eines entsprechenden Hinweises als unzulässig verworfen, da sich die Berufungsbegründungsschrift in der wörtlichen Wiedergabe der Klageerwiderung erschöpft habe und die Berufung damit nicht wirksam begründet worden sei.

Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 16.07.2019, Az. XI ZB 10/18, als unzulässig verworfen. Das Berufungsgericht sei ohne den Anspruch der Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip) oder auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) zu verletzen, im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Ergebnis gelangt, die Berufung der Beklagten sei nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen begründet worden.

Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO müsse die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehöre eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpfe und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetze (Senatsurteil vom 02.04.2019 XI ZR 466/17, juris Rn. 13; Senatsbeschlüsse vom 27.05.2008 XI ZB 41/06, WM 2008 S. 1.810 Rn. 11, vom 12.05.2009 – XI ZB 21/08, juris Rn. 13 und vom 01.03.2011 XI ZB 26/08, juris Rn. 11, jeweils m. w. N.). Der Berufungskläger habe deshalb diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend ansehe, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen er die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleite (Senatsurteil vom 02.04.2019, a. a. O., m. w. N.). Die Berufungsbegründung müsse auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein (Senatsbeschlüsse vom 27.05.2008, a. a. O., vom 12.05.2009, a. a. O., vom 01.03.2011, a. a. O., und vom 23.10.2012 XI ZB 25/11, NJW 2013 S. 174 Rn. 10). Es reiche nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (Senatsurteil vom 09.10.2001 – XI ZR 281/00, juris Rn. 19; Senatsbeschluss vom 22.01.2019 XI ZB 9/18, juris Rn. 8). Ungenügend seien insbesondere Textbausteine und Schriftsätze aus anderen Verfahren (Senatsbeschluss vom 27.05.2008, a. a. O., Rn. 12; BGH, Beschluss vom 22.05.2014 IX ZB 46/12, juris Rn. 7).

Diesen Anforderungen genüge die Berufungsbegründung der Beklagten nicht. Diese setze sich mit der differenzierten und auf die besonderen Umstände des Einzelfalls bezogenen Argumentation des Landgerichts zum Rechtsmissbrauch nicht auseinander und beschränke sich stattdessen in wörtlicher Übernahme der Ausführungen aus der Klageerwiderung auf eine kursorische Auseinandersetzung mit den Argumenten der Klägerin in der Klageschrift. Darin liege keine hinreichend auf die landgerichtliche Erkenntnis bezogene Bekräftigung des eigenen Rechtsstandpunkts. Die lediglich schlagwortartige Nennung des Begriffs des Rechtsmissbrauchs genüge als Befassung mit dem angegriffenen Urteil nicht.

PRAXISTIPP

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs hat eine grundsätzliche, über die Grenzen des Bank- und Kapitalmarktrechts hinausgehende Bedeutung. Speziell bei Rechtsstreitigkeiten von Kunden gegen ihr Kreditinstitut beobachtet man in der Praxis jedoch überdurchschnittlich häufig die Einreichung von Schriftsätzen, die weitgehend aus sich immer wiederholenden Textbausteinen zusammengesetzt sind, ohne hierbei auf die Besonderheiten des Einzelfalles einzugehen.

Bei der Berufungsbegründung, über welche der Bundesgerichtshof mit Beschluss von 16.07.2019 – XI ZB 10/18 – zu entscheiden hatte, handelte es sich sicherlich um einen Extremfall. Wie der BGH ausführt, wurde dort seitens der Kundenvertreter bis auf lediglich ein Wort schlicht und einfach aus der Klageerwiderung der beklagten Kunden abgeschrieben. Im Übrigen erfolgte lediglich eine Garnierung mit formelhaften Floskeln zur begehrten Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Interessant bleiben in diesem Zusammenhang insbesondere jene Fälle, in denen sich die Berufungsbegründung in einer gewissen Grauzone bewegt. Richtigerweise dürfte jedoch auch im Falle der nicht 1:1 erfolgten Übernahme erstinstanzlicher Schriftsätze höchste Vorsicht geboten sein, soweit dort lediglich eine Aneinanderreihung von Textbausteinen ohne konkrete Auseinandersetzung mit den Gründen des angegriffenen Urteils im Einzelnen erfolgt. Dies allerdings ist in der Praxis durchaus häufig zu beobachten.


Beitragsnummer: 3424

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