Montag, 22. Juli 2019

Agilität – „much ado about nothing“?

Ein neues Konzept oder nur alter Wein in neuen Schläuchen?

Dr. Ralf Kölbach, Mitglied des Vorstands, Westerwald Bank eG, Volks- und Raiffeisenbank

Verfolgt man die Diskussion um den Begriff der Agilität, stellt sich gelegentlich die Frage, ob es sich bei Agilität um ein wirklich neues Konzept handelt – oder ob nicht doch der Titel von Shakespeares Komödie “Viel Lärm um nichts” eine vielleicht zutreffende Beschreibung ist. Schließlich ist “Agilität” erstens kein neues Wort und zweitens eine selbstverständliche Anforderung an Unternehmen. Wie will ein nicht-agiles, also langsames Unternehmen mittel- oder gar langfristig in einer Marktwirtschaft, insbesondere im Umfeld gesättigter Märkte und angebotsseitiger Überkapazitäten, überleben? Vor diesem Hintergrund ist es somit in der Tat sinnvoll, das Thema grundsätzlich zu beleuchten und auch zu hinterfragen.

Das Konzept der Agilität

Die Wurzeln der Agilität liegen in der Softwarebranche (insbesondere Scrum), aber auch bei den Designern, ihr Entwicklungsprozess war die Grundlage der später so benannten agilen Methode “Design Thinking”.

Die Grundhypothese agiler Methoden ist, dass der aktuelle Kontext, oft beschrieben als der einer “VUCA”-Welt, also des simultanen Auftretens von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit, höhere Anforderungen an Unternehmen stellt als dies früher der Fall war. In dieser VUCA-Welt muss ein Unternehmen nun, so die Einschätzung, schneller agieren können, sich schneller an ständig wechselnde Umweltbedingungen anpassen. Das wiederum ist, so die These, nicht mit den bisher bekannten Methoden leistbar – sehr wohl aber mit der agilen Toolbox.

Die bekanntesten Methoden dieser Toolbox, insbesondere das Kanban-Board, scrum und Design Thinking, sind zwischenzeitlich weit verbreitet und das in den unterschiedlichsten Branchen. Bereits diese drei Methoden zeigen auf, wie breitgefächert der agile Baukasten ist: Kanban kommt aus der Welt des TPS (Toyota-Produktions-System), scrum aus der Software-Branche und Design Thinking basiert auf dem Entwicklungsprozess bei den Designern.

Agilität ist somit nicht ein abgeschlossenes System, sondern ein offenes mit vielen Schnittstellen und einer hohen Aufnahme- und Integrationsfähigkeit für unterschiedlichste Methoden.

Der ordnende Gedanke hinter dem agilen Baukasten ist also nicht der einer festgefügten Methodenwelt, sondern vielmehr der einer Zweckorientierung: die Geschwindigkeit des Unternehmens zu erhöhen.

Mögliche Einsatzfelder in Kreditinstituten

Kreditinstitute sind letztlich eine Branche wie andere auch und durchleben im Rahmen der Digitalisierung zweifellos grundlegende Veränderungen, sie leben nicht unter einer geschützten Glocke und können den Entwicklungen in ihren zunehmend unsicheren und immer stärker kundendominierten Märkten nur ausweichen, wenn sie sich in neue Geschäftsfelder hineinbegeben. Aber auch und gerade dann brauchen sie eine bisher weder bekannte noch benötigte Veränderungsgeschwindigkeit, und die Überlegungen konzentrieren sich auch in diesem Fall auf Methoden, die die Anpassungsgeschwindigkeit erhöhen. Somit gibt es definitiv Bedarf für einen Methodenbaukasten, der den Kreditinstituten dabei hilft, sich intern und an der Kundenschnittstelle zu beschleunigen sowie das Unternehmen maximal auf den Kundennutzen auszurichten. In welchem Umfang und für welche Prozesse/Organisationseinheiten agile Methoden eingesetzt werden sollten, ist unternehmensspezifisch zu entscheiden.


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Kreditinstitute stehen meist zwar hinsichtlich der rein technischen Dimension der digitalen Transformation durchaus auf Augenhöhe mit anderen Branchen. Jedoch ist deren zweite Dimension, die organisatorisch-kulturelle, häufig erst im Entstehen begriffen. Aber nur eine erfolgreiche Umsetzung beider Dimensionen schafft die Grundlage für die Bewältigung der digitalen Transformation. Ist nun die Organisation des betrachteten Kreditinstitutes z. B. noch stark hierarchisch und strikt prozessual geprägt, so stellt sich die Einführung von Kanban-Boards als sinnvolle erste agile Maßnahme dar. Aus dem unternehmensspezifischen organisatorisch-kulturellen Reifegrad folgt somit die Ableitung des jeweiligen agilen Programms.

PRAXISTIPPS

  • Überprüfen Sie im ersten Schritt den kulturellen Reifegrad Ihres Unternehmens – sind Sie grundsätzlich bereit für agile Methoden?
  • Besteht diese Bereitschaft, passen agile Methoden zu Ihrer Unternehmenskultur, dann überprüfen Sie, welche Methoden der agilen Toolbox zu Ihrem Unternehmen passen.
  • Wenn Sie für Ihr Kreditinstitut passende Methoden ausgewählt haben, priorisieren Sie diese – und dann starten Sie mit der Umsetzung. Typischerweise ist das Kanban-Board eine geeignete erste agile Methode.


Beitragsnummer: 2806

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