Dr. Andreas Grözinger, Fachanwalt für Strafrecht, Partner, Gercke Wollschläger Rechtsanwälte PartG mbB
Cum-Cum – weniger bekannt, aber nicht weniger bedeutsam
Mit Beschluss vom 10. Dezember 2024 (Az.: 3 Ws 231/24) hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Anklage gegen mehrere Beschuldigte im Zusammenhang mit Cum-Cum-Geschäften zugelassen. Damit gab das OLG der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Nichteröffnung des Hauptverfahrens durch das Landgericht Wiesbaden statt. Die Entscheidung markiert einen Wendepunkt in der strafrechtlichen Aufarbeitung von Cum-Cum-Gestaltungen – bislang standen diese im Schatten der prominenteren Cum-Ex-Fälle.
Bei Cum-Cum-Geschäften übertragen ausländische Investoren ihre Aktien kurz vor dem Dividendenstichtag auf inländische Akteure, um Kapitalertragsteuer zu vermeiden. Nach dem Dividendenstichtag werden die Aktien zurückübertragen, wobei die inländische Stelle eine Gebühr vereinnahmt. Die Finanzverwaltung sieht in solchen Gestaltungen einen Missbrauch, insbesondere da der inländische Akteur steuerlich nicht als wirtschaftlicher Eigentümer anzusehen sei. Maßgeblich ist hierzu das BMF-Schreiben vom 09. Juli 2021. Zudem steht die Frage eines Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO im Raum.
Das Landgericht Wiesbaden und die Entscheidung des OLG Frankfurt
Das LG Wiesbaden hatte mit Beschluss vom 12. Februar 2024 (Az.: 6 KLs 1141 Js 23920/12) die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Es argumentierte, dass zur Tatzeit (2004–2006) andere steuerliche Maßstäbe galten und ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum vorgelegen habe. Insbesondere sei der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums rechtlich nicht abschließend geklärt gewesen.
Das OLG Frankfurt widersprach dieser Einschätzung ausdrücklich. Es betonte, dass die wesentlichen Fragen in der Hauptverhandlung beantwortet werden müssten, insbesondere die Klärung der Offenlegungspflichten und der steuerlichen Bewertung. Nach vorläufiger Bewertung sei mit einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung zu rechnen.
Signalwirkung für die Strafverfolgung
Die Entscheidung entfaltet über den konkreten Fall hinaus erhebliche Wirkung. Anders als bei Cum-Ex-Geschäften ist bei Cum-Cum bisher ungeklärt, ob die bloße Zwischenschaltung eines Inländers zur Steuervermeidung strafrechtlich relevant ist – insbesondere bei rückwirkender Änderung der steuerrechtlichen Beurteilung durch die Finanzverwaltung.
Brisant ist die Frage der Offenlegungspflicht: Seit dem BMF-Schreiben vom 09. Juli 2021 geht die Finanzverwaltung bei Cum-Cum-Gestaltungen von einer Anzeigepflicht nach § 153 AO aus. Diese greift, wenn relevante Umstände nicht angegeben wurden und dadurch eine Steuerverkürzung droht. Damit können sich nicht nur neue Strafverfahren ergeben – auch die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige besteht weiterhin in vielen Fällen.
Fazit
Mit dem Beschluss des OLG Frankfurt rückt die strafrechtliche Bewertung von Cum-Cum-Modellen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Erstmals wird die Frage öffentlich verhandelt, ob aggressive steuerliche Gestaltungen strafrechtlich als Täuschungshandlungen zu qualifizieren sind. Sollte es zu Verurteilungen kommen, ist mit einer erheblichen Ausweitung der Ermittlungen zu rechnen.
Die Entscheidung dürfte auch auf die Praxis erhebliche Auswirkungen haben: Die Finanzverwaltung sieht bei Cum-Cum-Geschäften einen Gesamtschaden von rund 28,5 Mrd. Euro – mehr als bei Cum-Ex. Entsprechend ist eine „Tsunami“-artige Entwicklung der Strafverfahren nicht ausgeschlossen.
Praxistipps
- Überprüfung laufender und vergangener Cum-Cum-Strukturen: Berater und Institute sollten prüfen, ob die Voraussetzungen des wirtschaftlichen Eigentums und der steuerlichen Anrechnung im Einzelfall gegeben waren.
- Anzeigepflicht nach § 153 AO ernst nehmen: Wird erkennbar, dass relevante Umstände nicht offengelegt wurden, ist eine Korrektur der Steuererklärung – ggf. im Rahmen einer Selbstanzeige – zu prüfen.
- Beobachtung künftiger Rechtsprechung: Der Ausgang des Verfahrens vor dem LG Wiesbaden wird wegweisend sein für weitere Verfahren und die strafrechtliche Bewertung bislang als zulässig erachteter Gestaltungen.
Beitragsnummer: 22965