Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart
In seinem Versäumnisurteil vom 21.11.2024 sowie in seinem weiteren dieses Versäumnisurteil bestätigenden Endurteil vom 21.02.2025, 4 HK O 5879/24, hat das Landgericht Nürnberg-Fürth auf eine Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg e.V. nach § 8 UWG die den offenen Immobilienfonds „UniImmo: Wohnen ZBI", einem alternativen Investmentfonds (AIF), in Form eines sog. „PRIIP" (packaged retail and insurance-based investment product/verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte) auflegende, vertreibende und verwaltende Kapitalverwaltungsgesellschaft verurteilt, es gegenüber Verbrauchern zukünftig zu unterlassen, ein Basisinformationsblatt zu verwenden, in welchem in Bezug auf den Immobilienfonds ein Risikoindikator von zwei (niedrigere Risikoklasse) bzw. von drei (mittelniedrigere Risikoklasse) enthalten ist. Dies deshalb, weil die verklagte Kapitalverwaltungsgesellschaft angeblich unter Verstoß gegen die gesetzlichen, in der PRIIP-VO (EU) Nr. 1286/2014 i. V. m. Art. 3 Nr. 1, Art. 3 Nr. 2 lit. a), im Anh. II, Teil 3 sowie Anh. II Teil 1 Nr. 4 lit. c) der Delegierten Verordnung (EU) 2017/653 (= DelVO) sowie in den Q&A des Joint Committee des „net asset value“ (Q&A der ESAs) enthaltenen Vorgaben den Risikoindikator 2 bzw. 3 statt dem Risikoindikator Stufe 6 auf einer Skala von 1–7 angegeben hat.
Diesbezüglich führt das Landgericht Nürnberg aus, dass nach Anh. II Teil 1 Nr. 4 lit. c) DelVO Immobilienfonds in Form sog. PRIIP dann in die Gesamtrisikoklasse 6 eingestuft werden müssten, wenn ihre Preise nicht mindestens monatlich festgesetzt werden oder sie keine geeignete Benchmark oder keinen geeigneten Stellvertreter haben oder deren geeignete Benchmark oder geeigneter Stellvertreter nicht mindestens monatlich preislich festgesetzt wird (S. 18).
Nachdem bei dem hier streitgegenständlichen offenen Immobilienfonds die Preise unstreitig keine geeignete Benchmark und keinen geeigneten Stellvertreter und deren geeignete Benchmark oder geeigneter Stellvertreter nicht mindestens monatlich preislich festgesetzt wurde, musste sich das Landgericht Nürnberg-Fürth mit der Frage auseinandersetzen, ob die verklagte Kapitalverwaltungsgesellschaft ihre Preise i. S. d. DelVO mindestens monatlich festgelegt hat mit der Folge, dass dann die Angabe des Risikoindikators mit 2 bzw. 3 zutreffend gewesen wäre (S. 18 ff.).
In diesem Zusammenhang führt das Landgericht Nürnberg weiter aus, dass die verklagte Kapitalverwaltungsgesellschaft zwar die Rückgabepreise börsentäglich berechnen würde, diese börsentäglich berechneten Rückgabepreise jedoch den Vorgaben der DelVO nicht genügen würden. Dies deshalb, weil nach Sinn und Zweck der DelVO allein die Bestimmung des Nettoinventarwerts maßgeblich sei, welcher mit dem von der verklagten Kapitalverwaltungsgesellschaft börsentäglich berechneten Rückgabepreis nicht gleichzusetzen sei (S. 21). Dies obwohl auch nach Auffassung des Landgerichts Nürnberg-Fürth ein börsentäglich berechneter Rückgabepreis maßgeblich auf dem quartalsmäßig festgestellten Nettoinventarwert des Fonds basiert und die verklagte Kapitalverwaltungsgesellschaft dadurch, dass sie täglich ihre quartalsweise erfolgte Festlegung des Nettoinventarwerts börsentäglich neu justiert und bestimmt, nichts anderes tut, als den Nettoinventarwert börsentäglich neu im Wege der Schätzung zu berechnen und festzulegen.
PRAXISTIPP
Ob vorstehende Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth tatsächlich entsprechend der Äußerungen in der Presse eine Prozesslawine gegen die Kapitalverwaltungsgesellschaften von offenen Immobilienfonds sowie gegen die solche offenen Immobilienfonds vermittelnden Institute auslösen wird, bleibt abzuwarten. Dies gilt umso mehr, als die Entscheidung des Landgerichts Nürnberg ausschließlich wettbewerbsrechtliche Ausstrahlungswirkung hat.
Ob wiederum aus Anlagevermittlungs- und Anlageberatungssicht ein offener Immobilienfonds entsprechend der Sichtweise des Landgerichts Nürnberg tatsächlich auf einer Risikoskala von 1–7 in die Risikokategorie 6 und damit als spekulative Anlage eingeordnet werden muss, wenn der Nettoinventarwert nicht monatlich festgelegt, sondern nur der Rückgabepreis börsentäglich errechnet und der Nettoinventarwert nur quartalsmäßig festgesetzt wird, erscheint aus hiesiger Sicht mehr als fraglich. Dies zum einen deshalb, weil offene Immobilienfonds in der Vergangenheit stets als grundsolide und wertbeständige sowie als risikoarme Anlagen gegolten haben (vgl. hierzu nur BGH, Urteil v. 29.04.2014, XI ZR 477/12, BKR 2016, 35, 36) und nach wie vor als risikoarme Kapitalanlagen gelten dürften. Zum anderen ist zu bedenken, dass das Landgericht Nürnberg der Meinung war, dass der betroffene offene Immobilienfonds unabhängig von dessen tatsächlicher Risikostruktur nur und allein deswegen im Basisinformationsblatt in die Risikostufe 6 auf einer Skala von 1–7 einzustufen ist, weil die verklagte Kapitalverwaltungsgesellschaft entgegen angeblicher EU-Vorgaben in der PRIIP-VO sowie in der DelVO den angeblich monatlich zu bewertenden Nettoinventarwert des Fonds ebenso angeblich nicht monatlich bewertet und damit den Preis des PRIIP i. S. d. DelVO nicht monatlich festgelegt habe. Eine Rechtsauffassung, die aus Anlagevermittlungs- und Anlageberatungssicht eher als Täuschung oder Irreführung des Anlegers über die Einordnung der Risikostruktur und Risikoklasse des offenen Immobilienfonds gewertet werden kann/muss. Dass Letzteres so gesehen werden kann/muss ergibt sich auch daraus, dass bisher von niemandem ernsthaft vertreten wurden, dass offene Immobilienfonds als spekulative Anlage anzusehen und in die Risikokategorie 6 einzustufen sind, die BaFin die Risikoeinstufung in Kategorie 2–3 bisher stets akzeptiert hat und das Landgericht Nürnberg-Fürth entgegen dem klaren Wortlaut der DelVO den Begriff des „Preises" allein unter Berücksichtigung des vermeintlichen Sinn und Zweck der DelVO nicht als „Rückgabepreis" sondern als nicht nur geschätzten, sondern als monatlich konkret/real festzusetzenden Nettoinventarwert auslegt. Die nach hiesiger Meinung „Fehlerhaftigkeit" der Risikoeinstufung von offenen Immobilienfonds in die Risikostufe 6 wird auch dadurch offenkundig, dass die verklagte Kapitalverwaltungsgesellschaft die Ordnungsgemäßheit der Risikoeinstufung des Fonds von Stufe 6 auf Stufe 2 oder 3 auch nach Auffassung des Landgerichts Nürnberg allein dadurch wieder herbeiführen könnte, dass sie – ohne Veränderung der Risikostruktur des Fonds – ihre Bewertungsmethode ändert, indem sie entsprechend dem Wunsch des Landgerichts Nürnberg-Fürth den Nettoinventarwert monatlich festsetzt. Eine Sichtweise, welche die Fragwürdigkeit des Urteils des Landgerichts Nürnberg offenkundig werden lässt. Dies gilt umso mehr, als die Kapitalverwaltungsgesellschaft den unstreitig quartalsweise festzulegenden Nettoinventarwert aufgrund aktueller Ereignisse und Erkenntnisse börsentäglich schätzt und festlegt.
Aus Anlagevermittlungs- und Anlageberatungssicht kommt noch hinzu, dass nicht feststeht, was genau die Ursache dafür war, dass beim streitgegenständlichen offenen Immobilienfonds im Sommer 2024 eine Abwertung des Werts des Fonds mit ca. 1.000 Immobilien um ca. 17 % und einem einhergehenden Verlust von ca. 800 Millionen bei einem Immobilienvermögen von ca. 1.000.000.000 erfolgte. Sollten hierfür nämlich nicht vorhersehbare externe Faktoren wie Corona, Ukrainekrieg, Inflation, gestiegene Zinsen etc. oder möglicherweise auch eine Fehlbewertung durch die den Nettoinventarwert des Fonds quartalsmäßig feststellenden Gutachter verantwortlich gewesen sein, dann würde sich die Frage stellen, ob diese Ursache zum Zeitpunkt der Vermittlung des Fonds für die den Fonds an Anleger vermittelnden Institute überhaupt im Rahmen der Plausibilitätsprüfung oder der Prüfung mit banküblichem kritischen Sachverstand erkennbar geworden wäre.
Schließlich ist zu bedenken, dass allein die vom Landgericht Nürnberg-Fürth vertretene Rechtsauffassung, wonach allein die Verletzung der Bewertung des Nettoinventarwerts in falschen zeitlichen Intervallen – statt monatlich quartalsmäßig – nicht ohne weiteres zur Haftung eines Anlagevermittlers oder Anlageberaters führt. Dies dürfte nämlich nur dann der Fall sein, wenn sich die vorgenommene Risikoindikation bei der vom Landgericht gewünschten monatlichen Prüfung für den Fonds tatsächlich verändern würde bzw. verändert hätte, was unwahrscheinlich erscheint, und zudem eine zeitlich engmaschigere Prüfung – monatlich statt quartalsmäßig – für die Kapitalanlageentscheidung des Anlegers überhaupt kausal geworden wäre, woran ebenfalls erhebliche Zweifel bestehen.
Hiervon unabhängig bleibt auch für die offene Immobilienfonds auflegende, vertreibende und verwaltende Kapitalverwaltungsgesellschaft abzuwarten, ob im Falle der Berufungseinlegung das Oberlandesgericht Nürnberg die nach hiesiger Auffassung mehr als fragwürdige Rechtsauffassung des Landgerichts Nürnberg teilen wird, wonach die maßgeblich auf dem quartalsweise festgestellten Nettoinventarwert beruhende börsentäglich erfolgende Festlegung des Rückgabepreises, nicht doch den Anforderungen der Festsetzung des Preises i. S. v. Anh. II Teil 1 Nr. 4 lit. c) DelVO genügt, woran gewisse Zweifel bestehen. Denn aus hiesiger Sicht ist die am quartalsweise festzulegenden Nettoinventarwert orientierte börsentägliche Bestimmung des Rückgabepreises besser geeignet als die monatliche Festlegung des Nettoinventarwerts, um den Fonds in die „richtige" Risikokategorie auf einer Skala von 1–7 einzustufen. Dies gilt umso mehr, als mit der auch auf der Grundlage des Nettoinventarwerts erfolgenden Errechnung börsentäglicher Rückgabepreise zugleich eine auf einer Schätzung beruhende börsentägliche Neubestimmung des Nettoinventarwerts erfolgt.
Beitragsnummer: 22953