Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart
In seinem Urteil vom 11.07.2023, XI ZR 111/22 (BKR 2023, 788 m. Anm. Konow/Sehorz, BKR 2023, 792 ff. sowie Maier/VuR 2023, 466 ff.), hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein Bürge die vom Zahlungsdienstnutzer als Hauptschuldner nicht beanstandeten unautorisierten oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgänge gegen sich gelten lassen muss, wenn die Ansprüche und Einwendungen des Hauptschuldners wegen Fristablaufs nach § 676b Abs. 2 S. 1 BGB ausgeschlossen sind. In diesem Zusammenhang entschied der Bundesgerichtshof weiter, dass dann, wenn ein Zahlungsdienstnutzer nach einem nicht autorisierten oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgang untätig bleibt, dies keinen Verzicht i. S. d. § 768 Abs. 2 BGB darstellt mit der Konsequenz, dass gegenüber dem Bürgen der Einwendungsausschluss nach § 676b Abs. 2 S. 1 BGB greift.
Im Rahmen seiner diesbezüglichen Ausführungen hält der Bundesgerichtshof zunächst fest, dass § 676b Abs. 2 S. 1 BGB, nach welchem Ansprüche und Einwendungen des Zahlungsdienstnutzers gegen den Zahlungsdienstleister aus §§ 675u S. 1, 675v Abs. 5 BGB ausgeschlossen sind, wenn dieser, der Zahlungsdienstnutzer, seinen Zahlungsdienstleister nicht spätestens 13 Monate nach dem Tag der Belastung mit einem nicht autorisierten oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgang hiervon unterrichtet hat, nach seinem Wortlaut sowie nach seinem Sinn und Zweck nur für Einwendungen aufgrund einer fehlenden Autorisierung oder einer fehlerhaften Ausführung von Zahlungsvorgängen im Rahmen des Deckungsverhältnisses greift und nicht auch für sogenannte institutsinterne Belastungsbuchungen aufgrund von Kosten-, Zins- und Provisionsansprüche gilt (Rn. 20–27).
Sodann stellt der Bundesgerichtshof klar, dass der Einwendungsausschluss nach § 676b Abs. 2 S. 1 BGB nur dann eingreift, wenn der Zahlungsdienstleister den Zahlungsdienstnutzer über die den Zahlungsvorgang betreffenden Angaben nach Art. 248 §§ 7,10 oder 14 EGBGB unterrichtet hat (Rn. 35). Dabei hebt der Bundesgerichtshof hervor, dass das Zugänglichmachen von Informationen im Online-Banking den Anforderungen an eine solche Unterrichtung nicht genügt (Rn. 38–41), mit der Konsequenz, dass der Einwendungsausschluss nach § 676 Abs. 2 S. 1 BGB bei bloßem Zugänglichmachen von Informationen nicht greift, sondern nur dann, wenn die Informationen dem Zahlungsdienstnutzer im Sinne einer Unterrichtung mitgeteilt oder übermittelt werden.
Hieran anschließend hält der Bundesgerichtshof fest, dass sich der Einwendungsausschluss nach § 676b Abs. 2 S. 1 BGB aufgrund der Bestimmungen des Bürgschaftsrechts sowie des dort verankerten Grundsatzes der Akzessorietät auch zu Lasten des Bürgen insofern auswirkt, als der Bürge die vom Hauptschuldner nicht beanstandeten unautorisierten oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgänge gegen sich gelten lassen muss, wenn die Ansprüche und Einwendungen des Hauptschuldners wegen Fristablauf nach § 676b Abs. 2 S. 1 BGB ausgeschlossen und daher automatisch erloschen sind (Rn. 31). Etwas anderes würde sich nach Auffassung des Bundesgerichtshofs auch nicht aus dem europäischen Recht ergeben (Rn. 29–30).
Hiervon ausgehend hält der Bundesgerichtshof schließlich fest, dass der Einwendungsausschluss nach § 676b Abs. 2 S. 1 BGB nicht unter die Vorschriften des § 768 Abs. 2 BGB fällt, wonach der Bürge eine Einrede nicht dadurch verliert, dass der Hauptschuldner auf sie verzichtet. Dies deshalb, weil in der bloßen Untätigkeit des Zahlungsdienstnutzers keine Verfügung liegt, da bereits nicht festgestellt werden kann, dass die Untätigkeit auf eine verzichtsgleiche Motivation des Zahlungsdienstnutzers zurückzuführen ist (Rn. 33 f.). Dies hat wiederum zur Konsequenz, dass § 768 Abs. 2 BGB den Bürgen nicht vor dem Eingreifen des Einwendungsausschlusses nach § 676b Abs. 2 BGB schützt.
PRAXISTIPP
Der Bundesgerichtshof hatte bereits in seinem Urteil vom 23.05.2017, XI ZR 219/16, BKR 2017, 328, 334, entschieden, dass allein der Umstand, dass eine Forderung vom Insolvenzverwalter zur Tabelle festgestellt wird, eine analoge Anwendung des § 768 Abs. 2 BGB selbst dann nicht zu rechtfertigen vermag, wenn die Forderung der Gläubigerin gegenüber der Hauptschuldnerin zum Zeitpunkt der Anmeldung zur Tabelle verjährt gewesen wäre und der Insolvenzverwalter rechtsirrig die Einrede der Verjährung nicht erhoben hätte. Dies, so der BGH weiter, deshalb, weil das bloße Nichtbestreiten einer zur Tabelle angemeldeten Forderung durch den Insolvenzverwalter mit einem rechtsgeschäftlichen Verzicht auf die Erhebung der Verjährungseinrede nicht vergleichbar ist und der darlegungs- und beweisbelastete Bürge im konkreten Fall nicht dargelegt habe, dass das Nichtbestreiten der angemeldeten Forderung auf eine verzichtsgleiche Motivation des Insolvenzverwalters zurückzuführen ist oder das der Insolvenzverwalter wider besseres Wissen gehandelt hat (Rn. 61–63).
Demgegenüber hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 12.03.1980, VIII ZR 105/79 (NJW 1980, 1460, 1461), entschieden, dass dann, wenn der Bürge sich wegen einer gegen ihn geltend gemachten Forderung auf die Verjährung der Hauptforderung berufen könnte, der Hauptschuldner wiederum in dem gegen ihn geführten Rechtsstreit die Verjährungseinrede nicht erhebt und aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung eine neue 30-jährige Verjährungsfrist in Lauf gesetzt wird, der Bürge sich auf § 768 Abs. 2 BGB berufen könne. Zur Begründung führt der Bundesgerichtshof aus, dass vor dem Hintergrund, dass selbst ein ausdrücklicher Verzicht des Hauptschuldners auf die Einrede der Verjährung den Bürgen nach § 768 Abs. 2 BGB nicht daran hindern kann, sich auf die Verjährung der Hauptforderung zu berufen, dies erst recht gelten muss, wenn der Hauptschuldner im laufenden Prozess durch schlichtes Schweigen die Einrede der Verjährung nicht erhebt. Dies deshalb, weil in der bloßen Nichtbeteiligung am Prozess ein einem rechtsgeschäftlichen Verzicht i. S. v. § 768 Abs. 2 BGB vergleichbares Verhalten gesehen werden muss.
Ähnlich entschied der Bundesgerichtshof in einem weiteren Fall, in welchem der Hauptschuldner durch Anerkennung der Forderungen des Gläubigers auf die Einrede der Verjährung verzichtet hatte. In diesem Fall hielt nämlich der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 18.09.2007, XI ZR, 447/06 WM 2007, 2230, fest, dass der Hauptschuldner durch den durch das Anerkenntnis erfolgten automatischen Verzicht auf die Einrede der Verjährung die Haftung des Bürgen erweitert habe, was ihm nach § 768 Abs. 2 BGB untersagt sei.
In seiner aktuellen Entscheidung setzt der Bundesgerichtshof seine diesbezügliche Rechtsprechung konsequent fort und stellt fest, dass eine Untätigkeit des Zahlungsdienstnutzers, welche zum Einwendungsausschluss nach § 676b Abs. 2 BGB führt, nicht als (rechtsgeschäftlichen) Verzicht i. S. v. § 768 Abs. 2 BGB gewertet werden kann, was in sich schlüssig und überzeugend ist.
Beitragsnummer: 22905