Prof. Dr. Christian Tallau, Professor für Finanzwirtschaft an der FH Münster, Direktor des Instituts für Kreditanalyse
Im Kontext der Beurteilung der Kapitaldienstfähigkeit (KDF) spielt die Frage nach den zukünftig notwendigen Investitionen eine wesentliche Rolle. Um nachhaltig kapitaldienstfähig zu sein, muss auch die Finanzierung der zur geplanten Cashflow-Generierung erforderlichen (Ersatz-)Investitionen sichergestellt sein. In der Kreditpraxis orientiert man sich dazu häufig an den Abschreibungen der Vergangenheit und setzt im Rahmen der Ableitung der Kapitaldienstgrenze einen pauschalen Prozentsatz der historischen Abschreibungen als notwendige Investitionen an. Dieses Vorgehen ist nicht immer angemessen.
Relevanz der Finanzierungsstruktur
Die Berücksichtigung von Ersatzinvestitionen hängt wesentlich von der Finanzierungsstruktur des Anlagevermögens ab. Werden durch Tilgung aus den Abschreibungsgegenwerten ausreichend Ersatzinvestitionspotenziale geschaffen, sodass zukünftige Ersatzinvestitionen durch neue Außenfinanzierung/Darlehen finanziert werden können, ist deren Berücksichtigung in der Kapitaldienstgrenze im Regelfall nicht erforderlich.
Werden dagegen neben tilgungsforderndem Fremdkapital auch andere Mittel (Eigenfinanzierung) eingesetzt oder übersteigt die Darlehenslaufzeit die Nutzungsdauer, so spiegelt der Kapitaldienst keine ausreichende Schaffung von Ersatzinvestitionspotenzial wider und Ersatzinvestitionen sollten bei Ermittlung der Kapitaldienstgrenze berücksichtigt werden.
Praktische Umsetzung
Für eine praktische Handlungsanweisung lässt sich idealtypisch an der Matrix in Abb. 1 orientieren. Liegt die Tilgungsleistung nicht unterhalb der Abschreibungen, so ist im Regelfall keine Berücksichtigung von Ersatzinvestitionen in der Kapitaldienstgrenze notwendig. Es werden ausreichend Ersatzinvestitionspotenziale geschaffen. Eine Ausnahme bildet lediglich die Situation, dass das tilgungsfordernde Fremdkapital das Sachanlagevermögen deutlich übersteigt und es daher trotz Tilgung zu keiner angemessenen Rückführung der Verschuldung kommt. Hier ist zu prüfen, wie die Finanzierung der zukünftigen Ersatzinvestition sichergestellt wird.
| Tilgung = AfA | Tilgung > AfA | Tilgung < AfA |
Tilgungsforderndes Fremdkapital < Sachanlagevermögen | keine Berücksichtigung erforderlich | keine Berücksichtigung erforderlich | Nachhaltige AfA in Höhe des Anteils der bisherigen Eigenfinanzierung |
Tilgungsforderndes Fremdkapital = Sachanlagevermögen | keine Berücksichtigung erforderlich | keine Berücksichtigung erforderlich | Prüfung der zukünftigen Finanzierung vornehmen (alternativ: Differenz von nachhaltigen AfA und Tilgung ansetzen) |
Tilgungsforderndes Fremdkapital > Sachanlagevermögen | Prüfung der zukünftigen Finanzierung vornehmen (alternativ: konservativ 100 % der nachhaltigen AfA ansetzen) | keine Berücksichtigung erforderlich (soweit Rückführung Darlehen in wirtschaftlicher Nutzungsdauer) | Prüfung der zukünftigen Finanzierung vornehmen (alternativ: konservativ 100 % der nachhaltigen AfA ansetzen) |
Abbildung 1: Berücksichtigung von Ersatzinvestitionen in der Kapitaldienstgrenze
Liegt die Tilgungsleistung dagegen unterhalb der Abschreibungen, können investitionsbedingte Anpassungen der Kapitaldienstgrenze erforderlich sein, wobei zwei Fälle zu unterscheiden sind:
- Sofern das tilgungsfordernde Fremdkapital geringer als das Sachanlagevermögen ist, sollte der Anteil der Eigenfinanzierung berücksichtigt werden. Abschreibungen sind in diesem Fall in anteiliger Höhe der Eigenfinanzierung zu berücksichtigen und reduzieren die Kapitaldienstgrenze.
- Ist das tilgungsfordernde Fremdkapital nicht geringer als das Sachanlagevermögen, so übersteigt die Tilgungsdauer offenbar die Nutzungsdauer, womit die spätere Außenfinanzierung der Ersatzinvestitionen nicht gewährleistet ist. In diesem Fall ist zumindest die Differenz von Abschreibungen und Tilgungsleistung als zusätzliche Mittelbindung für Ersatzinvestitionen zu berücksichtigen.
Neben den reinen Ersatzinvestitionen ist ferner zu prüfen, ob ggf. weitere Sicherungsinvestitionen (z. B. im Zusammenhang mit ESG-bedingten Anforderungen) notwendig sind. Ferner sollten auch Abschreibungen auf GWG in der Kapitaldienstgrenze als Mittelbindung berücksichtigt werden.
Orientierung an den nachhaltigen Abschreibungen
Die Höhe der Ersatzinvestitionen an die Abschreibungen der Vergangenheit zu knüpfen, setzt voraus, dass die Abschreibungen auch repräsentativ für zukünftige Ersatzinvestitionen und damit nachhaltig sind. Anpassungsbedarf entsteht zum einen, wenn das Unternehmen in der Vergangenheit aus der Substanz gelebt hat und die Abschreibungen den Ersatzinvestitionsbedarf unterschätzen. Sollten zum anderen Preissteigerungen für Ersatzinvestitionen relevant sein (z. B. Inflation, Technik, Regulatorik), die sich nicht in einer Erhöhung der operativen Cashflows widerspiegeln, kann ein zusätzlicher Sicherheitspuffer angemessen sein.
PRAXISTIPPS
- Die Berücksichtigung von Ersatzinvestitionen ist abhängig von der Finanzierungsstruktur. Werden durch Tilgung ausreichend Ersatzinvestitionspotenziale geschaffen (Indikator: Tilgungsleistung liegt nicht unterhalb der Abschreibungen), so ist eine Berücksichtigung im Rahmen der Kapitaldienstgrenze nicht zwingend geboten.
- Liegt die Tilgungsleistung unterhalb der Abschreibungen (z. B. durch anteilige Eigenfinanzierung oder durch nicht an die Nutzungsdauer angepasste Darlehenslaufzeiten), sind im Regelfall Anpassungen der Kapitaldienstgrenze um Ersatzinvestitionen erforderlich.
- Die in der Vergangenheit gebuchten Abschreibungen reflektieren ggf. nicht angemessen den zukünftigen Ersatzinvestitionsbedarf, etwa weil Preissteigerungen zu erwarten sind oder das Unternehmen aus der Substanz gelebt hat.
Beitragsnummer: 22827