Hans-Jürgen Wieczorrek, Firmenkundenbetreuer Sanierung, Kreissparkasse Köln
Am 15.11.2024 vermeldete das Handelsblatt Research Institute (HRI), dass auch im nächsten Jahr, also dem dritten in Folge, mit einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung zu rechnen ist. Die Ursache für diese Schwäche wird allerdings nicht im mangelnden Konsum der deutschen Verbraucher verortet, sondern eher in der immer weiter rückläufigen Auftragslage der Industrie.
Das Geschäft mit China ist aus vielen Gründen schwächer geworden. Und nach einhelliger Meinung wird sich hieran auch nicht so schnell etwas ändern. Der sich nach der US-Wahl vom 05.11.2024 anbahnende politische und wirtschaftliche Kurswechsel wird auch bei vielen exportlastigen deutschen Unternehmen des Maschinenbaus und der Automobilindustrie deutliche Bremsspuren hinterlassen. Zu lange hat sich insbesondere die letztgenannte Branche auf die gut ausgereifte Verbrennertechnik fokussiert, die jetzt schon seit geraumer Zeit durch umweltfreundlichere Möglichkeiten allmählich abgelöst wird. Diese alternativen Lösungen stehen der deutschen Automobilindustrie zum jetzigen Zeitpunkt leider nicht in ausreichender Anzahl und vor allem zu konkurrenzfähigen Preisen zur Verfügung. Was bedeutet diese unheilvolle Entwicklung nun für den Bankanalysten?
Der schwarze Peter liegt jetzt bei den kreditgebenden Banken, da diese die Antworten finden müssen bei der Beurteilung der Frage, ob ein Unternehmen immer noch zukunftsfähig ist oder ob hier die Reißleine gezogen werden muss. Dies gilt insbesondere für Zulieferbetriebe der Automobilindustrie. Für eine erste Einordnung tauchen einige Fragen auf. Wie war die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre? Sind neue Projekte in der Entwicklung? Besonders kritisch sind Unternehmen zu betrachten, die in den letzten Jahrzehnten stark in der Verbrennertechnik engagiert waren und nun für den Bereich der E-Mobilität gar keine oder nur sehr wenige Ersatzprodukte entwickelt haben. Auch wenn es in einigen Kreisen politisch gewollt ist, kann die grüne Technologie nicht mehr zurückgedrängt werden. Wer keine entsprechenden Produkte hat, macht auch kein Geschäft mehr.
Die Lieferketten sollten ebenfalls kritisch beleuchtet werden. Während zum Zeitpunkt der Corona-Pandemie oder der daran anschließenden Energiekrise aufgrund des Ukraine-Krieges erhebliche Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Rohmaterial oder Vorprodukten zu beobachten waren, sollten sich diese Probleme inzwischen gelegt haben. Sollte es hier ausnahmsweise anders aussehen, sollten mögliche Abhängigkeiten besonders genau beobachtet werden. Gerade politisch indizierte Knappheiten können dauerhaft das Ergebnis der hiesigen Unternehmen verhageln.
Aber auch die Kundenstruktur ist einen Blick wert. Jetzt müssen im Automobilbereich gerade die Zulieferbetriebe damit rechnen, von ihren Abnehmern hängen gelassen zu werden, da diese selbst mit Ertragsproblemen zu kämpfen haben. Hier berichtete das Handelsblatt am 14.11.2024 von einem branchenweiten Ertragseinbruch gerade im dritten Quartal 2024. Häufig werden von den Automobilherstellern in einer solchen Situation einfach nicht die vereinbarten Mengen abgerufen, wohl wissend, dass die Zulieferer aufgrund einseitiger umsatzbedingter Abhängigkeiten und/oder dünner Kapitaldecke eigentlich keine Möglichkeiten haben, sich zu wehren. Eine solche Konstellation ist auf jeden Fall sehr negativ bei der Beurteilung der Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens zu bewerten.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist auch die Liquidität. Während der Corona-Pandemie wurden in Deutschland zahlreiche Hilfen seitens des Staates gezahlt, die eine seinerzeit bereits bestehende Schieflage häufig kaschiert hatten. Nun sind diese Liquiditätspolster sehr oft aufgebraucht und die betroffenen Unternehmen zeigen anhand der wirtschaftlichen Entwicklung deutlich, dass das Geschäftsmodell wohl doch nicht so lukrativ und vor allem nachhaltig ist. In dieser Phase versuchen die Unternehmer alles, um die Liquidität zu erhalten. Gerne wird in einer sich zuspitzenden Liquiditätssituation auf Factoring zurückgegriffen. Der aufmerksame Banker wird einen solchen Weg in der Regel recht schnell entdecken, wenn nämlich in der Summen-/Saldenliste der BWA verdächtige Positionen auftauchen und gleichzeitig der Forderungsbestand rückläufig ist. Manchmal wird aber auch von der Factoringgesellschaft eine Bestätigung des Kreditinstituts erwartet, dass keine Forderungsabtretung besteht. Dann wäre dieser Schritt offensichtlich.
Zur Stützung der Liquidität werden auch gerne stille Reserven gehoben, indem z. B. Anlagevermögen verkauft wird. Hier gilt der Grundsatz, dass dieser Liquiditätseffekt nur einmal auftritt. Danach besteht unter Umständen wieder das alte Problem, sofern nicht die grundsätzlich negative Situation angegangen wurde.
Aufgrund der geschilderten Umstände, insbesondere mit Blick auf mögliche Liquiditätspolster aus der Zeit der Corona-Pandemie, ist zu beobachten, dass die Unternehmen sehr viel schneller in die Insolvenz fallen. Häufig durchlebt das Unternehmen nicht mehr die klassische „Karriere“ über die Intensivbetreuung, Sanierung und anschließend die Abwicklung, sondern fällt ziemlich direkt um. Häufig wird die fehlende Liquidität so relativ schnell zu einem schlagenden Risiko.
Spätestens in der Zeit vor dem Jahresultimo, wenn die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Kreditkunden mit Blick auf möglichen Risikovorsorgebedarf beurteilt werden muss, ist es angebracht, sich einige grundsätzliche Gedanken über die Engagements zu machen. Nachhaltigkeit sollte nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Umwelt beurteilt werden, sondern auch mit klarem Blick auf die wirtschaftliche Zukunft des betroffenen Unternehmens bzw. der Branche. Denn eines ist ziemlich sicher: die Pleitewelle rollt jetzt erst an und wird nicht nur die Politiker in den nächsten Jahren beschäftigen.
PRAXISTIPPS
- Durchleuchten Sie Ihr Kreditportfolio insbesondere mit Blick auf kriselnde Branchen und/oder markante Abhängigkeiten zu Unternehmen aus solchen Branchen.
- Gehen Sie nach dem Erkennen direkt ins Handeln über, um Ihre Handlungsoptionen zu erweitern.
- Behalten Sie insbesondere kapital- und ertragsschwache Unternehmen in der engen Überwachung. Aus ertragsschwachen werden häufig schnell liquiditätsschwache Unternehmen – was die Ausfallgefahr deutlich erhöht.
Beitragsnummer: 22812