Montag, 25. November 2024

Videoberatung im Wertpapiergeschäft

Ein Überblick über Anforderungen, Herausforderungen und Erkenntnisse aus der Prüfung von Videoberatungen

Lukas Zimpfer, Verbandsprüfer, Baden-Württembergischer Genossenschaftsverband e.V.

 

Die Digitalisierung hat das Wertpapiergeschäft in den letzten Jahren grundlegend verändert. Besonders die Einführung neuer Technologien, die eine flexiblere und persönlichere Kundenbetreuung ermöglichen, hat die Wertpapierdienstleistungsunternehmen vor neue Herausforderungen gestellt. Eine dieser „Innovationen“ ist die Videoberatung, bei der die Vorzüge der Anlageberatung in Präsenz (gemeinsames Ansehen von Unterlagen und sich zumindest virtuell in die Augen schauen) mit dem Vorzug der zeitlichen und räumlichen Unabhängigkeit kombiniert werden. Unter den Begriff der Videoberatung fällt auch das sog. Screen-sharing, bei dem sich der Anlageberater und der Kunde nicht zwingend in die Augen sehen, gleichwohl der Bildschirm des Anlageberaters mit dem Kunden geteilt wird.

 

Die Bedeutung der Videoberatung im Wertpapiergeschäft

Die Videoberatung hat sich in den letzten Jahren, besonders durch die Corona-Pandemie, als eine Möglichkeit etabliert, um mit Kunden in Kontakt zu treten und Finanzdienstleistungen anzubieten. Sie ermöglicht es, eine persönliche Beratung durchzuführen, ohne dass der Kunde physisch anwesend sein muss. Besonders im Bereich des Wertpapiergeschäfts, wo individuelle Beratung und detaillierte Informationen zu komplexen Finanzprodukten gefragt sind, kann die Videoberatung eine sinnvolle Ergänzung zum klassischen Beratungsgespräch vor Ort sein.

Die Nachfrage nach Videoberatung ist in den letzten Jahren stark gestiegen, und viele Finanzdienstleister bieten diese Option inzwischen standardmäßig an. Für den Kunden bringt die Videoberatung den Vorteil, dass sie zeitlich flexibel und ortsunabhängig ist.

 

Chancen und Vorteile der Videoberatung

Flexibilität und Erreichbarkeit

Ein zentraler Vorteil der Videoberatung im Wertpapiergeschäft ist die erhöhte Flexibilität sowohl für den Berater als auch für den Kunden. Beratungsgespräche können unabhängig von geografischen Barrieren geführt werden, was insbesondere für Kunden von Interesse ist, die in abgelegenen Regionen leben oder durch ihre Arbeitszeiten eingeschränkt sind.

 

Personalisierte Beratung

Trotz der räumlichen Distanz ermöglicht die Videoberatung eine persönliche, vertrauensvolle Kommunikation. Mit moderner Technik können Berater während des Gesprächs auf digitale Dokumente, Grafiken und Tabellen zugreifen, um komplexe Sachverhalte klar und verständlich zu erklären. Dies fördert das Vertrauen zwischen Anlageberater und Kunde und ermöglicht eine maßgeschneiderte Beratung, die den individuellen Bedürfnissen des Kunden entspricht.

 

Risiken und Herausforderungen der Videoberatung

Datenschutz und Sicherheit

Ein zentrales Thema im Wertpapiergeschäft ist der Datenschutz. Bei der Videoberatung müssen sowohl Berater als auch Kunden sicherstellen, dass ihre Kommunikation vor unbefugtem Zugriff geschützt ist. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen sicherstellen, dass sie ausreichende Verschlüsselungstechnologien verwenden und den Datenschutzanforderungen entsprechen. In Deutschland sind diesbezüglich die Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sowie die Anforderungen aus Gesetz und aufsichtsrechtlichen Verlautbarungen der BaFin zu beachten sind.

 

Technische Probleme

Trotz der fortschreitenden Digitalisierung können technische Schwierigkeiten, wie Verbindungsabbrüche oder schlechte Audio- und Videoqualität, die Qualität einer Videoberatung beeinträchtigen. Dies könnte zu Missverständnissen oder Frustration bei den Kunden führen und das Vertrauen in den Beratungsprozess gefährden. Daher ist es wichtig, dass Wertpapierdienstleistungsunternehmen auf eine stabile und benutzerfreundliche Technologie setzen, die regelmäßig gewartet und aktualisiert wird.

 

Rechtliche Rahmenbedingungen der Videoberatung

Die Videoberatung im Wertpapiergeschäft unterliegt den gleichen regulatorischen Anforderungen wie die traditionelle Anlageberatung, die sich insbesondere im WpHG, der DelVO (EU) 2017/565 und den MaComp finden.

Besondere gesetzliche und aufsichtsrechtliche Anforderungen bestehen in Bezug auf die Aufzeichnungspflichten in Art. 76 Abs. 1–8, 10, 11 DelVO (EU) 2017/565 i. V. m. § 83 Abs. 3–5, 7, 8, 9 WpHG und dem Abschnitt B der BaFin FAQ zu MiFID II-Wohlverhaltensregeln nach §§ 63 ff. WpHG.

Zentrale Anforderungen sind, dass Kunden- und Mitarbeiter zumindest einmalig darüber informiert werden müssen, dass die Anlageberatung aufgezeichnet wird. Bei Widerspruch eines Kunden gegen die Aufzeichnung darf ihm gegenüber keine Wertpapierdienstleistung bzw. Wertpapiernebendienstleistung auf telefonischem Wege oder über Video erbracht werden.

Da in Zusammenhang mit der Aufzeichnung von Wort und ggf. Bild auch Persönlichkeitsrechte und datenschutzrechtliche Implikationen zu berücksichtigen sind, ist der Kreis derjenigen einzuschränken, die Zugriff auf die Aufzeichnungsdateien haben. Hierzu sind schriftliche Grundsätze zu erstellen, die auch eine namentliche Nennung der zur inhaltlichen Prüfung berechtigten Mitarbeiter enthält. Inhaltliche Prüfungen haben entsprechend den FAQ der BaFin risikoorientiert durch Anhören zu erfolgen. Die Prüfungen sind sowohl durch den operativen Marktbereich, die Compliance-Funktion und durch die Interne Revision vorzunehmen. Dem externen Prüfer, der die Prüfung des Wertpapierdienstleistungsgeschäfts nach § 89 WpHG vornimmt, ist zudem Zugriff auf die Aufzeichnungsdateien zu gewähren. Auch er hat im Rahmen seiner Prüfung eine inhaltliche Prüfung vorzunehmen.

Die Aufzeichnungen sind unter Wahrung des Datenschutzes und der Regelungen in den schriftlichen Grundsätzen leicht zugänglich zu archivieren. Leicht zugänglich meint insbesondere, dass bei berechtigtem Interesse an der Sprachaufzeichnungsdatei durch den Kunden selbst, der die Herausgabe (einer Kopie) seiner Sprachaufzeichnung verlangen kann, aber auch bei Anforderung durch die externe Revision oder die BaFin ohne weiteres erfolgen kann.

Entsprechend § 83 Abs. 3 und 8 i. V. m. Art. 76 Abs. 8 Buchst. b) und Abs. 11 DelVO (EU) 2017/565 sind die Sprachaufzeichnungen für exakt fünf Jahre (auf explizite Anforderung der BaFin: sieben Jahre) zu archivieren. Danach hat eine Löschung bzw. Vernichtung zu erfolgen. Diese Löschung bzw. Vernichtung ist in einem Löschungs- oder Vernichtungsprotokolls zu dokumentieren.

Der Umfang der Aufzeichnungspflichten ergibt sich aus § 83 Abs. 3 WpHG, wonach insbesondere diejenigen Teile aufzuzeichnen sind, in welchen die Risiken, die Ertragschancen und die Ausgestaltung von Finanzinstrumenten oder Wertpapierdienstleistungen erörtert werden. Konkretisiert wird die Anforderungen in Abschnitt B, Nr. 3 der BaFin FAQ, wonach bereits die Kundenexploration, die typischerweise zu Beginn der Anlageberatung erfolgt, aufzuzeichnen ist. Da entsprechend Abschnitt B Nr. 2 der BaFin FAQ eine Unterbrechung der Aufzeichnung durch Nutzung einer „Stopp“ oder „Pause“ Funktion nicht zulässig ist, entspricht faktisch „der frühzeitige Beginn“ der Aufzeichnungspflicht einer Aufzeichnungspflicht (zumindest nahezu) von Beginn der Anlageberatung bis zum Ende des Telefonats, an das sich ggf. auch eine aufzeichnungspflichtige Order anschließt.

Sofern ein Wertpapierdienstleistungsinstitut ausschließlich aufzeichnungspflichtige Wertpapier(neben)dienstleistungen erbringt, ist entsprechend Abschnitt 3 Nr. 7 der BaFin FAQ jedes eingehende und ausgehende (Video-)Telefonat vollständig von Beginn an d. h. ab der Entgegennahme des Anrufs aufzeichnungspflichtig.

Während bei der telefonischen Anlageberatung typischerweise ausschließlich die Tonspur aufgezeichnet werden kann, bestehen bei Videoberatungen Unklarheiten, ob neben der Tonspur auch die Bildspur aufzuzeichnen ist. Während die BaFin auch die Aufzeichnung der Bildspur verlangt, verweisen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen auf eine nicht (eindeutige) rechtliche Grundlage hierzu. Zwischen den Wertpapierdienstleistungsunternehmen und der BaFin ist vereinbart, dass die BaFin zur diesbezüglichen Klärung die ESMA konsultiert und deren Beurteilungsergebnis in ihre Aufsichtspraxis übernehmen möchte.

Um sich bereits jetzt ein Bild vom Umfang der Aufzeichnung bei Videoberatung zu machen (Aufzeichnung auch von der Bildspur) wies die BaFin erstmals für Prüfungen nach § 89 WpHG im Jahr 2023 die Prüfer nach § 89 WpHG an, entsprechende Ausführungen im amtlichen Fragebogen zu treffen.

 

Feststellungen aus Prüfungen

Häufige Feststellungen aus der Prüfung von Videoberatungen betreffen die rechtzeitige und taggenaue Löschung nach exakt fünf Jahren. Teilweise können auch mangels Löschungsprotokolle Löschungszeitpunkt nicht nachvollzogen bzw. belegt werden.

Ebenfalls häufig betreffen die Feststellungen die Vollständigkeit der Sprachaufzeichnungen. Teilweise durch (unerlaubte) Nutzung einer Stoppfunktion, vielmehr allerdings durch Aussagen in der Geeignetheitserklärung, die nicht aus der Aufzeichnungsdatei entnehmbar sind oder gar in Widerspruch zur Geeignetheitserklärung stehen. Beispielhaft hierfür sind nachfolgend aufgeführte „Klassiker“:

  • Keine Aufzeichnung der Chancen und insb. der Risiken,
  • keine Aufzeichnung der von dem Wertpapierdienstleistungsinstitut erhaltenen Vertriebsvergütung,
  • keine Aufzeichnung der Kundenexploration
  • keine vollumfängliche Nachhaltigkeitspräferenzabfrage oder gar ein Verweis auf die im Rahmen einer vergangenen Anlageberatung geäußerte Nachhaltigkeitspräferenz

 

Fazit und Praxistipps

Die Videoberatung im Wertpapiergeschäft stellt eine Erweiterung der traditionellen Beratungsmethoden dar. Sie bietet sowohl für die Wertpapierdienstleistungsunternehmen als auch für die Kunden zahlreiche Vorteile, wie Flexibilität, Kosteneffizienz und die Möglichkeit einer persönlichen Beratung. Dennoch müssen die Herausforderungen in Bezug auf Datenschutz, technische Infrastruktur und rechtliche Anforderungen berücksichtigt werden. Insbesondere sollten wirksame Kontrollen angesetzt sein, denn in Streitfällen kann die Aufzeichnungsdatei angehört werden. Sind hierauf Aussagen, insb. zu Risiken des beratenen Finanzinstrumentes nicht enthalten, reduziert dies die Chancen auf einen zufriedenstellenden Ausgang im Sinne des Wertpapierdienstleistungsunternehmens. Gleichzeitig kann eine Aufzeichnung, die sehr deutlich auf kundenschützende Normen, insb. der Risikoaufklärung, im Streitfall die Chancen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens erhöhen.

Es empfiehlt sich, den Anlageberatern für telefonische Anlageberatungen und Videoberatungen einen aussagekräftigen Leitfaden an die Hand zu geben.


Beitragsnummer: 22810

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