Freitag, 22. November 2024

Gesetzlichkeitsfiktion der Muster-Widerrufsinformation

EuGH-Geeignetheitskriterium als Allheilmittel

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

 

Sowohl in seinem Urteil vom 15.10.2024, XI ZR 39/24 (BeckRS 2024, 31581), als auch in seinem Urteil vom 24.09.2024, XI ZR 32/22 (WM 2024, 1955), musste sich der Bundesgerichtshof mit den Auswirkungen von fehlenden, unvollständigen und fehlerhaften Pflichtangaben in solchen unter die Verbraucherkreditrichtlinie fallenden Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge auf die Rechtswirksamkeit der den Darlehensnehmern erteilten Widerrufsinformation auseinandersetzen.

In seiner Entscheidung vom 24.09.2024 erinnert der Bundesgerichtshof unter Hinweis auf sein Urteil vom 27.02.2024 (XI ZR 258/22, BGHZ 239, 337, WM 2022, 979) zunächst daran, dass nach dessen Rechtsprechung die Information über den Verzugszinssatz nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB neben der Angabe der Art und Weise seiner etwaigen Anpassung auch die Angabe des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden konkreten Prozentsatzes voraussetzt (Rn. 23), was das betroffene Kreditinstitut in seiner Widerrufsinformation nicht berücksichtigt hatte.

Hieran anknüpfend hält der Bundesgerichtshof unter Hinweis auf seine im Anschluss an das neue „Geeignetheitskriterium" entwickelnde EuGH-BMW-Bank-Urteil vom 21.12.2023, (C-38/21, C-47/21 u., C-232/21, WM 2024, 249) ergangene Entscheidung vom 27.02.2024, (XI ZR 258/22, BGHZ 239, 337, Rn. 34 f.) fest, dass das Fehlen dieser Angabe nicht dazu geeignet ist, das Anlaufen der Widerrufsfrist zu verhindern. Dies deshalb, weil ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher den streitgegenständlichen Darlehensvertrag auch dann abgeschlossen hätte, wenn ihm bei Vertragsabschluss über die im Vertrag enthaltenen Angaben hinaus auch der zu diesem Zeitpunkt geltende konkrete Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner Anpassung mitgeteilt worden wären. Ein solcher Verbraucher hätte nämlich einer solchen Angabe keine für den Vertragsschluss maßgebliche Bedeutung beigemessen, sodass er, der Verbraucher, durch das Fehlen dieser Angabe nicht in Bezug auf seine Rechte und Pflichten irregeführt worden ist (Rn. 24; so auch BGH, Urteil v. 15.10.2024, a. a. O., u. H. auch auf BGH, Urteil v. 04.06.2024, XI ZR 113/21, WM 2024, 1207 Rn. 27 f.).

Hieran anschließend führt der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 24.09.2024, aus, dass das betreffende Kreditinstitut seine aus § 492 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 1 und 2 EGBGB resultierende Verpflichtung, über das nach § 495 Abs. 1 BGB bestehende Widerrufsrecht zu informieren (sog. Kaskadenverweis), zwar nicht ordnungsgemäß erfüllt hat (Rn. 29). Ungeachtet dessen könne sich das betroffene Kreditinstitut jedoch auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 BGB berufen, weil die in dem Darlehensvertrag in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form enthaltene Widerrufsinformation dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB entspricht. Dem stünden die in der Information vorgenommenen Abweichungen hinsichtlich Format, Schriftgröße und direkte Anrede des Darlehnsnehmers nicht entgegen (Rn. 30). Auch der Umstand, so der BGH weiter, dass der Tageszinssatz in der Widerrufsinformation mit 0,00 € angegeben ist, stünde der Berufung auf die Gesetzlichkeitsfiktion nicht entgegen (Rn. 32). Auch solche, den Verbraucher lediglich begünstigende Zusatzinformationen stünden der Gesetzlichkeitsfiktion nicht entgegen (Rn. 33).

In seiner Entscheidung vom 15.10.2024 ergänzt der Bundesgerichtshof seine vorstehenden Ausführungen noch dahingehend, dass die Fehlerhaftigkeit des sog. Kaskadenverweises auch dann dem Beginn des Laufs der Widerrufsfrist nicht entgegensteht, wenn sich das Kreditinstitut nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen kann, weil die verwendete Widerrufsinformation aufgrund „erheblicher“ Abweichungen dem Muster nicht entspricht (Rn. 17). Dies, so der BGH weiter, deshalb, weil nach dem vom EuGH in seiner vorstehend zitierten BMW-Bank-Entscheidung vom 21.12.2023 (a. a. O., Rn. 253, 264) entwickelten „Geeignetheitskriterium“ eine vollständige oder fehlerhafte Information nur dann als eine das Anlaufen der Widerrufsfrist hindernde fehlerhafte Angabe anzusehen ist, wenn der Verbraucher durch sie in Bezug auf seine Rechte und Pflichten irregeführt und somit zum Abschluss eines Vertrages veranlasst wird, den er möglicherweise nicht geschlossen hätte, wenn er über vollständige und inhaltlich zutreffende Informationen verfügt hätte, was bei der „Fehlerhaftigkeit“ des Kaskadenverweises nicht der Fall sei. Denn diese „Fehlerhaftigkeit“ sei weder geeignet, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner aus dem Darlehensvertrag herrührenden Rechte und Pflichten – konkret: seines Widerrufsrechts – einzuschätzen, auszuwirken, noch auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen. Auch nimmt sie ihm nicht die Möglichkeit, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei vollständiger Erteilung der Information im Darlehensvertrag auszuüben (Rn. 24 ff.).

 

PRAXISTIPP

Bei solchen der Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG unterfallenden Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen – hierunter fallen keine Immobilien-Verbraucherdarlehen, keine Allgemein-Verbraucherdarlehen über 75.000 € und auch keine vor dem 11.06.2010 geschlossenen Verbraucherdarlehen – wird es bei unvollständigen oder fehlerhaften Widerrufsinformationen für das Nicht-Anlaufen der Widerrufsfrist in erster Linie darauf ankommen, ob das betroffene Kreditinstitut sich auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen kann. Dies wiederum hängt davon ab, ob die vom Muster abweichenden „Veränderungen“ so „wesentlich“ und damit „schädlich“ sind, dass von einer dem Muster entsprechenden Information nicht mehr die Rede sein kann. Damit wird wiederum die zur „Muster-Verordnungswiderrufsbelehrung" entwickelte frühere „Schädlichkeits-Rechtsprechung“ des BGH wieder reaktiviert, bei welcher ebenso wie jetzt geprüft werden musste, ob die früher betroffenen Widerrufsbelehrungen dem damaligen „Verordnungs-Belehrungs-Muster“ entsprachen mit der Konsequenz des Eingreifens der „Gesetzlichkeits- bzw. Verordnungsfiktion“.

Anders als früher können sich Kreditinstitute heutzutage selbst dann, wenn sie sich auf die Gesetzlichkeitsfiktion wegen „schädlicher“ Abweichungen vom Muster nicht berufen können, dass sog. „Geeignetheitskriterium“ zu Nutze machen und wie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 15.10.2024 darlegen, dass die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Information weder irreführend noch kausal für die Entscheidung des Verbrauchers war, den Vertrag abzuschließen. Diesbezüglich wird wiederum abzuwarten sein, ob es überhaupt noch fehlerhafte oder unvollständige Angaben geben wird/kann, welche geeignet sind, diese neue „Geeignetschwelle“ zu überschreiten.


Beitragsnummer: 22806

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