Ilka Pufe, Fachspezialistin Forbearance/NPL Methodik, Kredit Consult, Deutsche Kreditbank AG (DKB)
Als Forbearance bezeichnet man die Gewährung von Zugeständnissen durch Kreditinstitute an Schuldner, die gegenwärtige oder (drohende) finanzielle Schwierigkeiten haben. Ziel ist es, die Rückzahlungsfähigkeit der Schuldner zu unterstützen und Kreditausfälle zu minimieren. Dazu werden beispielsweise Kreditbedingungen modifiziert oder eine Refinanzierung vereinbart.
Der aufsichtsrechtliche Rahmen für Forbearance-Maßnahmen hat sich seit der Einführung des Financial Reporting Framework (FINREP) im Jahr 2014 stetig erweitert. So wurden u. a. im Oktober 2018 die Leitlinien über das Management notleidender und gestundeter Risikopositionen der EBA veröffentlicht, in denen weitergehende Anforderungen an das Thema Forbearance gestellt werden. Diese finden sich auch in der 6. MaRisk-Novelle wieder. Ergänzend wurde mit Gültigkeit der neuen EBA-Ausfalldefinition ab 01.01.2021 die Lücke zwischen aufsichtlichem Meldewesen und operativem Geschäft geschlossen.
Angesichts dieser regulatorischen Entwicklungen und der anhaltenden wirtschaftlichen Herausforderungen gewann und gewinnt das Thema Forbearance enorm an Bedeutung, denn entsprechende Maßnahmen tragen in Summe letztlich auch zur Stabilität des Finanzsystems bei.
Trotz des positiven Grundgedankens hinter Forbearance gibt es nach wie vor Herausforderungen bei der Umsetzung. Eine der zentralen Fragen besteht in der genauen Definition dessen, was aufsichtsrechtlich als „(drohende) finanzielle Schwierigkeiten" gilt. Das ist insofern wichtig, da die Antwort auf diese Frage darüber entscheidet, wie die Auswirkungen u. a. auf Risikoprozesse und Betreuungsform sind bzw. wie die einzelnen Maßnahmen im Berichtswesen der Banken berücksichtigt werden müssen.
Die teilweise generischen Vorgaben aus den oben genannten Standards haben dazu geführt, dass Finanzinstitute unterschiedliche operative Kriterien für die Evaluierung der finanziellen Lage der Kunden entwickelt haben.
Um eines vorwegzunehmen: DIE Antwort auf diese Frage, mit der eineindeutig alle Zugeständnisse bei allen Kunden entweder als forborne klassifiziert werden oder nicht, gibt es nicht. Gleichwohl gibt es Hinweise aus den Vorgaben oder auch jeweils hausspezifische Gegebenheiten, die zumindest Leitplanken für diesen Themenkomplex ermöglichen.
Anwendung in der Praxis
Während die Frage, ob ein Zugeständnis vorliegt, meist recht schnell zu beantworten ist, gibt es immer wieder Diskussionen, ob es sich dabei um Forbearance handelt oder nicht.
Eine präzise und endgültige Definition wird in den oben genannten Regularien nicht ausdrücklich festgelegt. Hinweise finden sich allerdings, unter anderem im Artikel 47b der Capital Requirements Regulation (CRR) und in den EBA NPL Guidelines. Dort werden spezifische Situationen beschrieben, die als Forbearance-Tatbestände gelten und auch das Thema „(drohende) finanzielle Schwierigkeiten“ weiter definiert.
Zu den Indikatoren für Forbearance gehören unter anderem:
- Günstigere Vertragsbedingungen für Schuldner, wenn diese Schwierigkeiten haben oder wahrscheinlich haben werden, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen.
- Die Maßnahme führt zur vollständigen oder teilweisen Annullierung der Kreditverpflichtung.
- Ein Verzug von mehr als 30 Tagen innerhalb der letzten drei Monate.
- Eine Verschlechterung des Ratings in den letzten drei Monaten.
- Eine Überwachung mittels Watchlist in den letzten drei Monaten.
Vertiefende und operationalisierte Anweisungen zum Thema „(drohende) finanzielle Schwierigkeiten” sollten sich in der schriftlich fixierten Ordnung der Banken wiederfinden.
Am effizientesten und wünschenswert wäre es sicherlich, eine Checkliste für die finanzielle Situation der Schuldner bereitstellen zu können. Aufgrund der Formulierung „(drohende) finanzielle Schwierigkeiten" ist dies jedoch schwierig und aufgrund des teilweise sehr individuellen Geschäfts auch nicht für jede Situation der Schuldner umsetzbar. Insbesondere die Formulierung „drohend“ bringt in der praktischen Umsetzung einige Herausforderungen mit sich. „Drohend“ kann auch bedeuten, dass es sich bis dato um völlig unauffällige Konten/Kunden gehandelt hat. Das bedeutet u. a., dass ein Exposure im Vorfeld nicht zwingend auf einer Watchlist gestanden haben bzw. durch Überziehungen oder Ratingverschlechterungen oder auch ansonsten auffällig geworden sein muss.
Empfehlenswert ist deswegen, in internen Leitlinien klare Indikatoren für finanzielle Schwierigkeiten zur Verfügung zu stellen, die sich eng u. a. an Risikofrüherkennungs- und Watchlist-Prozessen orientieren und auch die Betreuungsform entsprechend berücksichtigen. Ergänzend dazu ist es sinnvoll, eine „Generalklausel“ einzuführen, die sämtliche sonstigen relevanten Informationen berücksichtigt, die der Bank zur Verfügung gestellt werden.
Diese Indikatoren führen nicht zwangsläufig zu der Einschätzung, dass (drohende) finanzielle Schwierigkeiten vorliegen. Es erfordert eine dezidiertere Auseinandersetzung mit der Thematik in einer zu erstellenden Kreditvorlage. Eine nachvollziehbare Begründung der Entscheidung sollte verpflichtend sein. Vorgaben zu Art und Umfang der Dokumentation können sich sicherlich in Abhängigkeit von Umfang und Risikogehalt eines Kreditengagements unterscheiden.
Die Kundenbetreuenden/Votierenden sind die Spezialisten für ihre Engagements und sie können am besten einschätzen, wie sich die Situation der Kunden darstellt. Wichtig sind hier auch eine entsprechende Expertise und Sensibilisierung für das Thema Forbearance. Das bezieht sich nicht nur auf die Risikoeinheiten eines Hauses. Forbearance kann zu fast jedem Zeitpunkt im Kreditprozess relevant sein. Es ist daher sinnvoll, das Thema z. B. durch kurze Schulungen oder Auffrischungen von Zeit zu Zeit wieder in den Vordergrund zu rücken. Als eine äußerst praktikable Möglichkeit bietet sich z. B. an, alle direkt im Kreditprozess involvierten Mitarbeitenden mit einem Mix aus Theorien und interaktiv gestalteten Praxisfällen für dieses Themenfeld zu sensibilisieren.
Konservativere Sichtweise nimmt zu
Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Unsicherheit nehmen viele Kreditinstitute bei Prüfern und Aufsicht eine zunehmend konservativere Sichtweise bei der Bewertung von Forbearance wahr. Insbesondere bei Kreditengagements mit Vertragszugeständnissen, die sich finanziell in einer Situation befinden, bei der es sowohl für als auch gegen die Entscheidung Forbearance gute Argumente gibt, werden diskutiert. Umso wichtiger sind, wie oben erwähnt, eine gute Begründung und Dokumentation der in der Vergangenheit seitens des Kreditinstituts getroffenen Entscheidung – besonders dann, wenn diese zum Ergebnis „keine finanziellen Schwierigkeiten“ gekommen ist. Es kann im Nachhinein ein Dissens hinsichtlich einer Einzelfallentscheidung bestehen. Entscheidend ist, dass Vorgaben und Prozesse des Hauses den Anforderungen entsprechen und nachvollziehbar begründet sind.
Zukunftsaussichten und Schlussfolgerungen
Die EZB hat im Rahmen des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) das Thema Forbearance als Prüfungsschwerpunkt für die Jahre 2024 bis 2026 festgelegt. Banken werden sich auch deswegen weiterhin intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen müssen. Gut aufgestellte Prozesse, eindeutige interne Anweisungen und vor allem sensibilisierte, spezialisierte Mitarbeitende sind der Schlüssel dafür, dass das Thema effektiv und effizient in den Häusern umgesetzt wird.
PRAXISTIPPS
- Finden Sie Leitplanken, an denen sich die Entscheidung, ob (drohende) finanzielle Schwierigkeiten vorliegen, orientieren kann
- Eine gute und nachvollziehbare Dokumentation der getroffenen Entscheidung ist essenziell
- Sensibilisieren Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen regelmäßig für diese komplexe Thematik – gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten.
Beitragsnummer: 22742