Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart
In seiner Entscheidung vom 14.05.2024, XI ZR 327/22 (BKR 2024,683 ff. m. Beiträgen v. Herresthal, ZIP 2024, 1523 f. u. Mohrbutter, BKR 2024, 660 ff.) hatte der Bundesgerichtshof über folgenden verkürzt dargestellten Fall zu entscheiden:
Die Kläger hatten sich gegenüber der UAG im Rahmen eines Investmentauftrags verpflichtet, 350.000 € auf das Konto der UAG zu überweisen. Demgemäß beauftragten die Kläger ihre Bank L damit, diesen Betrag auf das Konto der UAG bei der Beklagten zu überweisen. Die Bank L übermittelte wiederum über die Bank H den Zahlungsauftrag an die Beklagte weiter, welche wiederum die 350.000 € auf das bei ihr geführte Konto der UAG am 06.03.2012 gutschrieb. Dies, obwohl die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht im Rahmen einer Verfügung vom 01.03.2012 sämtliche Konten und Depots der UAG gesperrt und der UAG die Entgegennahme von Publikumseinlagen – hierum handelt es sich bei den 350.000 € der Kläger – untersagt hatte, worüber die Beklagte am 05.03.2012 von Dritten, nämlich von den von der Finanzmarktaufsicht eingesetzten Untersuchungsbeauftragten durch Übersendung der Verfügung per Fax informiert wurde. Nachdem die UAG nach Erhalt der 350.000 € insolvent wurde, bemühten sich die Kläger aus eigenem Recht sowie aus abgetretenem Recht der Banken L und H im Wege des Schadensersatzes von der Beklagten als Empfängerbank die 350.000 € zurückzuerhalten.
Diesbezüglich hält der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung v. 14.05.2024 (a. a. O.) zunächst fest, dass sich nach dessen seit jeher anerkannten Rechtsprechung ein Zahlungsdienstleister im bargeldlosen Zahlungsverkehr grundsätzlich nicht um das dem Zahlungsvorgang zugrundeliegende Valutaverhältnis kümmern muss, weil er nur zum Zweck der technisch einwandfreien einfachen und schnellen Abwicklung tätig wird. Nur ganz ausnahmsweise würde, so der Bundesgerichtshof weiter, etwas anderes gelten, nämlich dann, wenn Treu und Glauben es nach den Umständen des Falles gebieten, den Zahlungsauftrag nicht ohne vorherige Rückfrage beim Kunden auszuführen, um diesen von einem möglicherweise drohenden Schaden zu bewahren. Ein solcher Ausnahmefall sei nach der Rechtsprechung z. B. dann anzunehmen, wenn der beauftragten Bank der ersichtlich unmittelbar bevorstehende wirtschaftliche Zusammenbruch des Überweisungsempfängers bekannt ist. Gleiches gelte, wenn eine Bank aufgrund massiver Anhaltspunkte den Verdacht hege, dass ein Kunde bei der Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr durch eine Straftat einen anderen schädigen will. Allerdings, so der Bundesgerichtshof weiter klarstellend, müsse die Bank oder ein anderer Zahlungsdienstleister weder generell prüfen, ob die Abwicklung eines Zahlungsverkehrsvorgangs Risiken für einen Beteiligten begründe, noch Kontobewegungen allgemein und ohne besondere Anhaltspunkte überwachen. Demgemäß bestehe eine Warnpflicht nach Auffassung des Bundesgerichtshofs erst und nur dann, wenn die Bank ohne nähere Prüfung im Rahmen der normalen Bearbeitung eines Zahlungsverkehrsvorgangs aufgrund einer auf massiven Verdachtsmomenten beruhenden objektiven Evidenz den Verdacht einer Veruntreuung schöpfe. Für solche Ausnahmefälle sei kennzeichnend, dass der Auftraggeber der Zahlung von den die Warnpflicht begründenden Umständen keinerlei Kenntnis hat und er durch Erfüllung der Warnpflicht in die Lage versetzt wird, Maßnahmen zu ergreifen, um einen Schaden abzuwenden (Rn. 26).
Obwohl die Beklagte im konkret betroffenen Fall von der Verfügung der Finanzmarktaufsicht vom 01.03.2012 erst am 05.03.2012 und damit genau einen Tag vor der erfolgten Gutschrift Kenntnis per Fax über Dritte erlangte, ließ der Bundesgerichtshof diesen Sachverhalt im Grundsatz ausreichen, um im konkreten Fall eine Warn- und Hinweispflicht der Beklagten anzunehmen, ihre Vertragspartnerin, die Bank H, auf die Untersagungsverfügung der Finanzmarktaufsicht hinzuweisen, damit diese dann die Bank L und jene wiederum die Kläger über die Verfügung informiert (Rn. 28).
Nach dem das Berufungsurteil den Klägern einen Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gegen die Beklagte Bank zugesprochen hatte, führt der Bundesgerichtshof sodann aus, dass nach dessen anerkannten Rechtsprechung die Vertragsverhältnisse zwischen den beteiligten Banken im bargeldlosen Zahlungsverkehr gerade keine Schutzwirkung zugunsten Dritter entfalten (Rn. 31 f.).
Allerdings weist der Bundesgerichtshof hieran anschließend auf seine in diesem Zusammenhang anerkannte Rechtsprechung hin, wonach der Bankkunde in solchen Fällen die Möglichkeit habe, bei Warnpflichtverletzungen durch vertraglich mit ihm nicht verbundene Banken Schadensersatzansprüche aus abgetretenem Recht der involvierten Bank nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation geltend zu machen. Zur Begründung führt der Bundesgerichtshof aus, dass die Situation im mehrgliedrigen Zahlungsverkehr der für die Drittschadensliquidation anerkannten Fallgruppe der Stellvertretung entspreche, weswegen auch im mehrgliedrigen Zahlungsverkehr die für eine Drittschadensliquidation typische und erforderliche Schadensverlagerung anzunehmen sei (Rn. 33).
Nachdem wiederum die Kläger den von Ihnen geltend gemachten Schadensersatzanspruch ausdrücklich auch auf solche von den Banken H und L abgetretenen Ansprüche in Verbindung mit den Grundsätzen der Drittschadensliquidation gestützt und zur Anspruchsabtretung hinreichend vorgetragen hatten, das Berufungsgericht wieder hierzu noch keinerlei Feststellungen getroffen hatte, wird das Berufungsgericht im „Zurückweisungsprozess“ prüfen müssen, ob Schadensersatzansprüche nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation in Betracht kommen
Was wiederum die Kausalität zwischen der Verletzung der Warn- oder Hinweispflicht sowie dem bei den Klägern entstandenen Schaden anbelangt, so erinnert der Bundesgerichtshof zunächst daran, dass die Beklagte als Empfängerbank dafür beweispflichtig sei, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn sie sich pflichtgemäß verhalten hätte, die Kläger somit einen erteilten Hinweis unbeachtet gelassen hätten. Diese Darlegungs- und Beweislast zulasten der Beklagten als Empfängerbank begründet der Bundesgerichtshof damit, dass die sogenannte Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, welche nach Auffassung des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs eine echte Umkehr der Darlegungs- und Beweislast zugunsten des Aufklärungsbedürftigen begründet, nicht nur für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters gilt, sondern auch für die Verletzung von Warn- und Hinweispflichten durch eine Bank im Zahlungsverkehr. Zur Rechtfertigung seiner diesbezüglichen Auffassung verweist der Bundesgerichtshof allein auf die Entscheidung des OLG Karlsruhe in seinem Urteil vom 10.01.2012 (17 U 31/11, BeckRS 2012, 17112 am Ende Ziff. 5 = WM 2012, 1529, 1532), welche sich allein mit der Verletzung von Hinweis- und Warnpflichten in Bezug auf Sicherheitsstandards bei Schließfächern auseinandersetzt (Rn. 36).
Was wiederum die Verjährung etwaiger Schadensersatzansprüche nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation anbelangt, so weist der Bundesgerichtshof zunächst darauf hin, dass es in Rechtsprechung und Literatur streitig ist, auf wessen Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis für die Ingangsetzung des Verjährungslaufs maßgeblich abzustellen sei (Rn. 49–51). Hieran anschließend hält der Bundesgerichtshof fest, dass es für die Ingangsetzung des Verjährungslauf entscheidend auf die Kenntnis des Anspruchsinhabers ankommt, weswegen im Falle der Abtretung eines Anspruchs, der Kenntnisstand des Zedenten für die Ingangsetzung des Verjährungslaufs maßgebend ist, im vorliegend konkreten Fall somit auf das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen bei der Bank H als Zedentin (Rn. 51–55).
Nachdem der Bundesgerichtshof wegen noch erforderlicher Feststellungen durch das Berufungsgericht die Sache nicht selbst entscheiden konnte, wurde lediglich das Berufungsurteil aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen, wobei der Bundesgerichtshof von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht und die Angelegenheit an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts zurückverwiesen hat.
PRAXISTIPP
Vom Grundsatz her ist es zwar zutreffend, der Bank dann Warn- und Hinweispflichten aufzuerlegen, wenn es Kenntnis davon erlangt, dass die schweizerische Finanzmarktaufsicht Konten des Geldempfängers gesperrt und die Entgegennahme von Publikumseinlagen untersagt hat. Ob allerdings auch im konkreten Fall diese Warn- und Hinweispflicht tatsächlich zum Tragen kommen konnte, kann zumindest bezweifelt werden. Dies deshalb, weil sich aus dem Sachverhalt nicht konkret entnehmen lässt, ob die Empfängerbank am Vortag der Gutschrift so rechtzeitig vom Inhalt der Verfügung Kenntnis erlangt hat, dass sie die Gutschrift noch hätte stoppen können (zur Kritik vgl. Herresthal, ZIP 2024, 1523, 1524).
Wünschenswert wäre es auch gewesen, wenn der Bundesgerichtshof bei der Übertragung der Grundsätze der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens auf den Überweisungsverkehr nicht nur auf die Entscheidung des OLG Karlsruhe verwiesen, sondern auch eine nachvollziehbare sachliche Begründung hierfür präsentiert hätte. Dies schon deshalb, weil das OLG Karlsruhe nur Ausführungen zu Sicherheitsstandards bei Schließfächern getätigt hat (kritisch auch Herresthal, ZIP 2024, 1523, 1524 sowie Mohrbutter, BKR 2024, 660, 663).
Insgesamt liegt es nunmehr am Berufungsgericht anhand des konkreten Vortrages im Einzelfall zu prüfen, ob eine Hinweis- und Warnpflicht tatsächlich im konkreten Fall bestand und/oder ob eine etwaige diesbezügliche Pflichtverletzung tatsächlich kausal für den eingetretenen Schaden geworden ist. Schließlich wird das Berufungsgericht auch prüfen müssen, ob etwaige bestehende Ansprüche verjährt sind (zu den Warnpflichten der Banken zum Schutz ihrer Kunden vgl. auch den Beitrag von Zahrte, BKR 2024, 593 ff.).
Beitragsnummer: 22710