Donnerstag, 20. Juni 2024

Pflichten des Anlagevermittlers

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart


In seiner Entscheidung vom 21.03.2024, III ZR 70/23 (vgl. hierzu auch die Parallelentscheidungen vom 21.03.2024, III ZR 71/23 sowie III ZR 72/23), erinnert der Bundesgerichtshof zunächst daran, dass der Anlagevermittler aus dem mit dem Anlageinteressenten bestehenden Auskunftsvertrag regelmäßig nur zu richtiger und vollständiger Information über diejenigen tatsächlichen Umstände verpflichtet ist, die für dessen Anlageentschluss von besonderer Bedeutung sind. Dagegen sei der Vermittler, anders als der Anlageberater, nicht zu einer fachkundigen Bewertung und Beurteilung der für die Anlageentscheidung wesentlichen Tatsachen verpflichtet (Rn. 19).

Hiervon ausgehend stellt der Bundesgerichtshof sodann klar, dass der Vermittler, um sachgerechte Auskünfte erteilen zu können, sich ebenfalls grundsätzlich vorab selbst über die Wirtschaftlichkeit der Kapitalanlage und die Bonität des Kapitalsuchenden informieren muss. Dabei habe der Anlagevermittler das Anlagekonzept, bezüglich dessen er Auskunft geben soll, wenigstens auf Plausibilität, insbesondere auf wirtschaftliche Tragfähigkeit zu prüfen. Liegen dazu keine objektiven Daten vor oder verfügt der Vermittler mangels Einholung entsprechender Informationen insoweit nur über unzureichende Kenntnisse, muss er dies dem anderen Teil offenlegen (Rn. 19).

In diesem Zusammenhang verweist der Bundesgerichtshof auch darauf, dass die Plausibilitätsprüfung in gewissem Umfang auch Ermittlungspflichten einschließen kann, wenn es um Umstände geht, die nach den vorauszusetzenden Kenntnissen des Vermittlers Zweifel an der inneren Schlüssigkeit einer mitgeteilten Tatsache zu begründen vermögen. Allerdings dürften an den Anlagevermittler keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Vielmehr müsse der mit der notwendigen Überprüfung verbundene Aufwand dem Vermittler zumutbar sein. Durfte wiederum der Anlagevermittler bei pflichtgemäßer Prüfung der ihm vorliegenden Informationen davon ausgehen, bereits auf dieser Grundlage zuverlässig Auskunft zur Wirtschaftlichkeit und Sicherheit der in Rede stehenden Kapitalanlage geben zu können, ist er der weiteren Plausibilitätsprüfung und sich gegebenenfalls daran anschließender Ermittlungen enthoben (Rn. 20).

Sodann hebt der Bundesgerichtshof hervor, dass die Beantwortung der Frage, wo die Grenzen der Informations- und einer gegebenenfalls im Rahmen des Zumutbaren bestehenden Ermittlungspflicht des Anlagevermittlers im einzelnen Fall zu ziehen sind, von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles abhängig ist. Von Bedeutung seien dabei etwa die Situation, wie sie sich bei der betreffenden Anlageentscheidung insgesamt darstellt, die Geschäftserfahrung und der konkrete Kenntnisstand des Anlageinteressenten, von diesem möglicherweise abgefragte Informationen sowie die Frage, in welchem Maße der Vermittler Vertrauen und besondere Kenntnisse für sich in Anspruch nimmt – bspw., indem er die Erwartung weckt, er verfüge nicht bloß über die bei einem Anlagevermittler regelmäßig vorauszusetzenden allgemeinen wirtschaftlichen Kenntnisse, sondern über darüber hinausgehendes Wissen beispielsweise auf technischem Gebiet (Rn. 21).

Im Hinblick auf die hiervon abweichende Rechtsauffassung des Hanseatischen Oberlandesgericht als Berufungsinstanz stellt der Bundesgerichtshof sodann klar, dass mit diesen Grundsätzen die Ansicht des Berufungsgerichts unvereinbar sei, wonach den Anlagevermittler ungeachtet der jeweiligen Umstände des Einzelfalls auch ohne zusätzliche Anhaltspunkte eine Anlasslose Verpflichtung zum Abrufen und Lesen der im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten früheren Jahresabschlüsse der kapitalsuchenden Unternehmen treffe sowie zur Weitervermittlung ihres Inhalts an den Anlageinteressenten. Auch und erst recht sei mit vorstehenden Grundsätzen unvereinbar, dem Anlagevermittler unabhängig von den Umständen des Einzelfalles die grundsätzliche Pflicht zur Einsichtnahme in die Jahresabschlüsse aufzubürden, wenn es sich nicht um das kapitalsuchende Unternehmen selbst, sondern um eine Schwestergesellschaft handelt (Rn. 22).

Hieran anschließend hält der Bundesgerichtshof erneut fest, dass dann, wenn die dem Vermittler bereits vorliegenden Informationen ein hinreichendes, objektiv zutreffend erscheinendes und in sich schlüssiges Gesamtbild der Anlage ergeben, es ausreichend ist, wenn der Anlagevermittler die Plausibilität des Anlagekonzepts anhand dieser Informationen beurteilt. Weitere Nachforschungen bzw. Ermittlungen zur Gewinnung neuer, ihm bislang unbekannter Erkenntnisse in Bezug auf das Beteiligungsobjekt müsse der Vermittler nur anstellen, wenn im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte Anlass zu Zweifeln am Funktionieren des Anlagemodells geben. Solche Anhaltspunkte liegen etwa vor, wenn schon die Höhe der im Prospekt oder in sonstigen Vertriebsunterlagen angegebenen Rendite das Anlagemodell fragwürdig erscheinen lässt, die dem Vermittler zufallende Provision den prospektierten Gesamtvertriebskostenanteil übersteigt oder in der Wirtschaftspresse, soweit sie der Vermittler verfolgen und auswerten muss, zeitnah und gehäuft negative Berichte über die Anlage erscheinen (Rn. 24).

Im Anschluss hieran hebt der Bundesgerichtshof noch klarstellend hervor, dass der Vermittler auch bei Vorliegen solcher soeben beispielhaft aufgeführter Anhaltspunkte nicht zwingend zum Abrufen und Lesen früherer Jahresabschlüsse des kapitalsuchenden Unternehmens angehalten ist. Denn der Anlegervermittler könne selbst entscheiden, auf welche Weise er – wenn überhaupt – Nachforschungen zur Plausibilität eines Investments anstellt, solange die von ihm genutzten Informationsquellen nur ausreichend sind. Ob er einen veröffentlichen – aus einer Vermögensbilanz und einer Gewinn- und Verlustrechnung für das Geschäftsjahr bestehenden und durch einen Lagebericht, einen erläuternden Anhang sowie gegebenenfalls weitere Unterlagen erweiterten Jahresabschluss einer Kapitalgesellschaft auswertet, was in der Regel besondere Fachkenntnisse voraussetzt oder nur unter Heranziehung eines Wirtschaftsprüfers sinnvoll ist, oder sich auf andere Informationsquellen wie etwa Berichte von Finanzanalysten stützt, ist daher grundsätzlich ihm überlassen. Eine Pflicht speziell zur Auswertung von im Bundesanzeiger veröffentlichten Jahresabschlüssen mit Testaten im Rahmen einer vom Vermittler durchgeführten Plausibilitätsprüfung könnte allenfalls dann in Betracht zu ziehen sein, wenn andere hinreichende Erkenntnisquellen nicht zur Verfügung stehen, Plausibilitätszweifel spezifische Punkte betreffen, die vorrangig durch Einsichtnahme in die Jahresabschlüsse zu klären sind, oder der Anlagevermittler – etwa, weil er selbst Wirtschaftsprüfer ist, oder aber mit entsprechenden Kenntnissen geworben hat – beim Anleger diesbezüglich Erwartungen geweckt hat (Rn. 25).

 

PRAXISTIPP

Es ist zu begrüßen, dass der Bundesgerichtshof in aller Deutlichkeit hervorgehoben hat, dass den Anlagevermittler, anders als vom Berufungsgericht vertreten, keine allgemeine Pflicht zum Abrufen und Lesen der im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten früheren Jahresabschlüsse der kapitalsuchenden Unternehmen und zur Weitervermittlung ihres Inhalts an den Anlageinteressenten besteht. Ebenso zu begrüßen ist, dass der Bundesgerichtshof in aller Deutlichkeit festgestellt hat, dass die Ansicht des Berufungsgerichts, den Anlagevermittler treffe ungeachtet der jeweiligen Umstände des Einzelfalles auch ohne zusätzliche Anhaltspunkte eine anlasslose Verpflichtung zum Abrufen und Lesen von Jahresabschlüssen, als mit seinen seit jeher anerkannten und entwickelnden Grundsätzen zur Anlagevermittlung unvereinbar ist. Insofern kann man sich über die diesbezügliche anderslautende Positionierung des Berufungsgerichts nur wundern. Dies gilt umso mehr als bereits im Vorfeld der hiesigen Entscheidung des Bundesgerichtshofs mehrere Oberlandesgerichte, bestätigt durch den Bundesgerichtshof, eine solche anlasslose und/ohne zusätzliche Anhaltspunkte bestehende Verpflichtung des Anlagevermittlers zum Abrufen und Lesen von Jahresabschlüssen der kapitalsuchenden Unternehmen abgelehnt hatten (vgl. die Hinweise in Rn. 22).


Beitragsnummer: 22643

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