Donnerstag, 20. Juni 2024

Abgrenzung Mitdarlehensnehmer/Mithaftender

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

 

Wird ein finanzschwacher Verbraucher nach Kündigung eines Darlehensvertrages auf Rückzahlung der noch ausstehenden Darlehenssumme als Mitdarlehensnehmer nach § 488 Abs. 1 BGB in Anspruch genommen, dann stellt sich immer wieder die Frage, ob dieser den Darlehensvertrag als Mitdarlehensnehmer unterzeichnende Verbraucher seine Inanspruchnahme dadurch abwehren kann, dass er behauptet, er sei entgegen dem Wortlaut des Darlehensvertrages nicht echter vollhaftender Mitdarlehensnehmer, sondern lediglich Mithaftender, auf welchen die vom Bundesgerichtshof zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften entwickelnden Grundsätze Anwendung finden, wonach die übernommene Haftungsverpflichtung gegen die guten Sitten dann verstößt und daher nichtig ist, wenn die Verpflichtung nicht aufgrund einer freien Entscheidung übernommen wurde, sondern die Bank die emotionale Bindung des Ehepartners oder des nahen Angehörigen an den Darlehensnehmer ausgenutzt hat und eine sittenwidrige Überforderung vorliegt.

In ihren beiden sich mit dieser Thematik befassenden Entscheidungen erinnern sowohl das Landgericht Regensburg in seinem Beschluss vom 02.05.2024, 81 O 2160/23 Fin, als auch das Landgericht Weiden i. d. OPf. in seinem Urteil vom 18.03.2024, 22 O 135/23 Fin, u. H. a. die BGH-Entscheidung v. 16.12.2008, XI ZR 454/07, BeckRS 2009, 8774 Rn 13 daran, dass die rechtliche Qualifizierung, ob die vom Mitunterzeichner des Darlehensvertrages übernommene Verpflichtung als eigene Darlehensschuld oder als reine Mithaftung anzusehen ist, im Wesentlichen davon abhängt, ob der Mitunterzeichnende nach dem maßgeblichen Willen der Beteiligten als gleichberechtigter Vertragspartner neben dem weiteren Darlehensnehmer einen Anspruch auf Auszahlung der Darlehensvaluta hat und im Gegenzug gleichgründig zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet ist oder ob er ausschließlich zu Sicherungszwecken mithaften und damit eine ihm einseitig belastende Verpflichtung übernehmen sollte.

In diesem Zusammenhang weisen beide Gerichte weiter darauf hin, dass bei der Ermittlung des wirklichen Parteiwillens zwar den Wortlaut und damit der Bezeichnung im Darlehensvertrag als Mitdarlehensnehmer eine ganz erhebliche Bedeutung zukommt, dass dem Wortlaut jedoch angesichts der Stärke der Verhandlungsposition der kreditgewährenden Bank und der allgemein üblichen Verwendung von Vertragsformularen grundsätzlich weniger Bedeutung beizumessen ist als sonst. Hiervon ausgehend halten beide Gerichte fest, dass nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als echter Mitdarlehensnehmer ungeachtet der konkreten Vertragsbezeichnung in aller Regel nur derjenige anzusehen ist, der für den Darlehensgeber erkennbar ein eigenes wirtschaftliches, sachliches und/oder persönliches Interesse an der Kreditaufnahme hat sowie im Wesentlichen gleichberechtigter Partner über die Auszahlung bzw. Verwendung der Darlehensvaluta mitentscheiden darf.

In diesem Zusammenhang halten beide Gerichte noch fest, dass die kreditgebende Bank darlegen und beweisen muss, dass der als Darlehensnehmer mitunterzeichnende Verbraucher bei Darlehensvertragsabschluss das für eine echte Darlehensnehmereigenschaft notwendige Eigeninteresse an der Kreditaufnahme hatte. Der Mitunterzeichner des Darlehensvertrages müsse demgegenüber vor dem Hintergrund des eindeutigen Vertragswortlautes und im Hinblick auf die allgemeinen Regeln über die sekundäre Darlegungslast im Einzelnen darlegen, dass der Kredit ihm von Anfang an weder ganz noch teilweise unmittelbar zugutegekommen ist, er somit das für die echte Mitdarlehenseigenschaft notwendige persönliche und wirtschaftliche Eigeninteresse nicht besaß.

Hiervon ausgehend hält das Landgericht Weiden weiter fest, dass sein solches Eigeninteresse bei bloßen reflexartigen oder mittelbaren Vorteilen wie etwa die Mitnutzung eines Pkws oder Vorteile wegen der gemeinsamen Haushalt- oder Lebensführung nicht angenommen werden könne. Ein Eigeninteresse könne, wenn überhaupt, allenfalls bei der Anschaffung notwendiger Haushaltsgegenstände oder langlebiger Wirtschaftsgüter in Betracht kommen, die notfalls veräußert und zur Schuldtilgung verwendet werden können (vgl. hierzu auch OLG Oldenburg, Urteil v. 29.06.2023, 8 U 172/22 m. Anm. Edelmann, BTS-Ausgabe, Febr. 2024, S. 8).

Gelangt man anhand des konkreten Sachverhalts zum Ergebnis, dass keine echte Mitdarlehenseigenschaft, sondern eine bloße Mithaftung vorliegt, dann greift, so das Landgericht Weiden weiter, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei nicht ganz geringfügigen Bankschulden die tatsächliche Vermutung einer Sittenwidrigkeit ein, wenn und soweit sich der Mithaftende mit der Darlehensunterzeichnung finanziell krass überfordert hat und dem echten Mitdarlehensnehmer persönlich besonders nahesteht. Eine krasse finanzielle Überforderung könne wiederum, so das Landgericht Weiden weiter, nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes immer schon dann angenommen werden, wenn die mithaftende Person mit dem pfändbaren Teil ihres laufenden Einkommens und Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalls voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die laufenden Zinsen dauerhaft alleine zu tragen.

Bejaht man eine krasse finanzielle Überforderung dann greift, so das Landgericht Weiden weiter, nach der ebenfalls anerkannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine widerlegliche tatsächliche Vermutung dafür ein, dass sich der Ehegatte oder nahe Angehörige bei der Übernahme der Mithaftung nicht von seinen Interessen und von einer rationellen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos hat leiten lassen und das Kreditinstitut die emotionale Beziehung zwischen dem Hauptschuldner und dem Mithaftenden in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.

Abschließend weist das Landgericht Weiden noch darauf hin, dass dann, wenn das kreditgewährende Institut davon absieht, den Mitunterzeichnenden nach seinen derzeitigen und zukünftigen finanziellen Möglichkeiten zu befragen, im Zweifel davon auszugehen ist, dass das Kreditinstitut die die krasse finanzielle Überforderung begründenden objektiven Tatsachen und Verhältnisse schon bei Vertragsabschluss kannte oder sich ihnen bewusst verschlossen hat.

 

PRAXISTIPP

Vorstehende zwei Entscheidungen zeigen einmal mehr, dass nicht jeder, der einen Darlehensvertrag als Mitdarlehensnehmer unterzeichnet, auch als solcher haftet. Vielmehr kommt es immer wieder vor, dass sich Mitdarlehensnehmer ihrer Darlehensrückzahlungsverpflichtung dadurch zu entziehen versuchen, dass sie ihr mangelndes wirtschaftliches und persönliches Interesse an der Darlehensgewährung sowie ihre krasse finanzielle Überforderung durch Abschluss des Darlehensvertrages nachvollziehbar und substantiiert darlegen.


Beitragsnummer: 22640

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