Mittwoch, 5. Juni 2024

Immobiliensammler: Kapitaldienstfähigkeit (KDF) kritisch gewürdigt

Cashflow-Analyse bei Immobilien – rechnerische vs. faktische KDF

Tanja Tatusch, stellv. Bereichsleitung Marktfolge, Volksbank Mainspitze eG

Volker Fentz, Prokurist, Bereichsleiter Firmenkunden und bankeigene Immobiliengeschäfte, Rheingauer Volksbank eG

 

Immobiliensammler im Wandel? Betrachtet man die aktuelle Sichtweise der Prüfungen, so kann man eine kritische Würdigung der Immobilienbranche erkennen. Einerseits führen die steigenden Zinsen zu erhöhten Belastungen in der Kapitaldienstfähigkeit, andererseits verteuern sich Investitionen durch erhöhte Baukosten sowie eine aktuell sehr ausgeprägte Umweltpolitik. Die kritische Sichtweise ist insbesondere bei Bauträger- oder Aufteilermaßnahmen berechtigt, da die hohen Renditeerwartungen der Vergangenheit nicht mehr erzielt werden können und der Käufermarkt deutliche Rückgänge verzeichnet. Die künftigen gerechtfertigten Eigenkapitalerfordernisse der Aufsicht führen zudem zu einer nachhaltigen Bereinigung des Käufermarktes. Für Immobiliensammler und Bestandshalter treffen diese Bedenken nach persönlicher Sichtweise der Autoren nicht zu.

Zinsentwicklungen, wie diese aktuell sich darstellen, gab es bereits in der Vergangenheit. Umweltpolitische Themen wurden von Bestandshaltern aufgrund nachhaltiger und regelmäßiger Investitionsbestrebungen bereits in den Investitionsmaßnahmen berücksichtigt. Bei Stressszenarien mit Mietausfall konnte aufgrund eines Portfolios an Immobilien der Kapitaldienst dennoch bedient werden. Trotzdem wird dieser Kundengruppe ein höheres Risiko zugerechnet als privaten Baufinanzierungen, bei denen aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen das Haupteinkommen vollständig entfallen kann und die finanzierte Immobilie oftmals keine angemessene Käufergruppe findet (auf die Familie bspw. zugeschnittenes Haus/Reihenhaus). Das nachfolgende Kapitel beschäftigt sich mit der Kundengruppe der Bestandshalter und Immobiliensammler. Hier führt insbesondere die Berechnung der Kapitaldienstfähigkeit zu möglichen Fehleinschätzungen und Würdigung der Kundenbonität.

Kapitaldienstfähig ist ein Kunde, dessen Überschüsse (EÜ- oder Cashflow- Betrachtung) nachhaltig den Kapitaldienst bedienen können. Doch die Herausforderung liegt insbesondere bei Immobiliensammlern im Detail. Welcher Cashflow wird herangezogen? Werden nicht originäre, aber wiederkehrende Einnahmen einbezogen? Welche Aufwandspositionen werden pauschal ohne Berücksichtigung der individuellen Situation in Abzug gebracht? Sind alle Aufwandspositionen unter Drittvergleich angemessen? Erfolgt eine Würdigung nur retrospektiv, d. h. auf Basis der Vergangenheit oder fließen auch prospektive Daten ein?

Diese Sachverhalte werden im nachfolgenden Kapitel behandelt.

Nicht selten erbringen Kunden im Segment der Immobiliensammler regelmäßig ihren Kapitaldienst, sind aber auf Basis der banktypischen Berechnungssysteme rechnerisch nicht kapitaldienstfähig. Für die Analyse der Kapitaldienstfähigkeit haben sich erst in den letzten Jahren Methoden etabliert, die auch bei den Prüfungen Akzeptanz gefunden haben.

Auslastung Kapitaldienstfähigkeit = Kapitaldienst/Kapitaldienstgrenze

Ein Kunde ist kapitaldienstfähig, sofern die Differenz zwischen der Kapitaldienstgrenze und dem Kapitaldienst aktuell und künftig größer null ist. In der Praxis wird oftmals eine Auslastung von 90 % bereits als knapp bzw. kritisch und erst eine Auslastung von 80 % und besser als ausreichend betrachtet. Diese zunächst einfach wirkende Formel führt je nach Analysetiefe zu deutlich unterschiedlichen Würdigungen.

Beispiel:

Ein Kunde hat eine Tilgung von 20 TEUR/p.a. zu erbringen. Der Zinssatz beträgt 35 TEUR/p.a. und somit der Kapitaldienst 55 TEUR/p.a. Die Kapitaldienstgrenze wurde anhand einer Cashflow-Berechnung ermittelt und beträgt 75 TEUR/p.a. Somit ergibt sich eine Auslastung von 73 %.

Rechnerisch ist die Kapitaldienstfähigkeit ausreichend gegeben. Doch wie wurde der Cashflow ermittelt?

Fokussiert man die Sichtweise auf den Cashflow, wird man bei der Ableitung feststellen, dass einige Stellhebel umfangreich auf eine Kapitaldienstfähigkeit Einfluss nehmen. Das nachfolgende sog. Wasserfallprinzip des Cashflows verdeutlicht die verschiedenen Ebenen, die für eine Analyse von Bedeutung sind:

Einnahmen – Operative Ausgaben = operativer Cashflow – Steuern = Cashflow nach Steuern – Schuldendienst – eventuelle Ausschüttungen = free Cashflow

Die Detailanalyse beginnt schon bei den Einnahmen. Werden die Mieteinnahmen Nettokalt oder Brutto, als inklusive Nebenkosten herangezogen? Nebenkosten sind faktisch durchlaufende Kosten, die aber vom Vermieter oftmals vorausgezahlt werden, da die Abschläge (vgl. Stundungsrecht der Mieter in der Pandemiephase oder hohe Steigerungen in der Ukraine-Krise) die tatsächlichen Kosten nicht decken. Diese können zu Liquiditätsengpässen führen, die faktisch, aber vorübergehender Natur sind. Betrachtet man die Nettokaltmieten, so dürfen die umlagefähigen Nebenkosten nicht bei den operativen Ausgaben berücksichtigt werden. Weiterhin ist zu beachten, dass bspw. Leerstand oder Staffelmieten Auswirkungen auf die Einnahmenseite haben. Bei einer retrospektiven Sichtweise bleiben oftmals künftige Entwicklungen unberücksichtigt. Diese sind bei einer Ermittlung einer nachhaltigen Kapitaldienstfähigkeit einzubeziehen, insbesondere dann, wenn die aktuelle Auslastung über 90 % liegt und daraus eine kritische Würdigung resultiert. 

Betrachtet man in der nächsten Analysestufe die operativen Ausgaben, ist zwischen wiederkehrenden und einmaligen Ausgaben zu differenzieren. Ein zuvor beschriebener Leerstand kann aufgrund von Sanierungsarbeiten entstanden sein, der im Betrachtungszeitraum die Einnahmen reduziert und die Aufwendungen erhöht hat. Diese Maßnahmen führen aber im Folgejahr zu eventuell höheren Einnahmen aufgrund Mietanpassungen durch die Neuvermietung und die entstandenen Aufwendungen entfallen. Gerade bei Immobiliensammlern treten diese Sachverhalte umfangreich auf.

Ein weiterer Aspekt ist der sog. Drittvergleich. Bei allen Aufwendungen kommt es in erster Linie auf das Motiv des Immobiliensammlers an. Bankseitig werden oftmals reine Renditeaspekte unterstellt und durch entsprechende Formeln in der bankinternen Analyse sowie Ratingverfahren (bspw. Investorenrating für private Immobiliensammler) gewürdigt. Zahlreiche Immobiliensammler werden von nachhaltigen Investitionsmotiven oder steueroptimierten Gründen geleitet. Bei diesen Kunden stehen weder Rendite noch umfangreiche Überschüsse im Vordergrund. Investitionen werden aufwendig und unter dem Aspekt der Wertstabilität oder Wertsteigerung getätigt. Die Nutzung der Rentabilitätskennziffern als Bonitätsbeurteilendes Instrument sind fachlich nichtzutreffend. Vielmehr sind Wertsteigerung in den Sachwerten (Immobilien) ein Abbild der getätigten Maßnahmen. Die erneute Überprüfung einer positiven Wertänderung erfolgt üblicherweise durch die Bank nur bei Kreditneuaufnahmen. Daher ist kritisch zu hinterfragen, ob die Höhe der Aufwendungen auch bei renditeorientierten Investoren üblich ist. Als Vergleichsgröße können Sanierungskosten pro Quadratmeter oder Kubikmeter herangezogen werden. Diese Größen sind öffentlich zugänglich, werden jährlich aktualisiert und stellen gerade bei Bauträgern und Projektentwicklern eine Basis der Kalkulationen dar.

Ein weiterer nicht unerheblicher Einflussfaktor stellen die pauschalen Abzugspositionen dar. Diese werden unabhängig von Objektart und Sanierungsstand gewählt. Neubauten oder kernsanierte Immobilien weisen in der Praxis eine Aufwandsquote von maximal 10 % von der Nettokaltmiete auf. Unsanierte Bauten der Fünfziger bis Siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts wiederum werden aufgrund der energetischen Notwendigkeiten deutlich höhere Aufwandsquoten als 25 % aufweisen. Je nach Immobilienbestand des Kunden ist hiernach zu differenzieren.

Nach Bereinigung des operativen Cashflows folgt die Abzugsposition „Steuern“. In der Bankpraxis werden die Steuerbelastungen der Vergangenheit (retrospektive Sichtweise) auf die Gegenwart und Zukunft projiziert oder pauschale Steuerbelastungen vorgenommen. Wie werden Steuererstattungen einmaliger Natur oder wiederkehrender Natur gewürdigt? Oftmals finden die Steuererstattungen keine positive Berücksichtigung, da man diese nicht zu den wiederkehrenden Einnahmen zählt. Gerade bei Immobiliensammlern, die über weitere Einkunftsarten verfügen (Selbstständige, Freiberufler oder Angestellte), haben hohes Interesse, die Einkünfte aus V+V so gering wie möglich zu halten oder sogar Verluste zu erzielen, um Steuerverpflichtungen aus den anderen Einkunftsarten zu kompensieren. Hier kann man von wiederkehrenden Einnahmen in der Cashflow-Berechnung ausgehen. 

Nach Bereinigung der Steuerposition erhält man den operativen Cashflow nach Steuern, der wiederum die Grundlage für den Kapitaldienst darstellt. Auch der Kapitaldienst ist kritisch zu hinterfragen. Werden neue Mittel aufgenommen und in den Kapitaldienst richtigerweise einbezogen (prospektive Betrachtungsweise), dann sind auch die Effekte der für den Kapitaldienst zugrunde liegenden Darlehen entsprechend zu berücksichtigen. Erfolgen Sanierungsmaßnahmen, um bspw. die Mieten positiv zu entwickeln (Einfluss auf die Einnahmen) oder die Substanz grundlegend zu verbessern (Einfluss auf die Pauschalen für Investitionsaufwand), so sind diese Auswirkungen mit einzubeziehen.

Anhand dieser ausgewählten Beispiele soll verdeutlicht werden, welche Ursachen zugrunde liegen können, wenn Kunden faktisch den Kapitaldienst erbringen, aber rechnerisch nicht oder nur eingeschränkt kapitaldienstfähig sind. Auch standardisierte bankinterne Systeme können nicht alle Sachverhalte angemessen würdigen. Hier kommt es darauf an, wie gut man seinen Kunden kennt.

Grundsätzlich gilt, je höher Zins- und Tilgung durch einen Cashflow nach Steuern gedeckt ist, desto stabiler kann Ihr Kunde auf unvorhergesehene Geschehnisse wie Zinsanstieg, Baukostensteigerungen, gesetzliche Sanierungserfordernisse reagieren. International wird dies durch die Schuldendienstfähigkeit (Debt Service Coverage Ration, DSCR) dargestellt.

DSCR = Cashflow nach Steuern/Schuldendienst

Bei genauer Betrachtung handelt es sich um den Kehrbruch, also den Kehrwert der Formel zur Auslastung der Kapitaldienstgrenze.

In der Praxis kann als „goldene Regel“ eine DSCR von > 1,3x als positiv und nachhaltig im Sinne der Kapitaldienstfähigkeit angesehen werden. Aufgrund der zuvor aufgeführten Beispiele müsste für jede Branche individuelle DSCR festgelegt werden, um Volatilität und Belastbarkeit adäquat zu berücksichtigen. Dies erfolgt im internationalen Bereich aber nur für marktrelevante Branchen. Der DSCR wird üblicherweise auch als Financial Covenants eingesetzt und von der EBA im Rahmen der EBA-Leitlinien empfohlen. Bei größeren Immobiliensammlern kann eine derartige Vereinbarung sinnvoll eingesetzt werden.  

Abschließend kann festgehalten werden, dass ein guter Informationsstand über den Kunden die Voraussetzung für eine tiefergehende Würdigung abseits der üblichen Standards darstellt. Nur auf dieser Basis können theoretisch entwickelte allgemeingültige Vorgaben individuell angemessen gewürdigt werden.

 

PRAXISTIPPS
  • Hinterfragen Sie das Motiv bzw. das Treiberthema des Immobilienkunden.
  • Gewinnen Sie einen Überblick, wie der Bestandshalter aufgestellt ist.
  • Würdigen Sie kritisch die Einflussfaktoren auf die Cashflow-Berechnung.
  • Die prospektive Würdigung sollte im Fokus stehen.

 

SEMINARTIPP 

„Analyse der nachhaltigen Kapitaldienstfähigkeit bei Immobiliensammlern“ am 26. Juni 2024 (14:00 Uhr–17:00 Uhr) https://www.fch-gruppe.de/Seminar/analyse-der-nachhaltigen-kapitaldienstfaehigkeit-bei-immobiliensammlern

 


Beitragsnummer: 22629

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