Dr. Anna Izzo-Wagner (Partner), Till Otto (Senior Associate), Dr. Paul Schultess (Associate) – alle Annerton Rechtsgesellschaft mbH
Hintergrund und Zielsetzung
Bislang sind die für im Fernabsatz geschlossenen Finanzdienstleistungsverträge zentralen verbraucherschützenden Regelungen wie v.a. das Widerrufsrecht und die vorvertraglichen Informationen in der EU-Verbraucherrechte-Richtlinie (Richtlinie [EU] 2011/83) sowie der EU-Fernabsatzfinanzdienstleistungs-Richtlinie (Richtlinie [EG] 2002/65) geregelt. Diese beiden Richtlinien wurden ursprünglich nebeneinander angewendet. Mit der neuen, im Mai 2022 von der EU-Kommission vorgeschlagenen EU-Richtlinie zur Änderung der Verbraucherrechte-RL in Bezug auf im Fernabsatz geschlossene Finanzdienstleistungsverträge und zur Aufhebung der Fernabsatzfinanzdienstleistungs-RL (die „Änderungs-RL“) soll nun genau dies beendet werden: Die bisherige Fernabsatzfinanzdienstleistungs-RL wird aufgehoben und Finanzdienstleistungen unterfallen fortan allgemein der Verbraucherrechte-RL.
Hintergrund dieser Neuerungen waren maßgeblich die Befunde des Programms zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung der Europäischen Kommission. Daneben stellte die EU-Kommission aber vor allem fest, dass das zu gewährleistende Verbraucherschutzniveau massiv zugenommen hat und mit der wachsenden Digitalisierung nicht mehr Schritt halten kann.
Stärkung des Widerrufsrechts und Widerrufs-Button
In Bezug auf das Verbraucher-Widerrufsrecht sollen die bekannten Strukturen unverändert bleiben. Verbraucher können auch weiterhin innerhalb einer Frist von 14 Kalendertagen den Vertrag widerrufen; sie müssen hierfür keine Gründe nennen oder eine Vertragsstrafe zahlen. Bei Fernabsatzverträgen über die Altersversorgung von Einzelpersonen wird die Frist sogar auf 30 Kalendertage verlängert.
Die Widerrufsfrist beginnt auch weiterhin mit dem Tag des Abschlusses des Fernabsatzvertrags oder (später) mit dem Tag, an dem der Verbraucher die Vertragsbedingungen und die vorvertraglichen Informationen erhält. Werden die vorvertraglichen Informationen dem Verbraucher nicht zur Verfügung gestellt, verlängert sich die Widerrufsfrist absolut auf zwölf Monate und vierzehn Tage – aber nur, wenn der Verbraucher auch über sein Widerrufsrecht informiert worden ist.
Zentrale Neuregelung ist nun die Pflicht zur Einführung eines Widerrufs-Buttons flächendeckend für alle über eine „Online-Benutzeroberfläche“ geschlossene Fernabsatzverträge. Hierbei ist der Begriff der „Online-Benutzeroberfläche“ weit zu verstehen. Die Richtlinie selbst verweist beispielhaft auf „eine Website oder eine Anwendung“.
Dieser Widerrufs-Button muss auf der Online-Benutzeroberfläche in einfach zugänglicher Weise hervorgehoben und für die Dauer der Widerrufsfrist durchgängig verfügbar sein. Mit dem Widerrufs-Button („Jetzt widerrufen“; „confirm withdrawal“) soll der Verbraucher seine Widerrufsentscheidung durch Mitteilung oder Bestätigung seines Namens, des betreffenden Vertrages und der Art und Weise des Erhalts einer elektronischen Widerrufsbestätigung ausüben können. Der Unternehmer hat den Widerruf unverzüglich zu bestätigen. Jedoch gilt: Unabhängig von einer tatsächlich erfolgten Bestätigung ist für die wirksame Ausübung des Widerrufsrechts nur maßgeblich, dass der Widerrufs-Button innerhalb der Widerrufsfrist betätigt wird.
Vorvertragliche Informationen – Information Overkill?
Ebenfalls führt die Änderungs-RL die Pflicht zur Erteilung vorvertraglicher Informationen fort, um so die Mündigkeit des Verbrauchers zu stärken. Um komplexe Finanzdienstdienstleistungen verstehen zu können, bedarf es klarer und verständlicher Schlüsselinformationen. Allerdings sollen Umfang und die mögliche Art und Weise der Informationserteilung geändert werden:
Zentrales Novum ist, dass der Verbraucher „schnell Kontakt zum Unternehmer aufnehmen und effizient mit ihm kommunizieren kann“ und dass etwaige schriftliche Korrespondenz mit dem Unternehmer auf einem dauerhaften Datenträger gespeichert werden kann. Hier wird es in der Praxis auf digitale Kommunikationsmittel hinauslaufen.
Als weitere Neuerung sind dem Verbraucher einschlägige Kontaktdaten mitzuteilen, an die sich der Verbraucher bei Beschwerden wenden kann.
Bei telefonischer, vom Unternehmer initiierter Kontaktaufnahme ist der Verbraucher nun auch über eine etwaige Aufzeichnung des Telefonats zu informieren. Stimmt der Verbraucher der Fortsetzung des Telefongesprächs ausdrücklich zu, müssen ihm weiterhin nur die Kerninformationen (z. B. Hauptmerkmale der Finanzdienstleistung, Preis etc.) mitgeteilt werden.
Praktisch besonders relevant ist, dass elektronisch bereitgestellte Informationen grundsätzlich geschichtet werden dürfen. Das bedeutet, dass bestimmte vorvertragliche Informationen als zentral angesehen und daher auf einer ersten Hauptebene (der ersten „Schicht“) hervorgehoben werden, während detailliertere Informationsteile in begleitenden, untergeordneten Ebenen dargestellt werden können.
Die Informationspflichten sind rechtzeitig („in good time“) zu erfüllen, bevor der Verbraucher durch einen Fernabsatzvertrag gebunden wird. Das entspricht der bisherigen Regelung. Der ursprüngliche Kommissionsentwurf sah dagegen noch vor, dass die vorvertraglichen Informationen „mindestens einen Tag vor dem Zeitpunkt“ der Vertragsbindung bereitgestellt werden müssen. Dieser unkonventionelle und wenig praktikable Ansatz wurde sowohl vom EU-Parlament als auch vom EU-Ministerrat zurückgewiesen und durch das bewährte Zeitmoment der Rechtzeitigkeit ersetzt.
PRAXISTIPPS
- Die Änderungs-RL bringt in der Breite überschaubare, im Einzelnen aber einschneidende Neuerungen.
- Flächendeckende Folgen – nicht nur bei im Fernabsatz vertriebene Finanzdienstleistungen – hat die Einführung des Widerrufs-Buttons.
- Die explizit angesprochenen Kommunikationsformen rund um die Erteilung vorvertraglicher Informationen bieten Chancen, erfordern es aber, etablierte Prozesse umzustellen.
Beitragsnummer: 22589