Mittwoch, 10. April 2024

Wahl von Arbeitnehmervertretern zum Aufsichtsrat – Statusverfahren

Zur Erforderlichkeit eines Statusverfahrens bei (erstmaliger) Änderung des Mitbestimmungsregimes

Dr. Karsten de Niet, Rechtsanwalt der AWADO Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

 

Sowohl bei erstmaliger Anwendung mitbestimmungsrechtlicher Vorschriften als auch bei jedem Wechsel des z. B. für eine AG oder GmbH einschlägigen Mitbestimmungsmodells ist das sogenannte Status- oder Überleitungsverfahren i. S. v. § 97 AktG durchzuführen. Neben der Unternehmenssatzung muss in diesem Rahmen auch die tatsächliche Aufsichtsratszusammensetzung mit dem neuen Mitbestimmungsregime harmonisiert werden.

 

Größe und Zusammensetzung des Aufsichtsrates

Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften treten in unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung in Erscheinung. Grund hierfür sind zahlreiche Regelungen des Aktiengesetzes und der Mitbestimmungsgesetze, die Größe und Zusammensetzung von verschiedensten Faktoren abhängig machen. Zentrale Vorschrift für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats ist § 96 AktG. Dessen Abs. 1 benennt sechs gesetzliche Modelle der Zusammensetzung. Den gesetzlichen Normalfall bildet der ausschließlich aus Anteilseignervertretern bestehende Aufsichtsrat (§ 96 Abs. 1 a.E. AktG). Im Anwendungsbereich der in § 96 Abs. 1 AktG genannten fünf Mitbestimmungsgesetze (DrittelbG, MitbestG, MontanMitbestG, MontanMitbestErgG, MgVG) setzt sich der Aufsichtsrat demgegenüber anteilig aus Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern zusammen. Welches der Modelle im Einzelfall Anwendung findet, hängt zum einen von der Anzahl der bei der Aktiengesellschaft beschäftigten Arbeitnehmer sowie der Anzahl der ihr nach den Mitbestimmungsgesetzen zuzurechnenden Arbeitnehmer im Inland ansässiger abhängiger Gesellschaften ab. Zum anderen davon, in welchen Geschäftsfeldern das Unternehmen oder seine abhängigen Unternehmen tätig sind sowie welchen Zwecken das Unternehmen zu dienen bestimmt ist, schließlich welche konkrete Rechtsform die Gesellschaft hat. Je nach anwendbarem Mitbestimmungsstatut ist bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrats zudem die in § 96 Abs. 2, 3 AktG verankerte sog. Geschlechterquote zu beachten. Die Größe des Aufsichtsrats hängt maßgeblich davon ab, ob und ggf. welchem Mitbestimmungsstatut die Gesellschaft unterliegt. Je nach anwendbarem gesetzlichem Modell der Zusammensetzung richtet sich die Größe entweder nach § 95 AktG, der zentralen aktienrechtlichen Vorschrift zur Größe des Aufsichtsrats, oder nach den vorrangigen Sonderregelungen in § 7 MitbestG, §§ 4, 9 MontanMitbestG und § 5 MontanMitbestErgG, ggf. i. V. m. abweichenden Satzungsregelungen der Gesellschaft. Nachfolgend soll nur das DrittelbG und das MitbestG kurz beleuchtet werden.

 

Aufsichtsratzusammensetzung nach dem DrittelbG 

Im Anwendungsbereich des DrittelbG setzt sich der Aufsichtsrat zu zwei Dritteln aus Anteilseignervertretern und zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern zusammen (§ 4 Abs. 1 DrittelbG). Im Hinblick auf die Zusammensetzung der Arbeitnehmerbank enthält § 4 Abs. 4 DrittelbG darüber hinaus eine (nicht durchsetzbare) Soll-Vorschrift, nach der unter den Arbeitnehmervertretern Frauen und Männer entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis im Unternehmen vertreten sein sollen. Die Größe des nach dem DrittelbG zu bildenden Aufsichtsrats richtet sich mangels vorrangiger Sonderregelung im DrittelbG wie bei einem mitbestimmungsfreien Aufsichtsrat nach § 95 AktG. Neben den Höchstgrenzen des § 95 S. 4 AktG ist bei einer durch mitbestimmungsrechtliche Vorgaben bedingten statutarischen Regelung der Größe des Aufsichtsrats zu beachten, dass die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder durch drei teilbar sein muss (§ 95 S. 3 AktG).

Der Anwendungsbereich des DrittelbG umfasst Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Genossenschaften mit in der Regel mehr als 500 aber weniger als 2.001 Arbeitnehmern (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3, 5 DrittelbG) sowie Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 DrittelbG).

 

Aufsichtsratzusammensetzung nach dem MitbestG

Im Anwendungsbereich des MitbestG setzt sich der Aufsichtsrat jeweils hälftig aus Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern zusammen. Der Anwendungsbereich des MitbestG umfasst Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Genossenschaften mit in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmern, es sei denn, das Unternehmen fällt in den Anwendungsbereich des MontanMitbestG oder des MontanMitbestErgG (§ 1 Abs. 1, 2 MitbestG). Ebenfalls nicht dem MitbestG unterliegen Tendenzunternehmen und Religionsgemeinschaften mit ihren erzieherischen und karitativen Einrichtungen (§ 1 Abs. 4 MitbestG). Kommanditgesellschaften sind grundsätzlich nicht vom Anwendungsbereich des MitbestG umfasst, es sei denn, es handelt sich um Kapitalgesellschaften & Co. KG.

 

Das Statusverfahren

Die Feststellung der für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats geltenden gesetzlichen Vorschriften erfolgt im Statusverfahren nach §§ 97 ff. AktG. Das Statusverfahren ist zwingend immer dann durchzuführen, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse oder die Organisationsstruktur des Unternehmens geändert haben, sodass entweder ein Wechsel des Zusammensetzungsmodells erforderlich oder eine Veränderung der Schwellenzahlen erfolgt ist, die sich innerhalb eines Aufsichtsratsmodells auf die Größe des Aufsichtsrats auswirkt. Ferner findet das Statusverfahren Anwendung, wenn allgemeine Zweifel an der richtigen gesetzlichen Zusammensetzung des Aufsichtsrats bestehen. Damit setzt die Änderung der gesetzmäßigen Zusammensetzung des Aufsichtsrats stets die Durchführung eines förmlichen Verfahrens voraus. Dieses in § 96 Abs. 4 AktG niedergelegte sog. Kontinuitätsprinzip gewährleistet die Arbeitsfähigkeit des Aufsichtsrats und die Wirksamkeit seiner Beschlüsse während eines Wechsels der Zusammensetzung. Keine Anwendung findet das Statusverfahren nach h. M. bei Satzungsänderungen.

Das Statusverfahren vollzieht sich im Wesentlichen in zwei Stufen:

Die erste Stufe beinhaltet die Feststellung der künftig für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats geltenden Vorschriften. Dies kann in einem rein außergerichtlichen Bekanntmachungsverfahren (§ 97 AktG) oder in einem gerichtlichen Verfahren (§§ 98, 99 AktG) geschehen.

Die zweite Stufe beinhaltet die Satzungsänderung und die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder.

Mit Abschluss des Statusverfahrens sind die anwendbaren Vorschriften verbindlich festgelegt.

Die Nichtdurchführung des Statusverfahrens hat zur Folge, dass der Aufsichtsrat nicht nach den Vorschriften des DrittelbG bzw. MitbestG zusammengesetzt werden kann (§ 96 Abs. 4 AktG), eine Wahl von Arbeitnehmervertretern mithin nicht möglich ist. Die Zuständigkeit für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder bleibt vielmehr bei der General- bzw. Vertreterversammlung. Die Auswirkungen auf Aufsichtsratsbeschlüsse, die unter Mitwirkung gleichwohl gewählter Arbeitnehmervertreter gefasst werden, sind im Einzelfall zu prüfen.

 

Beschluss des BAG vom 09.02.2023 – 7 ABR 6/22

Die erstmalige Wahl von Arbeitnehmervertretern zum Aufsichtsrat in einem bislang aufsichtsratlosen Unternehmen ist ohne vorherige Durchführung des aktienrechtlichen Statusverfahrens nichtig. Laut Bundesarbeitsgericht ist das Statusverfahren Voraussetzung für die Wahl. Das Verfahren sei selbst bei unstreitigem Wechsel des Mitbestimmungsregimes durchzuführen.

 

Sachverhalt der Entscheidung

Nach Aufforderung durch einen Gesamtbetriebsrat informierte eine aufsichtsratlose GmbH ohne diesbezügliche Satzungsregelungen die Beschäftigten darüber, dass ein Aufsichtsrat nach dem MitbestG zu wählen sei. Daraufhin wurden ein Unternehmenswahlvorstand und Betriebswahlvorstände gebildet, die eine diesbezügliche Wahl einleiteten. Da die Zahl der Wahlberechtigten unter 2.000 absank, forderte die GmbH zum Abbruch der Wahl auf. Die Wahl wurde dennoch durchgeführt.

Der Geschäftsführer und die GmbH sind der Ansicht, dass die Wahl nichtig, hilfsweise anfechtbar sei.

 

Vorinstanzen erklärten Wahl für nichtig

Sowohl das Arbeitsgericht Dortmund als auch das Landesarbeitsgericht Hamm erklärten die Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat der GmbH für nichtig. Die unterbliebene Durchführung des Statusverfahrens führe zur Nichtigkeit der Wahl. Dagegen legten die gewählten Gewerkschaftsvertreter, die Gewerkschaft sowie der Gesamtbetriebsrat Rechtsbeschwerde beim BAG ein – ohne Erfolg.

 

BAG: Wahlvoraussetzung fehlte

Die Rechtsbeschwerde des Gesamtbetriebsrats wurde als unzulässig verworfen. Die Rechtsbeschwerde der übrigen Beteiligten war unbegründet. Mit der Wahl wurde gegen einen fundamentalen Wahlgrundsatz verstoßen, nämlich, dass die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Wahl nicht vorlagen.

Nach § 96 IV AktG kann, soweit bei einer GmbH bislang kein Aufsichtsrat bestand, nur nach Durchführung des in §§ 97–99 AktG vorgesehenen Verfahrens vom bisherigen Status abgewichen werden. Erforderlich ist somit entweder ein Statusverfahren gem. § 98 II AktG oder eine ordnungsgemäße Bekanntmachung gem. § 97 I AktG. Das gilt selbst dann, wenn sich alle Beteiligten über die Auslegung der gesetzlichen Grundlagen einig sind (so ausdrücklich auch BVerfG, BeckRS 2014, 47468, Rn. 28). Im Übrigen bestimmt sich schon die Bildung eines Aufsichtsrats gem. § 6 II MitbestG nach u. a. § 96 IV, 97 ff. AktG, die hier entsprechend anzuwenden sind.

Die Bekanntmachung der GmbH war nicht ordnungsgemäß, denn es fehlten jedenfalls der Hinweis auf die Folgen bei unterbliebener fristgerechter Anrufung des zuständigen Gerichts sowie die Veröffentlichung im Bundesanzeiger.

 

PRAXISTIPPS

  • Wenn Gesellschaften, die in den Anwendungsbereich des DrittelbG bzw. MitbestG fallen, erstmals die Schwelle von 500 bzw. 2.000 Arbeitnehmern überschreiten, muss ein Aufsichtsrat nach Maßgabe des DrittelbG bzw. MitbestG gebildet werden.
  • Die Gesellschaft muss das aktienrechtliche Statusverfahren nach §§ 97 ff. AktG durchführen, im Rahmen dessen die ordnungsgemäße Besetzung des Aufsichtsrats nach den Aspekten der Mitbestimmung festgestellt wird.
  • Zur Einleitung des Statusverfahrens hat der Vorstand einen Beschluss zu fassen, wonach der Aufsichtsrat zu mindestens einem Drittel bzw. paritätisch aus Vertretern der Arbeitnehmer bestehen muss.
  • Im Rahmen von konzerninternen Restrukturierungen ist stets darauf zu achten, ob Schwellenwerte im Hinblick auf das DrittelbG und das MitbestG überschritten oder unterschritten werden.
  • Die Brisanz des Themas „Mitbestimmung“ zeigt sich auch an dem Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des BAG vom 17.05.2022 (Az. 1 ABR 37/20 (A), BeckRS 2022, 32734), mit dem mehrere Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Mitbestimmung dem EuGH zur Beantwortung vorgelegt wurden.
  • Im Übrigen haben sowohl das BVerfG (Beschluss vom 09.01.2014 – 1 BvR 299/13) als auch das BAG auf den zwingenden Charakter des Statusverfahrens hingewiesen. Das BAG hat dies nun noch einmal verdeutlicht.

Beitragsnummer: 22576

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