Mittwoch, 10. April 2024

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Zur Einheit des Verhinderungsfalls

Dr. Karsten de Niet, Rechtsanwalt der AWADO Rechtsanwaltsgesellschaft mbH


Ohne Arbeit kein Lohn – dies ist ein allgemeiner Grundsatz im Arbeitsrecht. Deshalb müssen Mitarbeiter*, die keine Arbeitsleistung erbringen, normalerweise auch nicht bezahlt werden. Allerdings gibt es hier ebenfalls Ausnahmen und gesetzliche Sonderregelungen. Ein Fall ist die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Hier gilt es als Arbeitgeber, einige Dinge zu beachten. Der nachfolgende Beitrag widmet sich dem sog. Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls.

 

Wann haben Mitarbeiter Anspruch auf Entgeltfortzahlung? 

Nicht jeder Ihrer Mitarbeiter, der krank ist, hat einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Dazu müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Diese sind im Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) festgeschrieben:

  • Der Mitarbeiter muss mindestens vier Wochen ununterbrochen im Unternehmen angestellt sein (§ 3 Absatz 3 EFZG). Erfolgt der krankheitsbedingte Ausfall bereits in den ersten vier Wochen des Beschäftigungsverhältnisses, hat der Mitarbeiter ab der fünften Woche Anspruch auf eine Lohnfortzahlung. War der Beschäftigte zuvor als Auszubildender bei Ihnen angestellt, ist auch diese Zeit auf die Wartezeit anzurechnen. Das heißt: Wenn die Ausbildung länger als vier Wochen dauerte, besteht Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. War der Mitarbeiter bereits zu einem anderen Zeitpunkt in Ihrem Betrieb angestellt und beginnt nun eine andere Tätigkeit bei Ihnen, startet die vierwöchige Frist bei Beginn des Arbeitsverhältnisses neu.
  • Der Mitarbeiter muss wegen der Krankheit tatsächlich arbeitsunfähig sein. Beispielsweise kann ein IT-Mitarbeiter mit einer gebrochenen Hand seine gewohnten Tätigkeiten nicht ausführen und erhält so lange eine Entgeltfortzahlung, bis seine Hand voll ausgeheilt ist bzw. bis er wieder damit arbeiten kann. Dagegen kann ein Empfangsmitarbeiter mit derselben „Krankheit“ schon früher wieder arbeiten – z. B. mit einem Gips an der Hand – und erhält auch nur bis zu diesem Zeitpunkt die Entgeltfortzahlung.
  • Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit muss die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung sein. Das bedeutet, dass der Mitarbeiter keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat, wenn er zum Zeitpunkt der Erkrankung auch aus einem anderen Grund nicht gearbeitet hätte. Dies ist z. B. beim Abbau von Überstunden der Fall oder wenn er sich sowieso gerade in Elternzeit befindet.
  • Um Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu haben, darf der Mitarbeiter die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht durch eigenes Verschulden herbeigeführt haben. Wann ein solches Verschulden vorliegt, ist im Entgeltfortzahlungsgesetz nicht geregelt. Es muss also der jeweilige Einzelfall geprüft werden.
  • Ein Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht auch bei einem Arbeitsunfall. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass dieser von der Berufsgenossenschaft anerkannt wird. Hier muss der Arbeitgeber tätig werden und der Berufsgenossenschaft Meldung zum Unfallgeschehen erstatten.

 

Wie lange hat ein Mitarbeiter Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall?

Grundsätzlich haben Mitarbeiter Anspruch auf maximal sechs Wochen (= 42 Tage mit Wochenende) Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Wann dieser Zeitraum beginnt, hängt davon ab, wann genau ein Mitarbeiter arbeitsunfähig wird. Geschieht das vor dem Arbeitsantritt, wird dieser Tag mitgerechnet. Erfolgt die Arbeitsunfähigkeit allerdings im Laufe des Arbeitstages, starten die sechs Wochen erst am darauffolgenden Tag.

Eine Krankschreibung ist für eine Entgeltfortzahlung unbedingt notwendig. Der Anspruchszeitraum endet entweder an dem Kalendertag, den der Arzt in der Krankschreibung festgesetzt hat oder mit Ablauf des 42. Kalendertags, wenn der Mitarbeiter so lange arbeitsunfähig sein sollte. Danach übernimmt die Krankenversicherung des Beschäftigten die weiteren Zahlungen.

  • Hat ein Mitarbeiter eine Krankheit auskuriert und erkrankt danach erneut so, dass er arbeitsunfähig ist, kommt es darauf an, ob es sich um dieselbe oder eine andere Krankheit handelt:

Bei einer neuen Krankheit bleibt die Lohnfortzahlung bestehen, weshalb der Mitarbeiter erneut Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung von bis zu sechs Wochen hat. Eine Lohnfortzahlung bei gleicher Krankheit mit Unterbrechung erfolgt gem. § 3 Absatz 1 Satz 2 EFZG, wenn:

  • zwischen dem Ende der ersten Krankheit und dem Beginn der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate liegen
  • seit dem Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit zwölf Monate vergangen sind.
  • Wird ein Mitarbeiter durch Arbeitsunfähigkeit in Folge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, ist der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG auf die Dauer von sechs Wochen begrenzt. Dies gilt nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls auch dann, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. In einem solchen Fall kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen.

Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führt. Das ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war, sei es auch nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden. Maßgeblich für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und damit für das Ende des Verhinderungsfalls ist grundsätzlich die Entscheidung des Arztes, der Arbeitsunfähigkeit – ungeachtet der individuellen Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers – im Zweifel bis zum Ende eines Kalendertags bescheinigen wird. Das gilt unabhängig davon, ob das Ende der Arbeitsunfähigkeit auf einen Arbeits- oder arbeitsfreien Tag fällt.

Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Absatz 1 Satz1 EFZG. Ebenso wie er für die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit als solcher beweispflichtig ist, trifft ihn auch für deren Beginn und Ende die objektive Beweislast. Meldet sich der Arbeitnehmer in unmittelbarem Anschluss an den ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum des § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG erneut mit einer Erstbescheinigung arbeitsunfähig krank und bestreitet der Arbeitgeber unter Berufung auf den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls, dass Arbeitsunfähigkeit in Folge der „neuen“ Krankheit erst jetzt eingetreten sei, hat der Arbeitnehmer als anspruchsbegründende Tatsache darzulegen und im Streitfall zu beweisen, dass die neue Arbeitsunfähigkeit erst zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits beendet war. Der Arbeitnehmer ist mit anderen Worten darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass seine bisherige Erkrankung bei Eintritt der mit neuer Erstbescheinigung attestierten Arbeitsverhinderung keine Arbeitsunfähigkeit mehr ausgelöst hat. Das gilt auch dann, wenn sich an den ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum des § 3 Absatz 1 Satz1 EFZG ein Krankengeldbezug angeschlossen hat und der Arbeitnehmer in der Folge vom Arbeitgeber unter Vorlage einer neuen Erstbescheinigung Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wegen einer sich unmittelbar an den Krankengeldbezug anschließenden Arbeitsverhinderung verlangt.

  • Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast unterscheidet sich insoweit von der bei Fortsetzungserkrankungen. Deren rechtliche Bewertung in § 3 Absatz 1 Satz 2 EFZG ist eine durch Gesetz zugunsten des Arbeitgebers getroffene Ausnahmeregelung von dem allgemeinen Grundsatz der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Zwar muss der Arbeitnehmer, der innerhalb der Zeiträume des § 3 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG (vgl. oben unter a)) länger als sechs Wochen arbeitsunfähig ist, darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt und – bestreitet der Arbeitgeber den Eintritt einer neuen, auf einem anderen Grundleiden beruhenden Krankheit – den Arzt von der Schweigepflicht entbinden. Doch hat die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung der Arbeitgeber zu tragen, weil nach der sprachlichen Fassung des § 3 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG ihn und nicht den Mitarbeiter die objektive Beweislast trifft.
  • Für die Darlegung und den Nachweis von Beginn und Ende einer auf einer bestimmten Krankheit beruhenden Arbeitsunfähigkeit kann sich der Mitarbeiter zunächst auf die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützen. Ist jedoch unstreitig oder bringt der Arbeitgeber gewichtige Indizien dafür vor, dass sich die Erkrankungen, hinsichtlich derer dem Arbeitnehmer jeweils Arbeitsunfähigkeit attestiert worden ist, überschneiden, so ist der Beweiswert der dem Arbeitnehmer hinsichtlich der „neuen“ Krankheit ausgestellten „Erstbescheinigung“ erschüttert. Der Arbeitnehmer muss nunmehr für den Zeitpunkt der Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit wegen einer „früheren“ Krankheit vor Eintritt der neuerlichen Arbeitsverhinderung vollen Beweis erbringen. Dafür steht ihm das Zeugnis des behandelnden Arztes als Beweismittel zur Verfügung.

Der Arbeitgeber hat in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen und ist kaum in der Lage, belastbare Indiztatsachen für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls vorzutragen. Die für den Arbeitgeber bestehende Möglichkeit eines Auskunftsersuchens an die zuständige Krankenkasse bezieht sich auf das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung und schließt die Übermittlung von Diagnosedaten ausdrücklich aus. Zudem greift die Bestimmung nur bei Arbeitnehmern ein, die in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sind. Für Privatversicherte besteht kein entsprechender gesetzlicher Auskunftsanspruch. Unabhängig davon hat der Arbeitgeber keine Möglichkeit, die Mitteilung der Krankenkasse zu überprüfen. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten hat das BAG bereits erkannt, dass dem Arbeitgeber, der sich auf eine Fortsetzungserkrankung i. S. d. § 3 Absatz 1 Satz 2 EFZG beruft, hinsichtlich der ihn insoweit treffenden Darlegungs- und Beweislast Erleichterungen zuzubilligen sind. Entsprechendes hat in Bezug auf die vom Arbeitgeber im Rahmen von § 3 Absatz 1 Satz 1 EFZG vorzutragenden Indizien für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls zu gelten. Auch dabei ist der Unkenntnis des Arbeitgebers von den Krankheitsursachen angemessen Rechnung zu tragen.

Hiervon ausgehend besteht ein hinreichend gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls regelmäßig dann, wenn sich an eine „erste“ Arbeitsverhinderung in engem zeitlichen Zusammenhang eine dem Mitarbeiter im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit dergestalt anschließt, dass die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder dass zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Mitarbeiter arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt. Bei solchen Sachverhalten ist es dem Arbeitgeber angesichts fehlender zwischenzeitlicher Arbeitsverpflichtung des Mitarbeiters nahezu unmöglich, konkrete Anhaltspunkte zur Erschütterung des Beweiswerts der ärztlichen Bescheinigungen vorzutragen. Es ist deshalb dem Mitarbeiter auch unter Berücksichtigung seiner Sachnähe zuzumuten, seine Behauptung, es lägen voneinander zu trennende Verhinderungsfälle vor, durch konkreten Vortrag zu den Krankheitsursachen sowie zum Ende bzw. Beginn der jeweiligen Arbeitsunfähigkeit zu konkretisieren und hierfür gegebenenfalls vollen Beweis zu erbringen.

 

PRAXISTIPPS

  • Der gesetzliche Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist auch dann auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue, auf einem anderen Grundleiden beruhende Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls). Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 11.12.2019 (Az.: 5 AZR 505/18) klargestellt.
  • Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits zu dem Zeitpunkt beendet war, zu dem die weitere Erkrankung zur Arbeitsunfähigkeit führte. Der Mitarbeiter müsse dies darlegen und beweisen.
  • Arbeitgeber sollten den Entgeltfortzahlungsanspruch in derartigen Konstellationen kritisch hinterfragen und prüfen.

 

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*Es werden, wann immer möglich, genderneutrale Bezeichnungen verwendet. Daneben wird auf das generische Maskulinum ausgewichen. Hiermit sind ausdrücklich alle Geschlechter (m/w/d) mitgemeint. Diese Vorgehensweise hat lediglich redaktionelle Gründe und beinhaltet keinerlei Wertung.


Beitragsnummer: 22568

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