Dienstag, 20. Februar 2024

Verjährungsneubeginn gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart


In seinem Urteil vom 20.12.2023, 15 a C 157/23, hält das Amtsgericht Wedding zunächst fest, dass rechtskräftig festgestellte Ansprüche gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB erst nach 30 Jahren verjähren. Sodann verweist das Amtsgericht darauf, dass die Verjährung gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB dann neu zu laufen beginnt, wenn eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wird, was voraussetzt, dass eine Verjährungsfrist in Gang gesetzt wurde oder noch läuft. In diesem Zusammenhang weist das Amtsgericht weiter darauf hin, dass der Neubeginn der Verjährung bedeutet, dass die bis dahin verstrichene Zeit bei der Berechnung außer Betracht gelassen wird und die 30-jährige Verjährungsfrist am Tag nach der Vollstreckungshandlung neu zu laufen beginnt (§ 187 Abs. 1 BGB).

Hieran anschließend prüft das Amtsgericht, ob der nicht verjährte Anspruch verwirkt sein kann und führt aus, dass die Verwirkung einen Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens darstellt und auf dem Grundgedanken des Vertrauensschutzes beruht. Insofern komme es, so das AG Wedding, maßgeblich darauf an, ob der Gläubiger durch sein Verhalten objektiv Anlass für die Annahme gegeben hat, die fragliche Forderung werde auch in Zukunft nicht geltend gemacht werden. Dabei stellt das Amtsgericht klar, dass eine bloße Untätigkeit allein allenfalls in extremen Ausnahmefällen eine Verwirkung zu begründen vermag, da andernfalls im Ergebnis die gesetzlich vorgesehene, längere Verjährungsfrist in unzulässiger Weise verkürzt würde.

Dies zugrunde legend führt das Amtsgericht weiter aus, dass dementsprechend auch das Zeitmoment allein keine Verwirkung zu begründen vermag. In Bezug auf das Umstandsmoment stellt das Amtsgericht weiter klar, dass allein ein Vertrauen der Klägerin darauf, dass nach einer 14-jährigen Untätigkeit keine Vollstreckung erfolgen wird, für die Annahme des Umstandsmoments nicht ausreicht. Dies erst recht nicht, wenn der Gläubiger in der Vergangenheit bereits mehrere fruchtlose Vollstreckungsversuche unternommen hat. Insofern sei der Gläubiger nicht gehalten, zur Wahrung seiner Rechte sinnlose Vollstreckungsversuche zu unternehmen (so auch OLG Bamberg, Beschluss vom 28.02.2011, 3 W 21/11, BeckRS 2011, 19334).


PRAXISTIPP

Für die Praxis ist die Entscheidung insofern von Bedeutung, als das Amtsgericht klarstellt, dass allein der Umstand, dass ein Gläubiger aus einem titulierten Anspruch viele Jahre lang gegenüber dem Schuldner nicht vorgeht, eine Verwirkung nicht herbeizuführen vermag und dass ein Gläubiger zur Vermeidung der Verwirkung auch nicht gehalten ist, zur Wahrung seiner Rechte sinnlose Vollstreckungsversuche zu unternehmen, wenn er in der Vergangenheit bereits mehrere fruchtlose Vollstreckungsversuche unternommen hat.


Beitragsnummer: 22516

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