Freitag, 26. Januar 2024

Ein kritischer Ausblick auf 2024: Wachstum nur bei Insolvenzzahlen?

Die deutsche Wirtschaft schrumpft im Jahr 2023 im internationalen Vergleich. Auch in 2024 dürfte die Erholung ausbleiben

Dirk Wolff-Simon, Wirtschaftsmediator BMWA®/QVM-Mediator®, Sanierungsmoderation und Change-Management-Begleitung

Die volkswirtschaftlichen Prognosen verheißen für Deutschland am Anfang des Jahres 2024 keinen Optimismus. Angesichts der weltweiten Krisen und der politischen Kontroversen um die Schuldenbremse erwartet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) auch im laufenden Jahr einen Rückgang der deutschen Wirtschaftsleistung. Mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um voraussichtlich 0,5 Prozent wäre 2024 das zweite Jahr mit schrumpfender Wirtschaft in Folge. Die Bundesregierung ging hierzulande zuletzt von 1,3 Prozent Wachstum im laufenden Jahr aus. Nach Einschätzung des IW bleiben die Rahmenbedingungen dagegen so schlecht, dass dies nicht gelingen wird.

Auch wenn der deutsche Wirtschaftsminister den Vorwurf einer ideologisierten Wirtschaftspolitik von sich weist, kommt man bei der volkswirtschaftlichen Analyse der Fakten nicht umhin festzustellen, dass der durch die Bundesregierung betriebene Umbau der Energiewirtschaft und der Erhöhung der Steuer- und Abgabenlast sowohl auf Verbraucher als auch Unternehmer eine extreme Bremswirkung für das notwendige Wachstum nach sich gezogen hat. Die Verdopplung der Autobahn-Maut und Ausdehnung auf Lastwagen ab 3,5 Tonnen bei gleichzeitiger Erhöhung der CO2-Steuer auf Treibstoffe um 10 auf 40 Euro/Tonne CO2 Jahr hat zu einer empfindlichen Verteuerung der Transportkosten geführt. Die Preise für Lebensmittel dürften dadurch um 10 % steigen. Die weitere Verteuerung wird viele Transportunternehmen zum Aufgeben zwingen, da ihnen die gestiegenen Kosten durch die großen Handelsketten nicht kompensiert werden.

Steigende Energie- und Rohstoffkosten und die parallel steigende Steuer- und Abgabenlast führen dazu, dass immer mehr Unternehmen aufgeben bzw. ins Ausland abwandern. Obgleich hierzu keine statistischen Daten vorliegen, schrecken uns immer wieder einschlägige Nachrichten aus der Wirtschaftspresse auf. Jüngst machte die alteingesessene Traditionsmarke Miele von sich reden, die darüber nachdenkt, die Waschmaschinen-Produktion nach Polen zu verlagern. Auch bei kleineren Unternehmen überschlagen sich solche Meldungen seit geraumer Zeit.

Im vergangenen Jahr wurden die Schlagzeilen durch Pleiten großer Modeeinzelhändler und Textilunternehmen beherrscht. Auch Industrieunternehmen waren hiervon nicht ausgenommen. Beherrschend war jedoch die Insolvenz der Signa-Unternehmensgruppe von René Benko. 2023 stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen deutlich um 23,5 % auf 18.100 Fälle (2022: 14.660 Fälle). Immer mehr Firmen brechen unter den Dauerbelastungen der hohen Energiepreise und der Zinswende zusammen; die von vielen Analysten erwartete Bereinigung des „Zombifizierungspotentials“ fordert ihren Tribut.

Da sich das Insolvenzgeschehen insgesamt beschleunigt hat, dürfte die Zahl der Insolvenzen bei diesen schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch in den kommenden Monaten deutlich ansteigen, zumal sich in den Zahlen auch Nachholeffekte widerspiegeln. Ein Blick auf die Branchen zeigt, dass von den politischen Entscheidungen der Bundesregierung neben dem Transportgewerbe vor allem die deutsche Bauwirtschaft betroffen ist. Ausbleibende Aufträge, viele Stornierungen und eine so schlechte Stimmung wie noch nie: Die Lage im deutschen Wohnungsbau wird immer trüber. Im November klagten 49,1 % der Unternehmen über einen Auftragsmangel, wie das Münchner ifo-Institut hierzu mitteilte. Damit stieg der Anteil bereits den achten Monat in Folge – nach 48,7 % im Oktober. Mehr als jedes fünfte Unternehmen musste dabei die Stornierungen von Aufträgen hinnehmen. Der Anteil lag im November bei 21,5 % und damit fast so hoch wie im Vormonat (22,2 %). Diese Entwicklung geht auch an den Baunebengewerben nicht vorbei. Neben dem Auftragseinbruch im Bauhauptgewerbe kommen auf die Betriebe noch Kosten- und Abgabensteigerungen hinzu, die zu einer signifikanten Preissteigerung für den Verbraucher bei Maßnahmen der Substanzmodernisierung oder notwendigen Reparaturen führen. Verschärfend hierzu wirkt sich die Gesetzgebung aus, wozu das Gebäude-Energien-Gesetz (GEG), besser bekannt als „Heizungsgesetz“, gehört.

Neben den prekären wirtschaftlichen Aussichten und den Prognosen für die Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen trat zum Jahresende eine Änderung im Insolvenzrecht ein. Ab den 01.01.2024 greift die Insolvenzantragspflicht wieder in vollem Umfang. Das heißt, dass ein Geschäftsführer nunmehr wieder nachweisen muss, dass sein Unternehmen die nächsten zwölf Monate durchfinanziert ist. Sollte dieses nicht der Fall sein, müssen Geschäftsführer innerhalb der gesetzlichen Frist einen Insolvenzantrag stellen, insbesondere auch, um sich vor einer möglichen persönlichen Haftung zu schützen.

Mit dem Ende der Corona-bedingten Übergangsfrist von vier Monaten gewinnt die Überschuldung als Insolvenzgrund dadurch wieder an Bedeutung. Hinzu kommt, dass die Höchstfrist für einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung ab dem 01.01.2024 wieder sechs Wochen beträgt. Unternehmen können während dieser Zeit eine außerinsolvenzliche Sanierung – z. B. auf Basis eines nachvollziehbaren und belastbaren Restrukturierungsplans – anstreben, auch wenn sie für die kommenden zwölf Monate nicht durchfinanziert sind.

Welche Handlungsoptionen ergeben sich hieraus für die Sanierungsbetreuer und Restrukturierungsexperten in den Kreditinstituten? Auch der geschulte Blick auf die klassischen Kennzahlen zur Risiko-Früherkennung kann täuschen, deshalb ist es notwendig, sich vor dem Hintergrund der politischen Gemengelage ein Bild von der Robustheit des jeweiligen Geschäftsmodells zu machen. Geschäftsleitern ist anempfohlen, eine notwendige Restrukturierung oder Sanierung rechtzeitig anzugehen, wenn ihr Unternehmen noch Reserven aufweist. Werden Gegenmaßnahmen frühzeitig eingeleitet, bestehen größere Chancen auf eine erfolgreiche und nachhaltige Gesundung. Abzuwarten und auf eine baldige Besserung der Konjunktur und der wirtschaftlichen Gesamtlage zu setzen, ist keine sinnvolle Strategie. Zudem sollte auch eine Neuaufstellung mit Hilfe des Sanierungsrechts zumindest als Option in Erwägung gezogen werden.  

Angesichts der eher pessimistischen Aussichten sollte der Blick aus der Sanierungs- und Restrukturierungsberatung in den kritischen Branchen auf folgende Aspekte gelegt werden:

  1. Geschäftsmodell und Management – Wie wird der Markt und der Wettbewerb beurteilt? Welche Anpassungen sollen am Produktmix erfolgen? Etc.
  2. Entwicklung der Verschuldung und Entschuldungsdauer – Wie stellt sich die Verschuldungskapazität dar? Welchen Grad hat die Kurzfristverschuldung erreicht? Etc.
  3. Klassische Kennzahlen zur Risikofrüherkennung – Wie lässt sich die Selbstfinanzierungskraft des Unternehmens beurteilen? Welche Maßnahmen sind zur Verbesserung des Working Capitals getroffen worden? Etc.
  4. Verhaltensdaten und Sonstiges – Werden alternative Finanzierungsformen in Anspruch genommen? Wie richtet man sich auf die EU-Taxonomie aus? Etc.

Wie abhängig Deutschland legislativ inzwischen von Entscheidungen auf EU-Ebene ist, kommt in der sogenannten Taxonomie zum Ausdruck, die zu zusätzlichen Belastungen für die Unternehmen aller Größenkategorien beiträgt. Hierbei ist es zugleich fraglich, inwieweit sich damit die angestrebten klima- und umweltpolitischen Effekte erreichen lassen. Auch hier nimmt die Komplexität tendenziell zu. Alles in allem dürfte 2024 zu einem der herausforderndsten Jahre für Mittelstand und Kreditwirtschaft werden.

 

PRAXISTIPPS

  • Unternehmensinsolvenzen folgen mit hoher Korrelation dem Konjunkturzyklus. Durchleuchten Sie anhand der Frühwarnkriterien Ihr Kundenportfolio auf potentielle Krisenunternehmen.
  • Suchen Sie frühzeitig und offensiv das Gespräch mit Ihren Kunden in den kritischen Branchen.
  • Erörtern Sie im gemeinsamen Gespräch unter Hinzuziehung des Steuerberaters und/oder eines externen Beraters Möglichkeiten zur Stärkung der Selbstfinanzierungskraft und ähnlicher Sanierungsansätze.
  • Machen Sie sich intensiv mit den Sanierungsmöglichkeiten über das Insolvenzrecht vertraut! Ein gerichtliches Restrukturierungsverfahren oder eine Sanierung über Eigenverwaltung oder Schutzschirmverfahren kann häufig die einzige Option zur nachhaltigen Sanierung sein.

Beitragsnummer: 22451

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