Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart
Nachdem zwischenzeitlich sowohl in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als auch in der Instanzrechtsprechung feststeht, dass und unter welchen Bedingungen die Bausparkassen Bausparverträge nach § 488 Abs. 3 BGB sowie nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB kündigen können, kommt es immer wieder vor, dass Bausparer, denen nach Vertragsbeendigung auffällt, dass sie keinen Bonuszins erhalten haben, weil sie es schlicht vergessen haben, ausdrücklich auf ihr Bauspardarlehen zuvor zu verzichten, ihren Bonuszins mit dem Argument doch noch zu beanspruchen versuchen, sie hätten dadurch auf ihr Bauspardarlehen konkludent verzichtet, dass sie dieses Bauspardarlehen nicht in Anspruch genommen, die Sparbeiträge weitergezahlt oder schlicht nichts getan hätten.
Nachdem das Landgericht Traunstein entgegen der einhelligen Auffassung aller anderen Instanzgerichte in einem Urteil vom 13.07.2022, 5 O 924/21, BeckRS 2022, 38998, ohne jedwede Auseinandersetzung mit der anderslautenden BGH- und Instanzrechtsprechung sowie ohne jedwede argumentative Begründung eine nach hiesiger Meinung abwegige Auffassung dahingehend vertreten hat, durch den fehlenden Abruf eines Bauspardarlehens bringe der Bausparer klar und deutlich zum Ausdruck, dass er dieses Bauspardarlehen nicht in Anspruch nehmen wolle, ist es sehr zu begrüßen, dass das Oberlandesgericht Stuttgart in seinem aktuellen Hinweisbeschluss vom 17.10.2023, 9 U 117/23, unmissverständlich und argumentativ überzeugend klargestellt hat, dass ein Verzicht eine eindeutige Erklärung i. S. eines Angebots auf Erlass des Darlehensanspruchs nach § 397 BGB voraussetzt und es daher entgegen der vom Landgericht Traunstein vertretenen Auffassung selbst nach dem Grundsatz der kundenfeindlichsten Auslegung nicht möglich ist, in der Nichtinanspruchnahme des Darlehens, in dem Nichtstun oder in der schlichten Weiterzahlung der Sparraten einen Verzicht i. S. d. den Verzicht regelnden Norm des § 3 Abs. 2 ABB zu sehen, ein solches Verständnis vielmehr nach dem ausdrücklichen Wortlaut sogar praktisch fernliegend ist (so bereits OLG Stuttgart, Beschluss vom 07.06.2019, 9 U 34/19; OLG Koblenz, Beschlüsse vom 08.11.2018 und vom 19.02.2019, 8 U 635/18; OLG Nürnberg, Urteile vom 11.02.2020, 14 U 2174/19, 919/19 sowie 36/19; OLG Dresden, Beschluss vom 05.06.2019, 8 U 2048/18; LG Stuttgart, Urteil vom 04.08.2023, 29 O 176/22; Urteil vom 22.02.2022, 21 O 19/21; Urteil vom 10.03.2022, 12 O 358/21; Urteil vom 12.11.2020, 12 O 306/20 sowie Entscheidungen vom 24.01. und 04.04.2019, 4 S 223/18).
In diesem Zusammenhang weist das Oberlandesgericht Stuttgart ergänzend noch darauf hin, dass es sich beim Begriff „Verzicht" nicht nur um einen allgemein gebräuchlichen, sondern darüber hinaus um einen juristischen Fachbegriff handelt, weswegen ein solcher Rechtsbegriff in Allgemeinen Geschäftsbedingungen grundsätzlich nach seiner juristischen Fachbedeutung zu verstehen ist; dies insbesondere dann, wenn die Rechtssprache mit dem verwendeten Ausdruck – wie hier – einen fest umrissenen Begriff verbindet.
Schließlich weist das OLG darauf hin, dass ein Verzicht nach Vertragsbeendigung weder vorgesehen noch möglich ist. Denn angesichts der Bindung der Parteien an den geschlossenen Vertrag sei es geradezu abwegig anzunehmen, einen Vertrag nach dessen Beendigung einseitig und willkürlich modifizieren zu können.
PRAXISTIPP
Es ist erschreckend für die Praxis festzustellen, dass immerhin eine gesamte Kammer des Landgerichts Traunstein, ohne sich auch nur ansatzweise mit der einhelligen anderslautenden Rechtsprechung sowie deren Argumente auseinanderzusetzen, sich über Grundsätze hinwegsetzt, die selbst vom Bundesgerichtshof bereits bestätigt wurden. In dem konkreten Fall des Landgerichts Traunstein ist dies umso verwerflicher und vorwerfbarer, als das Landgericht Traunstein ohne jede Vorwarnung und ohne jedwede Ankündigung von seiner in den beiden zuvor stattgefundenen Terminen zur mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung im Urteil schlicht abgewichen ist und im Nachhinein eine sich als völlig sinnlos erweisende Beweisaufnahme durchgeführt und eine Überraschungsentscheidung zulasten der Bausparkasse gefällt hat; dies offenkundig nur deswegen, weil die vom Landgericht Traunstein durchgeführte Beweisaufnahme nicht zu dem vom Landgericht Traunstein gewünschten Ergebnis zugunsten des Bausparers führte. Vor diesem Hintergrund ist es umso begrüßenswerter, Entscheidungen zu besprechen, in denen klargestellt wird, dass zur Erlangung des Zinsbonus entsprechend der vertraglichen Regelung in den allgemeinen Bausparbedingungen ein eindeutiger dahingehender ausdrücklicher oder konkludenter Verzicht zu erfolgen hat, will der Bausparer seinen Bonuszins beanspruchen.
Beitragsnummer: 22429