Freitag, 19. Januar 2024

Neue europäische Entgelttransparenzrichtlinie – ein Überblick

Verschärfungen für Arbeitgeber – Erweiterung des bisherigen Entgelttransparenzgesetzes

Stephan Hinseln, Rechtsanwalt, CBH Rechtsanwälte, Köln


Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu geschlechtsneutraler Vergütung ist die EU mit Erlass der europäischen Entgelttransparenzrichtlinie („EntgTranspRL“, „Richtlinie“) nachgezogen. Arbeitgeber müssen sich auf Verschärfungen einstellen, da die Richtlinie über die bisherigen Regelungen des Entgelttransparenzgesetzes hinausgeht.


Entgelttransparenz bereits vor Beginn des Arbeitsverhältnisses

Nach Art. 5 EntgTranspRL haben Stellenbewerber das Recht, vom künftigen Arbeitgeber Informationen über das Einstiegsentgelt für die betreffende Stelle oder dessen Spanne zu erhalten. Auch müssen Informationen über die beim Arbeitgeber einschlägigen Bestimmungen des Tarifvertrags, den der Arbeitgeber in Bezug auf die Stelle anwendet, erfolgen. Für Bewerber soll hierdurch die Möglichkeit einer fundierten und transparenten Verhandlung über das Entgelt gewährleistet werden.

 

Entgelttransparenz im laufenden Arbeitsverhältnis

Nach Art. 6 EntgTranspRL werden in Zukunft alle Arbeitgeber, unabhängig ihrer Beschäftigtenzahl, verpflichtet, ihre Beschäftigten unaufgefordert über die (objektiven und geschlechtsneutralen) Kriterien für die Festlegung des Entgeltes, der Entgelthöhe und der Entgeltentwicklung zu informieren. Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmern können ausgenommen werden. Es bleibt abzuwarten, ob Deutschland von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird. Darüber hinaus müssen Arbeitnehmer gem. Art. 7 EntgTranspRL nicht mehr zuerst die Vergleichstätigkeit benennen, zu der sie Entgeltinformationen erhalten möchten. Vielmehr werden Arbeitgeber zukünftig verpflichtet sein, Auskünfte über die durchschnittlichen Entgelthöhen für alle Gruppen von Arbeitnehmern, die gleiche oder gleichwertige Arbeit leisten, zu erteilen.

 

Berichterstattungspflicht über das Entgeltgefälle und gemeinsame Entgeltbewertung

Zukünftig werden alle Arbeitgeber mit mehr als 100 Arbeitnehmern verpflichtet, der (noch festzulegenden) zuständigen staatlichen Stelle Bericht über ein bestehendes Entgeltgefälle im Unternehmen zu erstatten. Dieser Bericht muss folgende Informationen enthalten: das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle und das mittlere geschlechtsspezifische Entgeltgefälle – auch bei ergänzenden oder variablen Bestandteilen; der Anteil der Arbeitnehmer, die solche Bestandteile erhalten; der Anteil der Arbeitnehmer in jedem Entgeltquartil und das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle zwischen Arbeitnehmern bei Gruppen von Arbeitnehmern, nach dem normalen Grundlohn oder -gehalt sowie nach ergänzenden oder variablen Bestandteilen aufgeschlüsselt. Soweit ein Unterschied von mehr als fünf Prozent besteht und der Arbeitgeber dies weder rechtfertigen noch innerhalb von sechs Monaten korrigieren kann, muss er mit einer Arbeitnehmervertretung eine gemeinsame Entgeltbewertung (Art. 10 EntgTranspRL) vornehmen. Die Ergebnisse muss der Arbeitgeber der zu schaffenden Überwachungsstelle übersenden.      

Schadensersatzanspruch und gerichtliche Durchsetzung

Benachteiligte Arbeitnehmer sollen einen Schadenersatzanspruch haben und sind so zu stellen, als sei die Benachteiligung nicht erfolgt. Umfasst sind mindestens die vollständige Nachzahlung entgangener Entgelte einschließlich Boni etc., Art. 16 EntgTranspRL. Der Arbeitnehmer muss hierbei nur Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer Benachteiligung vermuten lassen, der Arbeitgeber muss sodann nachweisen, dass eine Benachteiligung nicht vorliegt. Diese Beweislastumkehr gilt bereits jetzt, § 22 AGG i.V.m. § 2 II 1 EntgTranspG. Die gerichtliche Durchsetzung solcher Ansprüche wird durch die Einführung einer Verbandsklage erleichtert werden, Art. 15 EntgTranspRL.

 

Sanktionen

Die Richtlinie verlangt, dass die Mitgliedsstaaten für Verstöße wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen festlegen. Im EntgTranspG sind bisher keine Sanktionen vorgesehen.

 

PRAXISTIPP

Der deutsche Gesetzgeber muss die Richtlinie erst zum 07.06.2026 umsetzen. Das heißt, es besteht noch ein langer Handlungsspielraum. Wie die Richtlinie durch den Gesetzgeber umgesetzt wird, ist noch nicht absehbar. Das EntgTranspG muss aber überarbeitet werden. Auch die Richtlinie selbst könnte nochmals angepasst werden. Dennoch sollten Arbeitgeber die Entwicklungen im Blick haben, um für die zu erwartenden Änderungen gewappnet zu sein. Die dem Arbeitgeber obliegende Widerlegung einer fraglichen Diskriminierung muss nunmehr umso mehr bedacht werden. So sollten Arbeitgeber bei Gehaltsverhandlungen stets das Lohngefüge insgesamt im Blick haben und sich bereits im Vorfeld über eine strategische Herangehensweise Gedanken machen.


Beitragsnummer: 22420

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