Donnerstag, 9. November 2023

Manipulationsstraftaten in der Strafrechtspraxis

Dr. Hans Richter, OStA a. D., ehem. Hauptabteilungsleiter der Schwerpunktabteilungen für Wirtschaftsstraftaten der Staatsanwaltschaft Stuttgart


Liebe Leserinnen und Leser, in dieser Kolumne komme ich nach meinen Praxisüberlegungen Insiderstrafrecht zum mehrmals angekündigten zweiten zentral wichtigem Strafrechtsbereich des Kapitalmarktes, dem Manipulationsstrafrecht, das ebenfalls deutliche Affinität zur Tätigkeit eines Bankverantwortlichen/-mitarbeiters aufweist. Sie wissen es natürlich schon nach meiner nunmehr zwei Jahre andauernden Kolumne: Ausgangspunkt der Strafrechtspraxis ist stets der Wortlaut der Strafnorm. Dabei gibt es zunächst Parallelen zum Insiderstrafrecht: § 119 WpHG beschreibt (für die Manipulation in Abs. 1) die strafbare Handlung, enthält dieselbe Strafdrohung (Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe), der Versuch ist strafbar (Abs. 4). 

Dann aber folgen bedeutsame Unterschiede: Abs. 5 enthält zwei „besonders schwere Fälle“ als Aufstockung vom Vergehen zum Verbrechen und damit nicht nur die Möglichkeit einschneidender Ermittlungshandlungen (insbes. die Überwachung der Telekommunikation, § 100a StPO) und besonderer Strafbarkeitsfolgen (Strafbarkeit des Versuchs der Teilnahme (Anstiftung/Beihilfe), Anklage nur zum Landgericht und möglicher Verlust der Amtsfähigkeit und Wählbarkeit. Wichtig gerade für „Wirtschaftsstraftäter“ ist zudem, dass „hauptverhandlungsfreie“ (und damit negative Öffentlichkeitsfolgen vermeidende) Verfahrensabschlüsse (Opportunitäts-Einstellungen mit und ohne Auflagen, §§ 153 ff. StPO; Strafbefehle, §§ 407 ff. StPO) damit ausgeschlossen sind. Die Nr. 1 des § 119 Abs. 5 WpHG  betrifft die „gewerbsmäßige“ (schon allein die Absicht, sich durch wiederholtes manipulatives Handeln eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen) und die durch Mitglieder einer hierauf ausgerichteten Bande (mindestens drei Mitglieder) begangene Marktmanipulation, die Nr. 2 jede Manipulationshandlung der Mitarbeiter der BaFin, EZB (weiterer inländischen Finanzaufsichtsbehörden und Börsen) sowie von Handelsplatzbetreibenden im Rahmen ihrer  Amtstätigkeit

Gerade der soeben genannte Abs. 5 Nr. 2 macht deutlich, dass die schwerwiegenden Folgen nicht für jede noch so kleine Manipulations-Handlung adäquat sein kann. Deshalb hat der Gesetzgeber mit § 119 Abs. 6 WpHG eine Erleichterung geschafften: Sind die Tathandlungen/-folgen „minder schwer“, entfallen diese, weil dann der Strafrahmen (nur) eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren vorsieht.

Und natürlich: Das WpHG sieht darüber hinaus auch Ordnungswidrigkeiten vor, also Verstöße, die mit einer Geldbuße bewehrt und von der BaFin zu verfolgen sind. Sehen Sie es mir nach, wenn ich zu den 243 einzelnen Bußgeldtatbeständen, die in den §§ 120 bis 120b WpHG beschrieben sind und bei denen Bußgelder in Höhe von (teileweise gewinnabhängig) mehrstelligen Mio.-€-Beträge verhängt werden können, keine Erläuterungen liefere. 

 

Stattdessen will ich nun zur strafrechtlichen Anwendungspraxis kommen:

Wie ich schon zum Insiderstrafrecht ausgeführt habe, gelangen die meisten Fälle der Kapitalmarkt-Kriminalität durch Anzeigen der Wertpapieraufsicht der BaFin zu den (Schwerpunkt-) Staatsanwaltschaften der Bundesländer, sind dabei schon durch Erkenntnisse über Tat und Märkte angereichert und mit dem Angebot der Hilfestellung bei Vernehmungen und Durchsuchungen der Staatsanwaltschaften verbunden.

Für die Aufklärungsarbeit darf ich daran erinnern, dass ich zum Insiderstrafrecht ausgeführt habe, es handle sich strafrechtlich um ein „abstraktes Gefährdungsdelikt“ – strafbar ist schlicht die in Gesetz beschriebene „böse (den Preisbildungsprozess relevant beeinträchtigende) Handlung“. Demgegenüber folgt die Strafbarkeit im Manipulationsstrafrecht aus einer Verletzungshandlung, die ursächlich (kausal) für einen Verletzungserfolg geworden ist. Der Manipulator wirkt auf den Preisbildungsprozess ein (Tathandlung als Tun oder Unterlassen) und schafft dadurch (Kausalität) einen falschen Preis eines Kapitalmarktproduktes (Taterfolg). Diese „Produkte“ sind in § 119 Abs. 1 Nr. 1 – 4 WpHG enumerativ aufgezählt (Börsen- oder Marktpreise der Finanzinstrumente, Zahlungsmittel, Referenzwerte, u. a.). Der Preis ist falsch, wenn er ohne die Manipulationshandlung höher, niedriger festgesetzt oder – bei Unterlassen einer beabsichtigten Marktteilnahmegleichgeblieben wäre. 

Für die Definition der Verletzungshandlungen verweist § 119 Abs. 1 WpHG zunächst auf das Bußgeldrecht, dort auf § 120 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 15 Nr. 2 WpHG. Beide Normen verweisen weiter auf Art. 15 MAR (also der in BP 11/2023 vorgestellten Marktmissbrauchsverordnung; EU-Verordnung Nr. 596/2014). Dieser lautet schlicht: „Marktmanipulation und der Versuch hierzu sind verboten“. Eine (nicht abschließende) Aufzählung möglicher Manipulation finden Sie in Art. 12 MAR die von „falschen oder irreführenden Signalen“ über Geschäftsabschlüsse u. ä., die „ein anormales oder künstliches Kursniveau eines oder mehrerer Finanzinstrumentesichern oder bei denen dies wahrscheinlich ist bis zu Handlungen, die das Funktionieren des Handelssystems des Handelsplatzes tatsächlich oder wahrscheinlich stört oder verzögert“. Auch der Verweis auf zeitlich wechselnde „Delegierte Rechtsakte der Kommission“ (Art. 12 Abs. 5 MAR) hilft kaum weiter – relativ sicher kann der Marktteilnehmer Definitionen aus den Veröffentlichungen der BaFin oder – meist aktueller – der ESMA erlangen.

Eine Hilfe findet der Marktteilnehmer im „save Harbor“ des Art. 13 Abs. 1 MAR (und dem für „Stabilisierungsmaßnahmen“ in Art. 5 Abs. 4 MAR), in dem Ausnahmen der Verbote geregelt sind – im Wesentlichen: „Handlungen die mit der zulässigen Marktpraxis des jeweiligen Marktes vereinbar sind“. Auch hier helfen die soeben genannten Veröffentlichungen der ESMA/der BaFin, weil „die zuständigen Behörden“ die zulässige Marktpraxis auf dieser Grundlage festlegen können.

 

Einen Weg durch diesen Dschungel bahnt sich die deutsche Strafverfolgungspraxis zunächst durch die Einteilung möglicher Kapitalmarkt-Manipulationen durch eine 3-Teilung strafrechtlich relevanten Handelns:

  1. Die informationsgestützte Manipulation (mit dem Unterfall des Verschweigens als pflichtwidrigem Unterlassen),
  2. die handelsgestützte Manipulation und
  3. sonstige Täuschungshandlungen (insbes. das sogn. Scalping).

 

Ich denke, dass ich Ihnen das Strafbarkeitsrisiko in diesen Fallbereichen anhand von Praxisbeispielen aufzeigen kann:

Zu a): Ein „Start-up“ als börsennotierte Aktiengesellschaft veröffentlicht Quartals-Mitteilungen aus ihrem Rechnungswesen – jeweils die Beträge des Umsatzes und des Gewinnes sowie die Prozentzahlen der Veränderungen zum Vor-Quartal. Angesichts der geringen Ausgangszahlen des expandierenden Unternehmens und des boomenden Marktsegmentes, aber auch der Aktien insgesamt sind es regelmäßig stark steigende Zahlen. Dies führt zum stark steigenden Aktienkurs des Unternehmens, das seine Expansion deshalb durch Platzierung neuer Aktien finanzieren kann. Als aber der Aktienboom der Branche abflacht und gleichzeitig die prozentualen Steigerungen der Absatz-/Gewinnzahlen aufgrund der erhöhten Vor-Quartals-Zahlen niedriger werden, schließen die Verantwortlichen in stets steigendem Umfang Lizenzverträge ab, deren Preise dann die Umsatz-/Gewinnzahlen weiterhin als deutlich steigend ausweisen. Die Einbeziehung der Lizenzerträge in den Unternehmensumsatz und damit auch in den Gewinn, stellt keine relevante Irreführung des Kapitalmarktes dar. Im konkreten Fall waren aber die ausländischen Lizenz-Erwerber-Unternehmen wirtschaftlich nicht tätige und von den Hauptaktionären und AG-Vorständen finanzierte Gesellschaften, weshalb kein wirtschaftliches „Außengeschäft“ der AG vorlag und die Täuschung hierüber geeignet war, die Marktteilnehmer (potentielle Aktionäre) zu täuschen.  

Zu b): Der Leiter des Nostrohandels einer Bank richtet mit seiner Freundin unter Verstoß gegen Compliance-Regeln Depots bei anderen Banken unter jeweils falschen Personalien, über die beide gegenläufige in Zahl und Preis übereinstimmende Kauf-/Verkaufsorder erteilen und damit jeweils Kurssteigerungen der einzelnen Aktien bewirken. Um neue Liquidität für „ihre Geschäfte“ zu erlangen, erwirbt der Eigenhändler für seine Bank die so im Wert gestiegenen Aktien. 

Handelt auf der Erwerber- und Verkäuferseite jeweils derselbe Marktteilnehmer, so ist der danach entstandene Preis kein Marktpreis – gleichgültig in welche Richtung sich eine Preisänderung ergibt. Gleiches gilt für den Fall, dass Käufer und Verkäufer „abgestimmte“ Angebote abgeben. 

Meine Leser werden sich an meine Kolumne zur Untreue nach § 266 StGB erinnern: Hier ist der Nostrohändler seiner Bank treuepflichtig und er hat seine Treuepflicht durch den Erwerb der „gepuschten“ Aktien verletzt. Der Bank ist auch ein – wenn auch schwer berechenbarer – Schaden entstanden. Dieser ergibt sich nicht aus der Gegenüberstellung des gezahlten Aktienpreises, der dem Kurs entsprach. Bei einem manipulierten Kurs ergibt sich der Wert der Aktie aber nicht aus ihrem Kurs, sondern aus dem Kurs, der ohne die Manipulationshandlung entstanden wäre. Bei stark volatilen Werten ist es allerdings häufig schwer, die Auswirkung der Manipulationshandlung auf den Kurs zu errechnen.  

Zu c): Unter „Scalping“ wird die Ausnutzung eines Zugangs zu Medien durch Abgabe einer Stellungnahme verstanden, wenn zuvor Positionen bei diesem Finanzinstrument eingegangen wurden und dann Nutzen aus den Auswirkungen der Stellungnahme auf den Kurs dieses Finanzinstrumentes gezogen wird, jedenfalls solange der Markt-Öffentlichkeit dieser Interessenkonflikt nicht rechtzeitig mitgeteilt wird. Die zum alten Kapitalmarktstrafrecht ergangenen Entscheidungen zu den sogn. „Guru-Fällen“: Ein allgemein als „Börsen-Experte“ bekannter Marktteilnehmer oder Journalist „verkündet“ im Fernsehen / in der Presse / in den sozialen Medien die von ihm vorausgesehene Kursentwicklung eines Wertpapieres in dem er (oder Tatteilnehmer) vorher investiert hat. Die unwahre „innere“ (und konkludent behauptete) Tatsache („ich habe keine persönlichen Interessen in diesem Papier“) ist zum alten deutschen Recht als Insiderstraftat abgeurteilt worden. Nach Art. 9 Abs. 5 MAR stellt die bloße Tatsache, dass eine Person ihr Wissen darüber, dass sie beschlossen hat, Finanzinstrumente zu erwerben oder zu veräußern, beim Erwerb oder der Veräußerung dieser Finanzinstrumente, noch keine Nutzung von Insiderinformationen dar. Allerdings kann die Ausnutzung eines Zugangs zu Medien durch Abgabe einer Stellungnahme, wenn zuvor Positionen bei diesem Finanzinstrument eingegangen wurden und dann Nutzen aus den Auswirkungen der Stellungnahme auf den Kurs dieses Finanzinstrumentes gezogen wird, ohne dass der Öffentlichkeit gleichzeitig dieser Interessenkonflikt ordnungsgemäß und wirksam mitgeteilt wird, gem. Art. 12 Abs. 2 d) MAR eine strafbare Kursmanipulation darstellen. 

 

Liebe Leserinnen und Leser des BankPraktikers, ich habe mit diesem Beitrag meine zwei-jährige Zeit der regelmäßigen Kolumne abgeschlossen. Es hat mir Freude bereitet, Ihnen aus dem „Nähkästchen“ eines Wirtschaftsstaatsanwaltes über Strafrechtsrisiken und deren Vermeidung im Bereich von Banken zu berichten und ich hoffe, dass ich Ihnen Erkenntnisse über strafrechtliche Reaktionen vermitteln konnte. 


Beitragsnummer: 22362

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