Mittwoch, 15. November 2023

Inverse Zinskurve: Kurzzeitiges Phänomen oder gekommen um zu bleiben?

Stand: 13.11.2023. Der Beitrag stellt die persönliche Meinung der Verfasser dar, die nicht notwendigerweise mit der des Arbeitgebers übereinstimmen muss.

Prof. Dr. Svend Reuse, MBA, Mitglied des Vorstandes, Kreissparkasse Düsseldorf. Zudem Honorarprofessor an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management, Fachbeirat im isf – Institute for Strategic Finance.

Tim-Oliver Engelke, M. Sc., Leiter Risikomanagement & stellv. Leiter der Risikocontrolling-Funktion, Kreissparkasse Düsseldorf.

Einleitende Worte

Seit dem starken Zinsanstiegvon über 300 BP im Jahr 2022 taucht nun ein Phänomen wieder auf, was es lange nicht mehr gegeben hat: eine inverse Zinskurve. Die letzte beobachtbare längere Phase inverser Zinsen liegt mehr als 30 Jahre zurück. Seitdem hat sich in der Banksteuerung einiges getan, sodass der vorliegende Beitrag zwei Ziele verfolgt: zum einen soll analysiert werden, ob die inverse Kurve noch länger andauern kann. Zum anderen werden die Auswirkungen der inversen Zinskurve auf die Banksteuerung analysiert.

Historische Analyse der Zinsstruktur

Zur näheren Analyse inverser Zinskurven wird auf die längste frei verfügbare Zeitreihe zurückgegriffen: Bundesanleihen mit 2, 5 und 10 Jahren Restlaufzeit (vgl. Deutsche Bundesbank 2023.11a). Diese sind seit September 1972 verfügbar und decken viele Konjunkturzyklen. Die Analyse wurde bewusst nicht um Geldmarktdaten angereichert, da sich ansonsten die Frage des richtigen und konsistenten Liquiditätsspreads zwischen Geld- und Kapitalmarkt gestellt hätte.

Aus einem ähnlichen Grund wird die Inversität als Differenz zwischen dem 10J- und dem 2J-Satz ermittelt, da einjährige Bundesanleihen Überlappungen zum 12M-Geldmarkt aufweisen. Des Weiteren wird die Inversität als Differenz zwischen dem 10J- und dem 5J-Satz ermittelt, um die gesamte Kurve abzudecken.

Das Ergebnis zeigt Abbildung 1, welche die beiden Zinskurven von 1972-09 bis 2023-10 als Linien und die Steilheit der Kurve als graue Fläche darstellt (vgl. ähnlich Reuse 2023, Folie 9).

Abbildung 1: Historische Analyse inverser Zinskurven

 

Es ist zu erkennen, dass inverse Kurven häufiger auftauchen als zu erwarten wäre. Von den 614 Stützstellen sind ca. 14 % bei beiden Analysen invers, was 86 bzw. 83 Monatsenden entspricht. Wird die Analyse ausgeweitet, so ist zu erkennen, dass es in der Vergangenheit zwei lange Phasen einer inversen Zinskurve gab: 1979 bis 1982 und 1989 bis 1993. Beide Phasen waren sowohl bei 10J–2J als auch mit leichtem Zeitversatz bei 10J–5J zu beobachten. Festzuhalten ist: Diese Phasen dauerten sehr lange. Knapp vier Jahre können hier als längster Zeitraum einer inversen Kurve ausgemacht werden

Mit diesen Erkenntnissen sind die gefühlt lang andauernden 12 Monate seit 2022-11 zu relativieren. Allerdings zeigt die aktuelle Entwicklung eine Besonderheit auf: die Abkoppelung der Entwicklung von 10J–2J und 10J–5J. Während erstere signifikant invers ist, ist die Tendenz bei 10J–5J anders: hier ist die Kurve flach, aber kaum invers. Dies lässt den Schluss zu, dass sich die aktuelle inverse Phase anders als die bisherigen entwickeln wird. Die EZB hat die Zinsen am kurzen Ende so schnell erhöht wie noch nie und gleichzeitig den Ankauf der Staatsanleihen am langen Ende gestoppt, was zur Verflachung bei 10J–5J geführt haben dürfte. Gleichzeitig mehren sich die Signale, dass die Inflation spürbar zurückgeht und die Zinserhöhungsphase der EZB ihren Höhepunkt erreicht hat. Aus Sicht der Autoren spricht vieles dafür, dass sich die aktuelle Inversität zeitnah ihrem Ende nähern wird. Es ist zu erwarten, dass das kurze Ende sinken wird und die nächsten Monate und Jahre von einer leicht steigenden Kurve bei ca. 3 % am langen Ende geprägt sein werden.

Auswirkungen auf die Bank- und Zinsbuchsteuerung

Die nächste zu beantwortende Frage ist in diesem Zusammenhang, welche Auswirkungen sich für die Kreditinstitute auf die Mittelfristplanung und die barwertige Zinsbuchsteuerung ergeben.

Basierend auf der dargestellten Zinsentwicklung führt der Anstieg der Zinssätze in den längeren Laufzeitbändern, beispielsweise 300 Basispunkte für den 10-Jahres-Swapsatz in 2022, isoliert betrachtet zu einem erhöhten Zinsertrag in der Planung. Gleichzeitig führt die Inversität der Zinskurve aber zu einem stark ansteigenden Gleitzins in den Laufzeitbändern drei sowie sechs Monaten und, je nach Ausgestaltung der Mischungsverhältnisse, zu einem deutlichen Anstieg des geplanten Zinsaufwandes in den variablen Verbindlichkeiten. Dies ist speziell im Zeitraum ab Dezember 2022 zu beobachten. Während die Zinssätze für 10-jährige Bundeswertpapiere bis September 2023 um lediglich 34 Basispunkte gestiegen sind, ist beim 3-Monats-Euribor ein Anstieg von 182 Basispunkten und beim 6-Monats-Euribor von 126 Basispunkten zu verzeichnen (vgl. Deutsche Bundesbank 2023.11a; 2023.11b).

Bleibt die Inversität der Zinskurve über einen längeren Zeitraum bestehen, wie beispielsweise zwischen 1989 und 1993, führt dies zudem zu einem anhaltend negativen Beitrag aus der Fristentransformation (vgl. Bauer/Ostermair 2023). Demnach nimmt gerade in Zeiten inverser Strukturen und hoher Zinssätze in den kürzeren Laufzeitbändern speziell die Passivseite eine besondere Bedeutung durch die Vereinnahmung der Passiv-Margen und zu Beginn der Zinswende 2022 bestehenden geringeren Sensitivität seitens der Marktteilnehmer ein. Gemäß der Deutschen Bundesbank konnte im Rahmen der Zinswende auf der Passiv-Seite eine deutlich verlangsamte Anpassung der Zinssätze für täglich fällige Einlagen nichtfinanzieller Unternehmen und privater Haushalte im Gegensatz zur Aktiv-Seite festgestellt werden (vgl. Deutsche Bundesbank 2023.06, S. 39).

Bezogen auf die Zinsbuchsteuerung sind barwertige Effekte aus der inversen Zinskurve zudem unter anderem speziell bei variablen Darlehen erkennbar, welche im gewerblichen Kreditgeschäft weit verbreitet sind. Die Anpassung der Kondition an einen variablen Referenzzins kann, je nach Ausgestaltung der Annuität und der Laufzeit, beispielsweise im Zeitraum Dezember 2022 bis September 2023 zu einer deutlichen Erhöhung des Zinscashflows führen. Dies wirkt den verminderten Barwerten durch höhere Diskontierungsfaktoren entgegen, kann diesen Effekt auf Gesamthausebene aber nicht kompensieren. 

Ein weiterer Effekt, welcher mit einer inversen Zinskurve einhergehen kann, ist die verringerte Profitabilität der langfristigen Kreditvergabe und eine gesamtwirtschaftliche Verringerung des Kreditwachstums. Gemäß dem EY European Bank Lending Forecast ist besonders in Deutschland im kommenden Jahr mit einem starken Rückgang der Immobilienkreditvergabe zu rechnen (vgl. EY 2023). Bezogen auf die Zinsbuchsteuerung führt dies zu einer Verkürzung der Duration im festverzinslichen Kundenaktivgeschäft und demnach verringerten Barwerten im Zinsbuch. 

Aufgrund der derzeit bestehenden maximalen Zinssätze in den Laufzeitbändern bis zu 12 Monaten und den Volumensumschichtungen auf der Passiv-Seite nimmt besonders das Thema der Stabilität der Bodensätze hinsichtlich der Mischungsverhältnisse und die Vermeidung größerer externer Abflüsse eine besonders für aktivlastige Kreditinstitute erhöhte Bedeutung ein. Auf der einen Seite führt die Umschichtung von niedrig verzinsten variablen Sicht- und Spareinlagen in feste Termingelder und eigene Emissionen (z.B. Sparkassenbriefe) zwar zu verringerten Margenbarwerten, auf der anderen Seite sind interne Umschichtungen aber deutlich positiver zu bewerten als externe Abflüsse und etwaige Refinanzierungen über den Kapitalmarkt, zumal sich die Duration der Passivseite verlängert und Hedges über Swaps dadurch ersetzt werden können.

Besonders vor dem Hintergrund der Auswirkungen auf die verlustfreie Bewertung gemäß IDW BFA 3 sollten Institute mit geringen Swap-Beständen, welche barwertig nicht im gleichen Ausmaß von den deutlich gestiegenen Zinssätzen im 3-Monats- und 6-Monats-Tenor basierend auf der inversen Struktur profitieren können, evaluieren, welchen Effekt Umschichtungen auf der Passivseite auf den Barwert des Zinsbuches und die Höhe der stillen Reserve gemäß IDW BFA 3 haben können.

Fazit und Ausblick auf die Zukunft

Basierend auf den dargestellten Erkenntnissen kann festgehalten werden, dass die Inversität der Zinsstrukturkurve sowohl kurz- als auch langfristig mit deutlichen Auswirkungen auf die Bank- und Zinsbuchsteuerung einhergehen kann. Die Institute sollten speziell in der Planung und vor dem Hintergrund der Auswirkungen auf die verlustfreie Bewertung sowohl verschiedene Ausprägungen der Steilheit der Zinskurve als auch weitere Umschichtungen der Passiva, beispielsweise über adverse Szenarien, institutsindividuell analysieren.

Gleichwohl führen die Argumente der Autoren zur Schlussfolgerung, dass die inverse Kurve sich ihrem Ende nähert. Dies würde wieder positive Fristentransformationserträge ermöglichen. Verlassen sollten sich die Institute jedoch nicht darauf – nicht selten hat der Markt gut hergeleitete Prognosen Lügen gestraft. In Summe ist jedoch festzuhalten: Banken verdienen mit ihrem originären Geschäftsmodell wieder Geld – etwas, was noch vor 24 Monaten unmöglich schien.

PRAXISTIPPS

  • Simulieren Sie die Entwicklung der Reserven nach IDW BFA 3 auf die nächsten Jahre, speziell im Zusammenhang adverser Szenarien.
  • Analysieren Sie Ihr Produktportfolio auf der Passivseite und versuchen Sie, Kunden in längerfristige Anlagen zu beraten. Diese sind für Kunden und Bank sinnvoll.
  • Haben Sie ein Auge auf die Entwicklung und die Umschichtungen der Passivseite. Die so antizipierten Entwicklungen sollten Sie in Ihre Mehrjahresplanung einfließen lassen.
  • Analysieren Sie innerhalb adverser Szenarien, welche Auswirkungen steigende Liquiditätsspreads bezogen auf etwaige notwendige Refinanzierungen über den Kapitalmarkt auf die Ertragslage ausüben können.
  • Beobachten Sie die Entwicklung der Inversität analog Abbildung 1 – vielleicht lassen sich so frühzeitig Normalisierungstendenzen erkennen.
  • Überlegen Sie, ob Zinsfristentransformation in diesem Umfeld Sinn machen – im SREP werden ggf. Eigenmittel gebunden, denen kein Ertrag gegenübersteht.
  • Behalten Sie die Stabilität des Sockelbetrages und die Variabilität des Übersockels im Auge.

 LITERATURHINWEISE

Bauer, E. / Ostermair, C. (2023): Mittelfristige Zinsperspektiven und Folgen für europäische Banken, 01.06.2023, erhältlich auf: https://bankinghub.de/research-markets/zinsperspektiven-europaeische-banken, Abfrage vom 11.11.2023.

Deutsche Bundesbank (2023.06): Entwicklung der Bankzinssätze in Deutschland während der geldpolitischen Straffung, in: Monatsbericht Juni 2023, S. 39 – 62, erhältlich auf: https://www.bundesbank.de/resource/blob/724606/0dc683b4b4bd546131edb68fe8dd27b6/mL/2023-06-zinsentwicklung-data.pdf, Abfrage vom 11.11.2023.

Deutsche Bundesbank (2023.11a): Aus der Zinsstruktur abgeleitete Rendite für Bundeswertpapiere mit jährl. Kuponzahlung, RLZ 2, 5 und 10 Jahre, Monatswerte, erhältlich auf: https://www.bundesbank.de/dynamic/action/de/statistiken/zeitreihen-datenbanken/zeitreihen-datenbank/759778/759778?listId=www_skms_it03b&treeAnchor=GELD, Abfrage vom 09.11.2023.

Deutsche Bundesbank (2023.11b): Geldmarktsätze nach Monaten, Euribor 3-Monate (BBK01.ST0316), Euribor 6-Monate BBK01.ST0325, erhältlich auf: https://www.bundesbank.de/dynamic/action/de/statistiken/zeitreihen-datenbanken/zeitreihen-datenbank/759778/759778?listId=www_sgeldmkt_mb03_neu,Abfrage vom 11.11.2023.

EY (2023): Pressemitteilung – Überdurchschnittlich starker Rückgang der Kreditvergabe in Deutschland erwartet, 06.07.2023, erhältlich auf: https://www.ey.com/de_de/news/2023/07/ey-european-bank-lending-forecast-2023, Abfrage vom 11.11.2023.

Reuse, S. (2023): Zinsänderungsrisiken im Spannungsfeld von Zinsanstieg und neuen aufsichtlichen Vorgaben, Vortrag im Rahmen der 16. Hamburger Bankenaufsicht-Tage 2023 am 16.10.2023.


Beitragsnummer: 22351

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