Dr. Thomas Kohlhase, Senior Credit Analyst, Ampega Asset management GmbH
I. Einleitung
Mit dem Einsetzen der Zinswende Anfang 2022 haben sich die Finanzierungsbedingungen nach einem Jahrzehnt des billigen Zentralbankgeldes in kurzer Zeit für alle Finanzmarktakteure schlagartig verändert. Sowohl private Haushalte, Unternehmen als auch öffentliche Haushalte müssen nun für die Aufnahme von Fremdkapital je nach Laufzeitband mindestens 2,5%-Punkte teilweise weit mehr als 5%-Punkte mehr aufwenden als in den Jahren zuvor. Statt einer „Japanifizierung“ der Geldpolitik, droht in einem angespannten geopolitischen Umfeld (Russland-Ukraine-Krieg, Nahost-Krieg, anhaltende Spannungen zwischen China und den USA etc.) vielmehr ein Szenario: „Higher for Longer“. Auch wenn jüngst aufgrund veränderter Leitzinserwartungen die Zinsen wieder sanken, ist eine Rückkehr zum ultrabilligen Zentralbankgeld mittelfristig eher unwahrscheinlich. Zudem sind viele Sondereffekte aus der Corona-Zeit inzwischen weitgehend verpufft. Die Rahmenbedingungen von Unternehmen haben sich angesichts hoher Energiepreise und Zinswende gegenüber 2019 deutlich verschlechtert. Passend dazu legte Anfang Dezember die Wirtschaftsauskunftei Creditreform ihre Schätzung der Unternehmensinsolvenzen 2023 vor. Diese seien von 14.660 im Jahr 2022 auf 18.100 (+ 23 % im Jahresvergleich) gestiegen und dürften auch in den kommenden Monaten weiter ansteigen.
II. Das Dilemma der Zentralbanken
Das hohe Inflationsniveau gepaart mit einem fragilen makroökonomischen Umfeld könnte immer noch in eine Stagflation münden. Hinzu kommen Demographieprobleme (Fachkräftemangel) und Klimakrise. Die Maßnahmen der EZB zum Abbau ihrer Bilanz tragen zusätzlich zur Verschärfung des Kreditumfeldes bei. Ohnehin sind geldpolitische Maßnahmen oft erst mit einer Verzögerung von 12 bis 18 Monaten mit Blick auf den Bankensektor, die Kreditvergabe und das wirtschaftliche Geschehen sichtbar. Gleichzeitig verschärfen zahlreiche Kreditinstitute sukzessive ihre Kreditvergabestandards. Interne Richtlinien und Genehmigungsverfahren für wohnwirtschaftliche Darlehen und Verbraucherkredite werden ebenso angepasst wie für Gewerbeimmobilien- und Unternehmenskredite. Zudem gibt es auf Seiten der EZB seit geraumer Zeit Überlegungen und Diskussionen über eine Anhebung der Mindestreservesätze, nachdem in den letzten 15 Jahren massive Liquiditätsüberhänge geschaffen wurden. Davon hat allen voran der Bankensektor mit zusätzlichen Zinseinkünften profitiert. Somit könnte eine Erhöhung der Mindestreservesätze den geldpolitischen Transmissionsmechanismus beeinflussen. Eine Straffung der geldpolitischen Zügel würde die Realwirtschaft mit entsprechender Zeitverzögerung treffen. Über den geldpolitischen Kreditkanal wäre mit dämpfenden Effekten auf Angebots- und Nachfrageseite zu rechnen. Hier würde insbesondere eine Einschränkung des Kreditangebotes die Unternehmensrefinanzierung zusätzlich erschweren.
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Beitragsnummer: 22345