Montag, 23. Oktober 2023

Wahlrecht des maßgeblichen Datums für die Vorfälligkeitsentschädigung

Carsten Sieper, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Frankfurt a. M.

 

Im Rahmen von Streitigkeiten über die Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung steht oftmals nicht nur die Berechtigung hierzu dem Grunde nach im Streit, sondern auch die konkrete Höhe der jeweiligen Entschädigung. Neben diversen Posten der Berechnung ist dabei immer wieder der Fokus auf das Datum der Schadensberechnung gerichtet. Gerade im Hinblick auf das im Jahr 2022 gestiegene Zinsniveau können hier selbst relativ kurze Zeiträume von wenigen Wochen oder Monaten eklatant andere Ergebnisse hervorbringen. 

So war es auch in einem Rechtsstreit beim LG Bonn der Fall, das nun mit Urteil vom 29.09.2023 – 2 U 43/23 – entschieden hat. Nachdem dort ein Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung gem. § 502 Abs. 1 BGB dem Grunde nach bejaht wurde, war die Höhe noch fraglich. Denn dort berechnete die beklagte Bank die Vorfälligkeitsentschädigung zu einem Datum im Frühjahr 2022 nach Erhalt der Mitteilung der vorzeitigen Rückzahlung. Die tatsächliche Rückführung erfolgte jedoch über zwei Monate später. Eine Berechnung der Entschädigung auf Basis des tatsächlichen Rückführungsdatums hätte bei sonst unveränderten Parametern wegen des gestiegenen Zinsniveaus für die Wiederanlage zu einer Reduzierung der Entschädigung um mehr als 80 % geführt. 

Das Landgericht Bonn entschied jedoch, dass auch ohne wirksamen Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung mit Wahl eines Rückzahldatums der Darlehensgeber beim Datum für die Berechnung der Rückzahlung wählen könne. So könne er auf Basis des tatsächlichen Rückzahldatums abrechnen. Er könne aber auch den Tag als Berechnungsgrundlage auswählen, an dem „die Kündigung wirksam werde” (Anm.: Im vorliegenden Fall ist eine Kündigung nicht ausgesprochen worden, sondern das Recht zur vorzeitigen Rückzahlung gem. § 500 Abs. 2 Satz 2 BGB genutzt worden). Dazu bezog sich das Landgericht auf das Urteil des BGH vom 20.02.2018 – XI ZR 445/17 –, welches zum dort tatsächlich relevanten Fall einer Kündigung des valutierten Darlehens durch den Darlehensgeber zur Berechnungsvariante zum Datum des Wirksamwerdens der Kündigung unter Rn. 30 f. ausführte, dass der Darlehensgeber als Schadensersatzberechtigter hier auch auf den Tag der Entstehung des Schadensersatzanspruchs abstellen könne. 

Das Landgericht übertrug diese Grundsätze auf die im vorliegenden Fall erfolgte vorzeitige Rückführung gem. § 500 Abs. 2 BGB, was dazu führte, dass die auf Basis des früheren Berechnungszeitpunkts bereits gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung nicht – auch nicht anteilig – erstattet werden musste. 

 

PRAXISTIPP

Die besprochene Entscheidung des LG Bonn ist erfreulich, da sie dem Darlehensgeber auch im Fall der vorzeitigen Rückführung des Darlehens gem. § 500 Abs. 2 BGB bei der Berechnung der Entschädigung ein Wahlrecht zuerkennt zwischen der Variante des Tags der tatsächlichen Zahlung und dem Zeitpunkt, an dem der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung entstanden ist. Dies kann, wie dargestellt, einen erheblichen, teils schadensausschließenden Unterschied ausmachen.

Abzuwarten bleibt, ob die besprochene, nicht rechtskräftige Entscheidung Bestand haben wird. Insoweit könnte fraglich sein, ob die Bezugnahme auf die Begründung des BGH im genannten Urteil hier ohne weiteres möglich war, da dort ein Schadensersatzanspruch wegen verzugsbedingter Kündigung Gegenstand (bei einem unternehmerischen Darlehensnehmer) war, mithin eine Pflichtverletzung des Darlehensnehmers vorlag. Vorliegend hat der Darlehensnehmer jedoch ein ihm zustehendes Recht gem. § 500 Abs. 2 BGB ausgeübt und somit insoweit keine Pflicht verletzt. Indessen könnte für die Sichtweise des LG Bonn dennoch sprechen, dass aber auch im Rahmen der vorzeitigen Rückführung gem. § 500 Abs. 2 BGB der BGH von einem Schadensersatzanspruch (wenn auch ohne Pflichtverletzung) ausgeht (Urteil vom 05.11.2019 – XI ZR 650/18) und der BGH bereits im Urteil vom 20.02.2018 – XI ZR 445/17 – zu Recht darauf hinwies, dass eine Berechnung auf Basis des Tags der Wirksamkeit der Kündigung schon zulässig sein muss, weil eben auch Fälle (nicht nur) denkbar sind, in welchen der Darlehensnehmer überhaupt nicht zahlt und andernfalls dem Darlehensgeber eine Abrechnung auf Basis des tatsächlichen Zahldatums dann unmöglich wäre.


Beitragsnummer: 22330

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