Donnerstag, 19. Oktober 2023

Zwangsversteigerung trotz Präsentation eines potenziellen Erwerbers

Andrea Neuhof, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Frankfurt a. M.

 

Das Landgericht Hannover hat mit Urteil vom 22.09.2023, Az. 16 O 3/23 (nicht rechtskräftig), die Klage zweier Kreditnehmer und Sicherungsgeber auf Schadensersatz nach erfolgter Zwangsversteigerung ihres Finanzierungsobjektes trotz Präsentierung eines freihändigen Kaufinteressenten kurz vor dem Versteigerungstermin abgewiesen.

Die Kläger hatten das Sicherungsobjekt erworben und dessen Kauf bei der Beklagten gegen Stellung einer Sicherungsgrundschuld hierauf finanziert. Nach verzugsbedingter Darlehenskündigung im Januar 2019 wurde im August 2020 die Zwangsversteigerung des Sicherungsobjektes beantragt. Das im Zuge der Zwangsversteigerung eingeholte Verkehrswertgutachten aus Oktober 2021 ergab einen Verkehrswert in Höhe von 290.000,00 €. Der Zuschlag im Versteigerungsverfahren erfolgte am 27.07.2022 zu einem Bargebot von 226.000,00 € bei einem bestehenbleibenden Recht in Höhe von 9.831,70 €. 

Die klagenden Sicherungsgeber verlangen von dem beklagten Kreditinstitut Schadensersatz gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 1, 1191 BGB in Höhe von 72.697,95 € wegen Verletzung von Rücksichtnahmepflichten aus dem Sicherungsvertrag. Dabei wenden sie unter anderem ein, dass das Objekt am 25.07.2022 – mithin zwei Tage vor dem Versteigerungstermin – von potentiellen Erwerbern besichtigt worden sei, die bereit gewesen seien, dieses zu einem Preis von 300.000,00 € zuzüglich der anfallenden Notarkosten freihändig zu erwerben. Bereits für denselben Tag sei ein Notartermin zur Beurkundung des Verkaufs vereinbart gewesen. 

Die Beklagte wurde – ebenfalls am 25.07.2022 – telefonisch seitens der Kläger darüber informiert, dass diese das Objekt freihändig zu verkaufen beabsichtigten, verbunden mit dem Ansinnen einer vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung. Die Beklagte lehnte eine solche unter Verweis auf den bereits am 27.07.2023 anstehenden Versteigerungstermin ab. 

Das Landgericht Hannover hat die Klage kostenpflichtig abgewiesen, da der Beklagten entgegen der Auffassung der Kläger keine Pflichtverletzung vorgeworfen werden könne. Grundsätzlich folge zwar aus dem fiduziarischen Charakter der Sicherungsabrede die Pflicht des Sicherungsnehmers, im möglichen und zumutbaren Umfang auch auf die Interessen des Sicherungsgebers Rücksicht zu nehmen (MüKo BGB/Lieder, 9. Aufl. 2023, BGB § 1191 Rz. 68). Dies gelte insbesondere auch bei der Verwertung einer zugunsten der Beklagten als Sicherungsnehmerin belasteten Immobilie, soweit dem nicht ihre Sicherungsinteressen entgegenstehen (BGH, Urteil vom 24.06.1997 – XI ZR 178/96 –, juris Rz. 9; Ellenberger/Bunte/Hepp, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2022, § 73 Rz. 364). Wird der Sicherungsnehmerin vom Kunden eine günstige Verkaufsmöglichkeit nachgewiesen, habe sie durch ihre Mitwirkung eine solche Verwertung zu fördern (BGH, a. a. O.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 29.09.2009 – 17 U 570/08 – juris Rz. 15). Die Voraussetzungen hierfür seien jedoch vorliegend nicht gegeben gewesen. Zudem müsse auf Seiten des Sicherungsnehmers das Interesse an einer zügigen Beendigung des Zwangsversteigerungsverfahrens bzw. einer schnellen Befriedigung berücksichtigt werden.

Zur Begründung führt das Landgericht Hannover aus, dass die Beklagte nicht von einer zeitnah stattfindenden Veräußerung des Versteigerungsobjekts habe ausgehen müssen. Eine endgültige Finanzierungszusage eines Kreditinstituts für den ins Feld geführten beabsichtigten freihändigen Kauf habe nicht vorgelegen. Im Falle des Scheiterns der Verkaufsbemühungen wäre jedoch eine etwaige Bewilligung der einstweiligen Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens und die damit einhergehende Terminsaufhebung „umsonst“ gewesen. Vor dem Hintergrund sowie aufgrund des Zeitablaufes zwischen Darlehenskündigung und Zwangsversteigerungstermin von mehr als drei Jahren sei es der Beklagten nicht zuzumuten gewesen, den Klägern einen oder zwei Tage vor der Versteigerung noch eine Einstellung der Zwangsvollstreckung zu bewilligen. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass es noch eine zweite am Zwangsversteigerungsverfahren beteiligte Gläubigerin – ein Finanzamt – gegeben habe, bezüglich derer die Kläger nicht hinreichend vorgetragen und unter Beweis gestellt hätten, dass diese im Falle einer Einstellungsbewilligung durch die Beklagten innerhalb der Kürze der Zeit ebenfalls die Einstellung bewilligt hätte.

Weiter wies das Landgericht darauf hin, dass es eine der wesentlichen Interessen der Beklagten als Bank und Sicherungsnehmerin sei, dass sie eine zeitnahe Befriedigung erlangt, wenn Darlehen durch die Kunden nicht mehr bedient werden können, weshalb auch die Voraussetzungen eines Antrags nach § 30a ZVG sehr eng ausgelegt werden müssten (Kindl/Meller-Hannich/Noethem, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Aufl. 2021, § 30a ZVG, Rz. 2). Andernfalls bestünde eine nicht unerhebliche Gefahr der Verschleppung des Verfahrens durch den Schuldner. Der Beklagten sei es unter diesem Gesichtspunkt nicht zuzumuten gewesen, ihre Befriedigung noch weiter hinauszuzögern. Zwischen Darlehenskündigung und dem Tag der Versteigerung lagen vorliegend dreieinhalb Jahre. Zwischen der Kündigung der zugunsten der Beklagten eingeräumten Grundschuld und dem Tag der Versteigerung lagen knapp zweieinhalb Jahre. Im August 2020 war zudem bereits die Anordnung der Zwangsversteigerung beantragt worden. Daraus folge, dass die Kläger über mehrere Jahre hinweg die Möglichkeit gehabt hätten, sich um eine rechtzeitige freihändige Veräußerung des Versteigerungsobjektes zu kümmern, bei der die Finanzierung der Erwerber ausreichend geklärt sei. Demgegenüber habe die Beklagte bereits verhältnismäßig lange auf eine Erfüllung der bestehenden Verbindlichkeiten gewartet. Selbst wenn die Behauptung der Kläger zutreffe, die von ihnen benannten Interessenten hätten die Immobilie im Rahmen eines freihändigen Verkaufs für 300.000,00 € erworben, sei die Beklagte daher nicht gehalten gewesen am 25.07.2022, mithin zwei Tage vor der Versteigerung, einen Einstellungsantrag zu stellen. 


PRAXISTIPP

Wenngleich es Sicherungsgebern, denen die Zwangsversteigerung ihres Objektes droht, durchaus in dem ein oder anderen Fall trotz ernsthafter Bemühungen erst vergleichsweise spät gelingen mag, einen die Zwangsversteigerung abwendenden (ernsthaften) freihändigen Objektverkauf zu bewerkstelligen, ist in der Praxis durchaus ab und an das Phänomen zu beobachten, dass zwecks Hinauszögerung der Zwangsversteigerung erst kurz vor dem anberaumten Versteigerungstermin vermeintliche Gründe für eine Einstellung der Zwangsvollstreckung ins Feld geführt werden in der Hoffnung, auf diesem Wege eine – teils wiederholte – Terminsverlegung zu bewerkstelligen. Die Entscheidung, ob der beitreibende Gläubiger in einem solchen Fall gehalten ist, eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zu bewilligen, ist stets auf Grundlage der Besonderheiten des Einzelfalls zu treffen. Im vorliegenden Fall bestand die Besonderheit, dass sowohl Darlehens- und Grundschuldkündigung als auch der Antrag auf Durchführung der Zwangsvollstreckung bereits überdurchschnittlich lange zurücklagen. Zwischenzeitlich war dem Verhalten der Kläger aus Sicht der Beklagten kein ernsthafter Wille zum Objektverkauf zu entnehmen. Eine tatsächliche realistische Verkaufsmöglichkeit hatten die Kläger der Beklagten zudem nicht nachgewiesen. Zu einer Vollstreckungseinstellung „auf Zuruf“ nur zwei Tage vor dem angesetzten Versteigerungstermin war die Beklagte daher nicht gehalten.

Soweit ein Vollstreckungsschuldner ernsthaft den freihändigen Verkauf des Sicherungsobjektes beabsichtigt, sei ihm eine rechtzeitige und offene Kommunikation mit den die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubigern angeraten. Ein Spiel auf Zeit oder gar die Anwendung diverser „Tricks und Kniffe“ zur Vereitelung der Zwangsvollstreckung schüren auf Gläubigerseite häufig berechtigte Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Verkaufsbemühungen. Dass es dem Vollstreckungsgläubiger in derartigen Fällen gerade nicht automatisch zumutbar ist, im Falle der Präsentation eines Erwerbsinteressenten kurz vor Durchführung eines Versteigerungstermins noch rasch eine Einstellung der Zwangsvollstreckung zu bewilligen, zeigt die Entscheidung des Landgerichts Hannover (a. a. O.) anschaulich.

Bei Redaktionsschluss war noch nicht bekannt, ob die Sicherungsgeber gegen das Urteil des Landgerichts Hannover binnen offener Frist noch Berufung einlegen würden.


Beitragsnummer: 22329

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