Donnerstag, 19. Oktober 2023

Insiderstraftaten in der Strafrechtspraxis

Dr. Hans Richter, OStA a. D., ehem. Hauptabteilungsleiter der Schwerpunktabteilungen für Wirtschaftsstraftaten der Staatsanwaltschaft Stuttgart

Liebe Leserinnen und Leser, nachdem ich Ihnen in meinen Kolumnen im BankPraktiker nach Schilderung der „Essentials“ rechtlicher Grundlagen und deren praktischen Anwendung im Bereich der Wirtschaftsstrafdelikte bei der (spezialisierten) Kriminalpolizei, den (Schwerpunkt-)Staatsanwaltschaften und den Gerichten, zunächst das „Insolvenzstrafrecht“ in seiner konkreten Anwendung vorgestellt hatte, habe ich mich ab BP 07.–08.2023 in dieser Weise dem „Kapitalmarktstrafrecht“ zugewandt, das ja eine besondere „Affinität“ zu (verantwortlichen) Mitarbeitern von Banken aufweist. Der Einstieg war im BP 09.2023 die Vorstellung eines aktuellen und spektakulären Falles des „Insiderstrafrechts“, an den sich einige Fragen an Sie anschlossen. Diese sollten es Ihnen erleichtern, meine allgemeinen Erläuterungen zur Strafrechtspraxis für Problemstellungen Ihrer Arbeitsfelder zu aktivieren. Im BP 10.2023 habe ich diesen Strafrechtsteil näher beleuchtet. Auf diesen Grundlagen will ich nun selbst Antworten auf meine Fragen formulieren. Damit verknüpfe ich die Hoffnung, dass diese – dem Kern nach – Ihren Antworten entsprechen oder wir über Differenzen miteinander diskutieren können. 

Vorab aber – wiederum ganz aktuell – ein Fall-Hinweis: Sicher haben Sie die aktuelle Berichterstattung der SZ (Süddeutsche Zeitung v. 01.10.2023 und weiterer Medien, etwa Financial Times, Wirtschafts-Woche, auch SPIEGEL u. a.) mit fachkundigem Interesse gelesen, wonach die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main gegen einen (in Untersuchungshaft genommenen, ehemaligen) Journalisten (und 4 weitere Beschuldigte) Anklage wegen Insiderhandels in der Zeit von 2017–2021 zur Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Frankfurt/Main erhoben hat. Dieser Fall bestätigt die in meiner Fallschilderung im Oktober-Heft des BP hervorgehobene Typik der Insiderstraftaten eindrucksvoll:  

Ein führender Verantwortlicher einer amerikanischen Investment-Bank (die zu den großen M&A-Beratern in Deutschland zählt) soll den Pressemeldungen zufolge nach Bekanntwerden der Ermittlungen Suizid begangen haben. Er soll dem Hauptbeschuldigten dieses Falles (einem ehemaligen Journalisten) Insiderinformationen übermittelt, ihm damit 20 Insidergeschäfte ermöglicht und so zu einem Gewinn von mindestens 24 Mio. € „verholfen“ haben. Die Tatvorwürfe gegen die 4 weiteren Angeklagten sind noch nicht veröffentlicht.

Die Behauptung von (Mitteilungs-)Insidern, sie hätten „unbedacht“ oder „versehentlich“ ihr Insiderwissen weitergegeben, ist nicht nur nach dem Nachweis von hierfür erlangten „Gegenleistungen“ (meist, aber nicht immer: Geld) ungeeignet, den (mindestens bedingten) Vorsatz (näher BP 07.–08.2022) zu widerlegen. Unbeschadet hiervon ist auch die fahrlässige Insiderhandlung strafbar! 

Nun aber zu meinen Fragen Ihrer „Hausarbeit“ (die auch zum heutigen Fall passen):

a) Woher könnte die Staatsanwaltschaft die Informationen erhalten haben?

Von der engen und gesetzlich vorgeschriebenen Zusammenarbeit der (Kapital-)Markt-aufsichtsbehörde BaFin wissen Sie bereits und haben zutreffend bei ihr die Informationsquelle vermutet. Gescheiterte Beziehungen, Rangeleien zur Unternehmenshierarchie, Presseverlautbarungen u. ä. können weitere (häufig anonyme) Quellen der Strafverfolgung sein. Dass die BaFin digitalisierte Analysen auffälligen Marktverhaltens (regelmäßig vor einem Marktereignis; im Fall: Die Veröffentlichung des Übernahmegebotes) durchführt und Ergebnisse – wie bei allen Sachverhalten, die der BaFin bekannt werden und bei denen die Möglichkeit eines strafrechtlichen Anfangsverdachts besteht – an die zuständige Staatsanwaltschaft weiterzuleiten muss, hatte ich vorab erwähnt. 

 

b) Begründen diese Informationen einen Anfangsverdacht und ermöglichen es dem zuständigen Staatsanwalt deshalb ein Verfahren einzuleiten und zu ermitteln?

Dass die von der BaFin zunächst festgestellten und der zuständigen Staatsanwaltschaft gemeldeten Call-Optionen des U (schon) einen Anfangsverdacht begründen könnten, der diese zu weiteren Ermittlungen (etwa Zeugenvernehmungen, die Erwirkung eines gerichtlichen Durchsuchungsbeschlusses u. a.) ermächtigen (genauer: zwingen) würde, werden Sie kaum bejahen wollen (vgl. Kolumne BP 03.2022). Das wäre nur dann der Fall, wenn allein die riskanten Geschäfte des U den Schluss begründen könnten, ein Kapitalmarktanleger würde ein solches Risikogeschäft (mindestens in der Regel) nur bei Kenntnis einer möglichen Fusion (oder sonstiger, allgemein nicht bekannter Informationen) tätigen – auch dies entspricht nicht der Lebens-(hier: Kapitalmarkt-)Erfahrung. Danach dürfte die Staatsanwaltschaft kein Verfahren einleiten und keine Ermittlungen durchführen, könnte aber weitere (allgemein zugängliche und/oder amtsinterne) Informationen einholen.

 

c) Benötigt die Staatsanwaltschaft weitere Informationen? Wenn ja, wo wird sie diese erlangen?

Die Feststellung des Anfangsverdachts, eine Insiderinformation habe dem „Investment“ des zugrunde gelegen, erfordert also weitere Informationen. Von Bedeutung könnte das sonstige Marktverhalten des und/oder seine Vermögensverhältnisse in Relation zur „Investitionssumme“ sein. Im geschilderten Fall konnte schon die BaFin durch (routinemäßigen) Abgleich des Wohnsitzes des mit den Anschriften von mit dem Übernahmevorhaben in beiden Aktiengesellschaften (als börsennotierte Unternehmen) befassten (internen oder externen) Beteiligten aufgrund der dort jeweils geführten (und der BaFin von den Unternehmen vorzulegenden) Insiderlisten einen „gemeinsamen Haushalt“ des mit einer Insiderin (I) zur Tatzeit feststellen. Bankabfragen der BaFin zu (In-/Auslands-)Bankverbindungen des U ergaben zudem dessen Verwendung seines gesamten liquiden Vermögens für diese Transaktion. Spätestens aus der Zusammenschau dieser Angaben muss die Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht der Insiderstraftat des bejahen, der auch Durchsuchungen der betroffenen Wohnräume rechtfertigt.

Die niedrige Schwelle eines strafrechtlichen Anfangsverdachts wird deutlich, wenn Sie prüfen, ob nach dem soeben Mitgeteiltem im vorliegenden Fall der Verdacht (einer Insiderstraftat) auch gegen I besteht: Aus dem (nun naheliegenden) Verdacht der Verwendung der Insiderinformation (bevorstehendes Übernahmeangebot) durch U und sein gemeinsamer Wohnsitz mit I ergibt sich zwar keineswegs zwingend, dass die Information an U weitergeben hat oder ihm diese durch fahrlässiges Handeln/Unterlassen der I bekannt wurde (hat etwa Notizen nicht sorgfältig verschlossen gehalten). Auch ist es möglich, dass U die Information von dritter Seite erlangt hat. Zwingende Schlüsse sind zur Bejahung des Anfangsverdachts aber nicht erforderlich; es reicht schon aus, dass ein solcher Schluss nicht fernliegend ist.

 

d) Könnte Ihre Bank involviert sein – könnten Sie (in welcher Position? Wie?) betroffen sein?

Diese Fragen können natürlich nur Sie selbst, liebe Leserin, lieber Leser des BankenPraktiker beantworten. Hilfreich hierfür können folgende Fragestellungen sein: Gibt es bei Ihrer Bank Informationen, die nicht allgemein bekannt und geeignet sind, einen (potentiellen) Marktbeteiligten zu einem Marktverhalten (kaufen, verkaufen, halten) zu veranlassen? So wird die Frage kaum zu verneinen sein.

Können Sie sich einen Mitarbeiter Ihrer Bank vorstellen, der dann nicht betroffen sein kann, der also keine solche Information haben kann? Nur wer diese nicht hat, kann kein Insider und ist zur Straftat nicht in der Lage. Ich erinnere daran, dass sich nicht nur der Berechtigte einer Insiderinformation (Primärinsider) strafbar machen kann, sondern jeder, der die diese von einem anderen erlangt, verwendet oder weitergegeben hat (Sekundärinsider). Als strafbare Beteiligung an einer Insiderstraftat kann auch ein Ratschlag zur Verwendung/Weitergabe einer Insiderinformation (Anstiftung) und jede Unterstützung eines solchen Verhaltens (Beihilfe) gewertet werden. Sie sehen, das Feld ist weit – insbesondere innerhalb, aber auch außerhalb von Banken.

 

e) Wie wird der Staatsanwalt ermitteln, wenn der Anfangsverdacht bejaht wird?

Diese Frage dient nicht dazu, Tipps zur Vertuschung mögliche Strafbarkeit zu geben – sie soll vielmehr helfen, Sie als Adressat von Fragen der Polizei, der Staatsanwaltschaft, dem Gericht (als Zeuge) oder der BaFin (als Auskunftsperson) zu sensibilisieren/vorzubereiten. Dass Sie – sollte sich ein Verdacht gegen Sie richten (Verdächtiger/Beschuldigter/Angeklagter) – nicht verpflichtet sind, Angaben zu machen und Sie sich in solchen Fällen jederzeit eines Rechtsbeistandes bedienen können (und sollten), haben Sie natürlich schon lange Ihren Compliance-Vorgaben entnommen.


Versprochen habe ich Ihnen noch weitere Hinweise zu strafbarem Insiderverhalten und legitimen Handlungen, also dem zulässigen Umgang mit Insiderinformationen. Maßgebend sind für alle Mitgliedsstaaten die Regelungen des europäischen Rechts, insbes. der MAR (Marktmissbrauchsverordnung; EU-Verordnung Nr. 596/2014), die von der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) in deutscher Fassung (13/04/2022 | ESMA70-159-4966 DE) am 13.04.2022 veröffentlicht wurden.

Strafbar nach § 119 Abs. 3 WpHG ist das „Tätigen eines und Anstiften zu einem Insidergeschäft“, das in Art. 8 Abs. 1 u. 3 MAR definiert ist: Ein Insidergeschäft liegt vor, wenn eine Person über Insiderinformationen verfügt und unter Nutzung derselben für eigene oder fremde Rechnung direkt oder indirekt Finanzinstrumente, auf die sich die Informationen beziehen, erwirbt oder veräußert; das Nutzen einer Empfehlung und das Verleiten zum Insidergeschäft ist ebenso strafbar, wie das Verwenden der Insiderinformation. Der Versuch dieser Straftaten ist nach § 119 Abs. 4 WpHG strafbar. 

Die tauglichen Täter beschreibt Art. 8 Abs. 4, 1 a-d MAR als „Primärinsider“: Unternehmensvertreter“ und „Kaptalbeteiligte“ und Personen, die „kraft Beruf oder Tätigkeit bestimmungsgemäß“ die Insiderinformation bekommen (nicht selten: Bankmitarbeiter). Nach Art. 8 Abs. 4 S. 2 MAR ist ebenso der „Sekundärinsider“ strafbar. Wenn er die Insiderinformation „sonst“ erlangt hat, also jeder „Nicht-Primärinsider“ der eine Insiderinformation wie und von wem auch immer erfährt.

Nach Art. 17 MAR haben alle Emittenten Insiderinformationen unverzüglich auf vorgeschriebenen Weg der Öffentlichkeit bekannt zu machen (sog. „ad-hoc-Information“). Damit verliert die Information ihren Insider-Charakter – sie gilt jetzt als „allgemein bekannt“ und ist nicht mehr Gegenstand des Insider(straf)rechts. 


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Handbuch Wirtschaftsstrafrecht

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