Montag, 16. Oktober 2023

Stagflationsgefahr, geopolitische Krisen: Bankenumfeld bleibt fragil!

Dr. Thomas Kohlhase, Senior Credit Analyst, Ampega Asset Management


Seit der großen globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 mit dem Höhepunkt der Lehman Bank-Pleite war es in den letzten Jahren relativ ruhig im Bankensektor geworden. Die Corona-Krise wurde dank staatlicher Hilfen und großen Fortschritten im Bereich der Regulierung, insbesondere mit Stärkung der Kapital- und Liquiditätsausstattung des Bankensektors im Zuge von Basel 3 gut gemeistert. Doch das Ende eines Jahrzehnts des ultrabilligen Zentralbankgeldes und sinkender Zinsen zur Krisenbekämpfung hat rund um den Globus seit 2022 einiges durcheinandergebracht. Die Rückkehr spürbarer Inflation hat auf der einen Seite insbesondere Rohstoffe und den Faktor Kapital verteuert, während auf der anderen Seite der Faktor Arbeit zum Teil nur mäßig kompensiert wurde (die geringere Konsumneigung der Haushalte zeigt dies) und es vor allem zu einem Ende steigender Vermögenspreise, speziell bei Immobilien und Wertpapieren gekommen ist. 

Der rapide Zinsanstieg innerhalb kurzer Zeit hat vor allem letzteres bewirkt und materielle Veränderungen in den Bankbilanzen mit sich gebracht, zumal Realkredite und Wertpapierbestände kumuliert oft mehr als 2/3 der Bilanzen ausmachen. Doch im März 2023 war es mit der relativen Ruhe im Bankensektor vorbei, nachdem es nun diesseits und jenseits des Atlantiks mehr oder weniger größere Bankenpleiten bzw. -rettungen gab. Gleichwohl waren diese Fälle sehr speziell gelagert mit Blick auf Aufsichtslücken bei US-Regionalbanken, Fehlern im Risikomanagement der Institute sowie speziellen Geschäftsmodellrisiken. 

 

Empirisch begleitet Zinserhöhungszyklen oft mit Disruptionen im Bankensektor – auch 2023

Wie schon oft zuvor in der Vergangenheit kam es auch im aktuellen Zinserhöhungszyklus zu Stress im Bankensektor, der vor allem einige US-Regionalbanken und die Credit Suisse getroffen hat. In der Realwirtschaft schlagen die gestiegenen Zinsen voll durch, was sich z. B. in der Immobilienbranche an sinkenden Bewertungen und verminderter Bauaktivität niederschlägt, sowie auch in veränderten Konsumgewohnheiten aber auch bei Unternehmen (Rückgang der Investitionen, geringere M&A Aktivität etc.). Zweitrundeneffekte z. B. mit Blick auf Anschlussfinanzierungen bei Häuslebauern oder anstehenden Refinanzierungen von hochverschuldeten Unternehmen noch nicht mal eingeschlossen.

 

Zinsanstieg bei Banken mit unterschiedlichen Implikationen – aber eher positiv, dank stabiler Kreditqualität

Bei den Banken hat der jüngste Zinsanstieg bislang unterschiedliche Auswirkungen gehabt: Positiv wirkte bis dato aus, dass die Zinsergebnisse und Zinsmargen nach vielen Jahren wieder anstiegen und Banken wieder üppige Erträge aus der Fristentransformation generieren können. Mit der Fristentransformation haben zahlreiche Geldhäuser vor dem Jahrzehnt der ultralockeren Zentralbankpolitik nicht selten ein Viertel bis ein Drittel oder sogar mehr von ihrem Gesamtgewinn erwirtschaftet. 

Zudem hinkt die Verzinsung der Bankeinlagen der Zinsanpassung der Kredite hinterher, so dass die Banken noch eine Weile von höheren Zinsmargen profitieren dürften. Gleichzeitig erwies sich die Kreditqualität in den Büchern bislang robust, nicht auch zuletzt aufgrund strikterer Kreditvergabestandards, die nach 2008/09 eingeführt wurden, so dass der Bankensektor auf breiter Front über starke Nachsteuerergebnisse im abgelaufenen Geschäftsjahr berichtete. Gleichwohl muss mit steigenden Stage 2 und Stage 3 Krediten im Falle konjunktureller Abwärtsrisiken gerechnet werden. 

Einen negativen Einfluss hat der Zinsanstieg dagegen auf das Kreditneugeschäft und auf die Bewertung der Investmentportfolien. Insbesondere Zinspapiere (Staatsanleihen, Pfandbriefe, sonstige Anleihen) haben oftmals an Wert verloren. Instrumente die im Handels- und Liquiditätsportfolio (AfS – Available for Sale) gehalten werden, haben unmittelbar einen ergebniswirksamen Einfluss, während eventuelle Kursverluste bei HtM (Held-to-Maturity) Beständen nur bei Realisierung ergebniswirksam sind. Aber auch das Auslaufen attraktiver Refinanzierungsmöglichkeiten über die Zentralbanken (z. B. das EZB TLTRO Programm) dürfte bei dem einen oder anderen Institut Auswirkungen haben, denn nicht zuletzt haben viele Banken von dieser Art „Zinssubventionierung“ viele Jahre profitiert. Teilweise konnten über diese speziellen EZB-Refinanzierungsprogramme risikolose Sondergewinne eingefahren werden, bis die EZB die Konditionen Ende 2022 geändert hat. Damit verlieren einige Institute eine wichtige Ertragsstütze, und manche Institute mussten statt Extragewinnen, sogar zusätzliche Aufwendungen verbuchen. 

Die Risikovorsorgen dürften graduell wieder steigen aufgrund des anhaltenden Drucks auf gewerbliche Immobilienkredite und einer Zunahme von Insolvenzanträgen. Größter Risikofaktor mit Blick auf die Aktivaqualität bleibt ein Wirtschaftseinbruch. Weitere Belastungsfaktoren sind eventuelle Bankensteuern (wie in Italien oder den Niederlanden diskutiert) sowie eine mögliche Anhebung der Mindestreservesätze durch die EZB um die Überschussliquidität zu reduzieren.

 

Grenzen der traditionellen Bankbilanzanalyse

Die jüngsten Bankpleiten zeigen, dass traditionelle Kennzahlen, die regelmäßig bei der Bonitätseinstufung von Banken und auch in Ratingsystemen verwendet werden an ihre Grenzen stoßen. Die Silicon Valley Bank wies bis kurz vor ihrem Zusammenbruch eine Top-Aktivaqualität aus (NPL Ratio bei unter einem Prozent) und augenscheinlich solide Kapitalkennzahlen. Lediglich das Kredit-Einlagen-Verhältnis von nur knapp 42 % hat im Vorfeld den einen oder anderen weitere Fragen stellen lassen, wo nämlich der Einlagenüberschuss angelegt wurde? 

So kann die Fokussierung auf die NPL-Ratio zu einem Ausklammern anderer Risikoarten führen, nämlich dem Investment- und Beteiligungsportfolio. Auch ein Anstieg der Nettozinsmarge, eine grundsätzlich positive Tendenz, sagt nichts ausreichend über Zinsänderungsrisiken aus. Kennzahlen wie das Kredite-Einlagen-Verhältnis (Loan-Deposit Ratio) geben z. B. nur eingeschränkt Aufschluss über die Liquidierbarkeit von Aktiva. 

Der Fall der Silicon Valley Bank zeigt, dass es bei Stress (in dem Fall der ungeahnt hohe Depositenabfluss) zu hohen Bewertungsverlusten aus dem Zwangsverkauf von eigentlich mit einer langfristigen Halteabsicht gehaltenen Wertpapieren (höchster Bonität) gekommen ist. 

 

Wachsamkeit erforderlich – Weitere Risiken schlummern in den Bankbilanzen

Anhaltende geopolitische Risiken, ein Wiederaufflammen der Staatschuldenkrise, eine weitere Korrektur an den Immobilienmärkten, da Wohnungs- und speziell gewerbliche Immobilien einen Preisschub unerkannten Ausmaßes durch ein Jahrzehnt des billigen Geldes erfahren haben, eine mögliche Rezession sowie sonstige Eventrisiken (Naturkatastrophen/Klimawandel, Krieg, Pandemie, Cyberangriffe, Social Media Bank Run etc.) gilt es zu beobachten bzw. zu antizipieren. Wachsamkeit bleibt daher das Gebot der Stunde.

 


PRAXISTIPPS:

  • Analysieren Sie die Jahresabschlüsse selber oder mit Hilfe externer Spezialisten; vertrauen Sie nicht alleine auf Analysten; es besteht die Gefahr, dass diese eigene Ziele verfolgen könnten.
  • Eine reine kennzahlenbasierte Analyse ist unzureichend, um das Risikoprofil einer Bank zu bewerten. Daher müssen Banken verstärkt mittels holistischen Ansatzes analysiert werden: Marktdaten wie Aktienkurse, Anleihespreads gehören ebenso dazu, wie eine Überprüfung des Nachrichtensentiments.
  • Der Ansatz umfasst ferner eine Umfeldanalyse, einschließlich der regulatorischen Rahmenbedingungen, der makroökonomischen Faktoren sowie der spezifischen Analyse des jeweiligen Bankenmarktes.
  • Des Weiteren ist eine Geschäftsmodellanalyse unerlässlich, bei der neben der Kennzahlenanalyse auch die Peergruppenanalyse zum Einsatz kommt. Ebenfalls sollte – falls möglich – ein Benchmarking zu externen (marktbasierten) Indikatoren erfolgen.

Beitragsnummer: 22314

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