Mittwoch, 4. Oktober 2023

Einschränkung des Widerspruchsrechts trotz EuGH-Rechtsprechung

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

 

Entgegen der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz (vgl. Beschluss vom 22.07.2022, VGH B 70/21, BeckRS 2022, 19380 mit Anm. Looschelders r+s 2022, 622 f.) sowie entgegen der Vorlageentscheidung des Landgerichts Erfurt (vgl. Beschluss vom 14.10.2022, 8 O 1462/20, BeckRS 2022, 30869) hält der Versicherungsrechtssenat des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 19.07.2023 (IV ZR 268/21, WM 2023, 1597) nicht nur an seiner Rechtsprechung fest, wonach die Geltendmachung des „ewigen Widerspruchsrechts" sowohl bei einer fehlerhaften als auch bei einer fehlenden Widerspruchsbelehrung ausnahmsweise den Grundsätzen von Treu und Glauben nach § 242 BGB widersprechen und damit unzulässig sein kann, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, welche vom Tatrichter im Einzelfall festzustellen sind. Er entscheidet darüber hinaus weiterhin – und auch dies entgegen dem Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz sowie dem Landgericht Erfurt –, dass zum Einwand von Treu und Glauben eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht geboten ist. In diesem Zusammenhang setzt sich der Bundesgerichtshof auch umfassend damit auseinander, dass und aus welchen Gründen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur vermeintlichen Unanwendbarkeit des Rechtsmissbrauchseinwands bei Verbraucherkredit-Widerrufsrechten und insbesondere die Volkswagen-Bank-Entscheidung des EuGHs vom 09.09.2021 (C-33/20, 155/20 u. 187/20, WM 2021, 1986) seiner Rechtsprechung nicht entgegensteht.


PRAXISTIPP

Vor dem Hintergrund vorstehender Entscheidung ist kaum zu erwarten, dass sich der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs von einer von seiner Rechtsauffassung abweichenden und noch zu ergehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs wird abbringen lassen. Spannender dürfte demgegenüber die Frage sein, wie sich der XI. Bankensenat des Bundesgerichtshofs positionieren wird, sollte der EuGH auf die Vorlageentscheidung des OLG Stuttgart (vgl. hierzu Edelmann, BTS Bankrecht, Ausgabe Dezember 2021/2022, 126 f.) sowie auf die eigene Vorlageentscheidung vom 31.01.2022 (vgl. hierzu Edelmann, BTS Bankrecht, Ausgabe März 2022, S. 16) die Rechtsauffassung vertreten, die deutschen Grundsätze des Rechtsmissbrauchs sowie der Verwirkung in ihrer Auslegung und Ausprägung durch den Bundesgerichtshof seien bei einer fehlerhaften oder fehlenden Widerrufsbelehrung unanwendbar. Denn einige der vom IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in vorstehender Entscheidung ins Feld geführten Argumente könnte sich auch der XI. Bankensenat des Bundesgerichtshofs bei seinen Ausführungen zum Verbraucherdarlehenswiderrufsrecht zu Eigen machen. Hiervon unabhängig dürfte eine solche Rechtsauffassung des EuGHs mit den klaren und eindeutigen sowie schon seit Jahrzehnten geltenden Grundsätzen des Rechtsmissbrauchs sowie der Verwirkung unvereinbar sein, sodass eine europarechtskonforme Auslegung ausgeschlossen sein dürfte.


Beitragsnummer: 22303

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