Freitag, 25. August 2023

ESG-Risiken: bankaufsichtliche Anforderungen an das Risikomanagement

Nachhaltigkeit im Fokus der 7. MaRisk-Novelle: bankaufsichtliche Sicht und Beurteilung der Risiken

Joachim Weeber, Honorarprofessor, NORDAKADEMIE Hochschule der Wirtschaft, ehemaliger Sachgebietsleiter im Bereich Banken und Finanzaufsicht der Deutschen Bundesbank

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat jüngst die 7. Novelle der MaRisk veröffentlicht. Neben Aktualisierungen für den Kreditvergabe- und -überwachungsprozess durch Leitlinien der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA und Reglementierungen des Immobiliengeschäftes, enthält diese Novelle auch zum ersten Mal konkrete Vorgaben für Banken zum Thema Nachhaltigkeit. Zwar wurde von den deutschen Bankenaufsichtsbehörden bereits seit Jahren in unterschiedlicher Form auf die dringliche Umsetzung von Nachhaltigkeitsaspekten bei der Geschäftstätigkeit von Banken hingewiesen, etwa im Merkblatt der BaFin zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken von 2019, die Aufnahme dieser Risiken in den MaRisk gibt den Banken allerdings konkretere Handlungsanweisungen zur Erfassung und Beurteilung solcher Risiken. Vor allem aber wird die Geschäftsleitung eines Instituts explizit zur Erstellung des Gesamtrisikoprofils aufgefordert, „die Auswirkungen von ESG-Risiken angemessen und explizit einzubeziehen“ (MaRisk, Modul AT 2.2). Die Nennung von ESG-Risiken als eigenständige Risikokategorie in den MaRisk verdeutlicht die besondere Bedeutung dieser Risiken aus Sicht der Bankenaufsicht. ESG–Faktoren werden damit als verbindlich aufsichtliche Vorgaben formuliert. Damit setzt sich die bankaufsichtliche Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsrisiken fort, die mit der Aufnahme klimabedingter Risiken in die Aufsichtsschwerpunkte der Bankenaufsicht vor wenigen Jahren begonnen hat.

Was bedeutet dies für das Risikomanagement und für die Geschäftstätigkeit eines Instituts insgesamt? Die Bankenaufsicht weist bereits seit Jahren daraufhin, dass Nachhaltigkeitsrisiken keine gänzlich neue Risikoart sind. ESG-Risiken (Risiken aus Environmental-, Social- und Governance-Aspekten) sind bereits seit Jahren Teil der bankaufsichtlichen Praxis und sollten damit eigentlich auch bereits Teil des Risikomanagements von Banken sein. Allerdings zeigt die bankaufsichtliche Praxis auch, dass zahlreiche Institute von den wünschenten Vorgaben z. T. deutlich entfernt sind. Auch wenn im Zuge der Auswirkungen des Klimawandels die daraus resultierenden Risiken derzeit im Mittelpunkt stehen, sind Prüfungen von Governance-Aspekten bei Fehlverhalten von Instituten, etwa im Bereich Steuerehrlichkeit, Geldwäsche oder vermuteter Terrorismusfinanzierung, Teil der bankaufsichtlichen Tätigkeit. Der Risikomanagementprozess der Institute und auch die Auswirkungen auf das Geschäftsmodell der einzelnen Institute sind zu prüfen und ggf. anzupassen. Die bankaufsichtlichen Erwartungen für das Risikomanagement richten sich auf (ausführlich in Weeber, J., Nachhaltigkeit im Risikomanagement von Kreditinstituten aus bankaufsichtlicher Sicht, WiSt, H. 11/2022):

  • Adressenausfallrisiken (einschließlich Länderrisiken)

Konzentrationen nach Kreditnehmern, Produkten oder Branchen auf den Aspekt von ESG-Risiken. Klimabedingten Risiken aus Kreditgeschäften oder bei Wertpapieranlagen sind aktuell hier besonders relevant. Länderrisiken könnten vor allem bei Auftreten physischer Risiken aus den Schäden durch Naturkatastrophen entstehen. Ratingabstufungen von Wertpapieren aus den betroffenen Ländern wären denkbar.

  • Marktpreisrisiken

Auswirkungen von ESG-Risiken auf den Preis von Produkten bzw. Anlagen. Verteuerungen des Strompreises durch CO2-Abgabeanhebungen oder Gebots- oder Verbotseingriffe des Staates können die Wettbewerbssituation der betroffenen Unternehmen (auch im internationalen Kontext) beeinträchtigen und zu einem Preisverfall solcher Investments führen. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen im Zuge der Industriestrompreisdiskussion ist hier ein aktuelles Beispiel. Naturkatastrophen etwa beeinflussen die Preise landwirtschaftlicher Produkte, Preisreaktionen für die Konsumenten sind dann die Folge.

  • Liquiditätsrisiken

Die Werthaltigkeit von Vermögenswerten und wie schnell diese in Liquidität umgesetzt werden können, sind entscheidend für die Liquiditätsposition von Instituten in Spannungssituationen. Maßstab ist hier der Liquiditätsgrad eines Vermögensgegenstandes. Insofern spielen Liquiditätsüberlegungen bei langfristigen Prozessen wie etwa dem Klimawandel eine untergeordnete Rolle. Kurzfristig können Liquiditätsanspannungen aber durch Reputationsschäden etwa durch Presse- oder Social-Media-Meldungen entstehen, die Themen aus dem Bereich der sozialen Taxonomie betreffen. Fehlverhalten von Kreditnehmern hinsichtlich arbeits- oder allgemein menschenrechtlicher Standards können durch unmittelbare, abrupte Liquiditätsabflüsse vergleichsweise schnell auf das betroffene Institut einwirken.

  • operationelle Risiken

Operationelle Risiken aus dem Auftreten externer Ereignisse schlossen bereits in der Vergangenheit z. B. die Auswirkungen von Naturkatastrophen ein. Im Zuge der zunehmenden Bedeutung ESG-relevanter Diskussionen in der Öffentlichkeit dürfte aber vor allem der Aspekt der Reputation bzw. des Reputationsschadens erheblich an Bedeutung gewinnen. Die operationellen Risiken umfassen schließlich auch die regulatorischen Risiken, die in Form verschärfter Anforderungen durch Gesetze, Gebote oder Auflagen auf die Ertrags- bzw. Kostenkomponenten der Institute durchwirken können.

Mit Blick auf die Kreditvergabe ist damit künftig sicherzustellen, dass ESG-Aspekte nicht nur in der Kreditvergabestrategie berücksichtigt werden müssen. Vielmehr sind sie Teil der Bewertung der finanziellen Lage bzw. Leistungsfähigkeit der Kreditnehmenden insgesamt. Die 7. Novelle der MaRisk stellt zudem klar, dass Institute für die Messung und Beurteilung ihrer ESG-Risiken wissenschaftlich fundierte Szenarien verwenden können. Stützen können sich die Institute z. B. auf Szenarien des „Network of Central Banks and Supervisors for Greening the Financial System“ (NGFS), also des Zusammenschlusses von Zentralbanken und Aufsichtsbehörden, oder auch anderer anerkannter Organisationen wie der Internationalen Energieagentur oder des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung. Eigene Annahmen zum Klimawandel oder zum Transformationsprozess sind daher zunächst nicht notwendig. Hier wird der Proportionalitätsgedanke umgesetzt, der etwa für kleinere, nicht erheblich betroffene Institute eine einfachere Risikobetrachtung vorsieht – in Abhängigkeit von Ihrer Betroffenheit von ESG-Risiken. Notwendig ist gleichwohl die Übertragung auf das eigene Geschäftsmodell. Allerdings sind die Institute aufgefordert, „die Auswirkungen von ESG-Risiken in den Risikoklassifizierungsverfahren zu berücksichtigen“, wie die BaFin im Begleitschreiben zur Novelle formuliert. Besonders betroffene Risikopositionen sind zu identifizieren und hinsichtlich einer langfristigen Betrachtung etwa klimabezogener Risiken einem qualitativen Ansatz zu unterziehen. Der Umgang mit solchen Risiken ist zu dokumentieren und ESG-Verantwortlichkeiten in Geschäftsleitungsorganen sind festzulegen. 

Ob die Vorgaben der aktuellen Novelle allerdings ausreichen werden, ESG-Risiken als wesentliche Risikokategorie für die Institute auszuschließen, ist eher zweifelhaft. Im Gegensatz zu den bisher bestehenden Geschäftsrisiken, zeichnen sich vor allem Klima- und Umweltrisiken dadurch aus, dass dies langfristige Entwicklungen sind, die zu ungewissen Ergebnissen führen. Die im normalen Risikomanagementprozess verwendeten historischen Datensätze zur Abschätzung der quantitativen Auswirkungen von Kreditausfällen sind nicht vorhanden. Auch die von anerkannten wissenschaftlichen Institutionen verwendeten Langfristszenarien dürften wegen der bisher noch unzureichenden Datenhistorie in zahlreichen Instituten nur rudimentär sinnvoll einsetzbar sein. Vor allem auch, da die Bankenaufsichtsbehörden, wie im genannten Begleitschreiben formuliert, sich auf physische Risiken und Transitionsrisiken konzentrieren. Die aus ESG-Risiken ebenfalls erwachsenden Finanzstabilitäts- und politischen Risiken werden vernachlässigt. Zukünftige disruptive, klimatische, politisch-regulatorische und technologische Entwicklungen können die Annahmen für Langfristszenarien obsolet erscheinen lassen. Die Berücksichtigung von „Social“- und „Governance“-Kriterien sind noch weiter von der praktischen Umsetzung für die Geschäftstätigkeit von Banken entfernt, als es für den „E“-Aspekt gilt. Die Novelle befasst sich deshalb auch, wie bisher im bankaufsichtlichen Kontext üblich, im Wesentlichen mit den Folgen des Klimawandels. Welche Kriterien sind aber die Richtigen für „S“ und „G“? Welche Datensätze sollen hier verwandt werden? Würden in letzter Konsequenz in Zukunft Kapitalzuschläge gegenüber Banken für die Anleihen von Staaten verhängt, die etwa im Bereich Korruption negativ auffällig sind?

Als Umsetzungstermin hinsichtlich der neu in die MaRisk aufgenommenen Anforderungen gilt eine Übergangsphase bis 01.01.2024. Spätestens ab diesem Zeitpunkt sind die Regelungen zu befolgen.

PRAXISTIPPS

  • Überprüfung des eigenen Geschäftsmodells hinsichtlich der Betroffenheit von ESG-Risiken, aber auch Prüfung von Chancen bei der Erschließung neuer Geschäftsfelder im Zusammenhang mit ESG–Faktoren. Festlegung von ESG-Verantwortlichkeiten in Geschäftsleitungsorganen. Anpassung von Organisationsanweisungen und Prozessen in Bezug auf ESG-Faktoren.
  • Evaluierung des bestehenden Risikomanagementprozesses hinsichtlich ESG-Risiken und gegebenenfalls Anpassung im Hinblick auf bankaufsichtliche Anforderungen. Integration von ESG-Risiken in Risikomodelle und im ICAAP.
  • Prüfung fundierter Szenarien zum Ausmaß klimabedingter Risiken im Wertpapierportfolio und bei Krediten, deren Verwendung für das eigene Institut und Umsetzung in das eigene Geschäftsmodell. 

Beitragsnummer: 22271

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