Freitag, 18. August 2023

Kritische Würdigung der angedachten Harmonisierung des Insolvenzrechts

Die Europäische Kommission hat am 07.12.2022 einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts veröffentlicht.

Karl-Heinz Götze, Leiter KSV1870 Insolvenz

Die Europäische Union will mit dieser Richtlinie den Weg zu einer Vereinheitlichung des materiellen Insolvenzrechtes ebnen. In diesem Beitrag gehe ich ausschließlich auf die „Liquidation von Kleinstunternehmen“ ein, da diese vorgeschlagenen Änderungen massive Auswirkungen auf das europäische und insbesondere auf das sehr gut funktionierende österreichische Insolvenzrecht hätten. Die weiteren Kapitel finden im österreichischen Insolvenzrecht bereits Verwendung (außer dem Pre-Pack-Verfahren), bzw. berücksichtigen im österreichischen Insolvenzrecht zum Teil sogar strengere Fristen.[1] 

Die Ziele, welche durch die Schaffung dieses speziellen Liquidationsverfahrens für Kleinstunternehmen verwirklicht werden sollen, sind insbesondere: 

  • die Steigerung der Effizienz von Insolvenzverfahren;
  • die Verkürzung der Verfahrensdauer;
  • die Senkung der Kosten der Abwicklung.

Österreichs Wirtschaft von kleinen Unternehmen geprägt

Es ist evident, dass, sowohl in Österreich als auch generell in Europa, die Wirtschaft überwiegend kleinstrukturiert ist – es dominieren Kleinst- und Kleinunternehmen. Demnach wären in Österreich rund 90 % der Insolvenzen von dieser neuen Richtlinie betroffen.

Der Vorschlag sieht vor, dass der Schuldner die Insolvenz prinzipiell in Eigenverwaltung abhandelt. Dieses System gibt es in Österreich bereits, es sieht allerdings eine Mindestquote von 30 % vor, zumeist haben die Unternehmen einen Schuldnervertreter an ihrer Seite und ein Insolvenzverwalter überwacht dieses Verfahren in groben Zügen. In dieser Richtlinie ist von alle dem nichts vorgesehen. In der Regel soll kein Insolvenzverwalter bestellt werden, ein solcher soll vielmehr die Ausnahme darstellen. Dies läuft nach unserer Schätzung mehreren Zielen des RL-Vorschlages völlig entgegen – insbesondere im Hinblick auf die Verkürzung der Verfahrensdauer und dem möglichst effizienten Aufspüren von Massevermögen. 

Wie im österreichischen Insolvenzrecht für Privatpersonen soll die Verfügungsgewalt über massezugehörige Vermögenswerte in der Regel im vereinfachten Verfahren für Kleinstunternehmer beim Schuldner verbleiben. Der RL-Vorschlag sieht vor, dass das Gericht von sich aus die Bestellung eines Insolvenzverwalters nicht veranlassen kann. Die Initiative für eine Bestellung kann ausschließlich von einem Gläubiger, einer Gläubigergruppe oder dem Schuldner selbst ausgehen. 

Unklare Vermögenssituation

Gerade in Insolvenzverfahren von Kleinunternehmen ist die Gläubigerstruktur häufig zersplittert. Diese Tatsache spricht massiv gegen die Annahme, dass ein einzelner Gläubiger einen Antrag auf Bestellung eines Masseverwalters bei Gericht stellt und in weiterer Folge einen Kostenvorschuss erlegt. Der einzelne Gläubiger hat ein hohes Kostenrisiko bei einem überschaubaren, erwartbaren individuellen Rückfluss. Ebenfalls ist davon auszugehen, dass der einzelne Gläubiger nicht über notwendige Informationen zur Vermögenslage des Kleinstunternehmens verfügt, um für sich seriös abschätzen zu können, ob die Beantragung eines Insolvenzverwalters für ihn wirtschaftlich sinnvoll ist.

Im RL-Vorschlag ist auch vorgesehen, dass der Schuldner selbst die Bestellung eines Insolvenzverwalters beantragen kann. Das Interesse an der Bestellung eines Insolvenzverwalters wird sich beim Schuldner jedoch in Grenzen halten. Vor allem deshalb, weil sich in der Praxis zeigt, dass Kleinstunternehmer sehr häufig den Überblick über ihre Vermögensituation komplett verloren haben. Dass somit eine unabhängige Person die wirtschaftliche Gebarung der Vergangenheit schonungslos aufdeckt und die aktuelle Situation professionell analysiert, wird in der Regel auf wenig Gegenliebe stoßen. Denn allenfalls deckt ein Insolvenzverwalter sogar pflichtwidriges Verhalten und in weiterer Folge persönliche Haftungen der im Unternehmen handelnden Personen auf. 

Der RL-Vorschlag sieht sohin eigene – wie weitreichend diese immer auch ausfallen mögen – Recherchen des Gerichts in diese Richtung vor. Aktuell ist es eine der Hauptaufgaben eines Insolvenzverwalters ein Inventar zu erstellen. Wenn diese Aufgabe in den Verantwortungsbereich der Gerichte fällt, werden diese dafür kaum Ressourcen haben. Es ist daher zu befürchten, dass die Gerichte alsbald an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen würden und es in weiterer Folge zu keiner Beschleunigung des Verfahrens kommt. Eher das Gegenteil ist zu befürchten. Darüber hinaus wäre eine weitere mögliche Folge, dass derartige gerichtliche Prüfungen als reiner Formalakt ohne jede Schlagkraft ausgestaltet werden würden. Vom RL-Vorschlag nicht vorgesehen: Gläubiger können die Angaben des Schuldners nicht überprüfen.

Verfahrenskosten reduzieren

Ein Hauptziel des RL-Vorschlages, welches durch eine Nichtbestellung eines Insolvenzverwalters verfolgt wird, ist die Reduktion der Verfahrenskosten. Spanien hat bereits ein besonderes Liquidationsverfahren für Kleinstunternehmer ohne generelle Insolvenzverwalterbestellung geschaffen. Es ist bezeichnend, dass in Spanien insolvente Kleinstunternehmer von einer rechtskundigen Person begleitet werden müssen. 

In Österreich gibt es in Insolvenzverfahren keinen Anwaltszwang und es kommt in Spanien – im direkten Vergleich zum aktuellen österreichischen System – offensichtlich zu einer Verlagerung der Kosten. Der Kostenaufwand entsteht nicht im Insolvenzverfahren, sondern in der Sphäre des Schuldners. Durch die Kostenverlagerung wäre niemandem geholfen. 

Die „Belohnung“ eines Insolvenzverwalters wird durch gesetzliche Bestimmungen geregelt und unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Die Kosten eines Vertreters des Schuldners sind einer gerichtlichen Aufsicht hingegen weitestgehend entzogen. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die Kosten eines Insolvenzverwalters in Österreich bei Kleinstverfahren überschaubar sind. In Liquidationsverfahren – ohne langfristige Fortführung eines Betriebes – richtet sich der überwiegende Teil der Kosten nach dem vom Insolvenzverwalter erzielten prozentuellen Anteil des Massezuflusses. 

Im RL-Vorschlag umfasst die Eigenverwaltung des Schuldners auch den weiteren täglichen Fortbetrieb des Unternehmens – obwohl der Schuldner im Vorfeld der Insolvenzeröffnung nicht in der Lage war, sein Unternehmen wirtschaftlich zu führen. Um im Rahmen der Fortführung weitere Nachteile für die Gläubiger hintanzuhalten, braucht es eine engmaschige Kontrolle dieses Fortbetriebes durch den Schuldner. Das werden die Insolvenzgerichte jedoch nicht leisten können. 

Forderungsanmeldung in Österreich bereits jetzt sehr effizient

Nach dem RL-Vorschlag liefert der Schuldner eine Aufstellung mit seinen Verbindlichkeiten. Bleibt der Gläubiger untätig, nimmt er mit jener Forderung am Verfahren teil, die der Schuldner in seiner Aufstellung mit dem jeweiligen Betrag erfasst hat. Der in der Aufstellung erfasste Gläubiger muss dann eingreifen, wenn seine Forderung der Höhe nach falsch verzeichnet wurde. Fehlt der Gläubiger in der Aufstellung des Schuldners, hat er 30 Tage Zeit, seine Ansprüche aktiv anzumelden. Generell wäre das eine Variante, die im Vergleich zum aktuellen österreichischen Verfahren keine Verbesserungen bringen würde. 

Im Gegensatz zu anderen Staaten ist in Österreich die Anmeldung von Forderungen im Insolvenzverfahren durch Gläubiger bereits heute sehr effizient organisiert. Die Gläubiger können sich bevorrechteter Gläubigerschutzverbände bedienen, welche hoch professionell die Gläubiger beraten und die Anmeldung im Verfahren kostengünstig anbieten. Dadurch kommt es zu einer massiven Entlastung der Insolvenzgerichte und der Insolvenzverwalter. 

Anfechtbarkeit soll zurückgedrängt werden

In Insolvenzen von Kleinstunternehmen stellen Anfechtungsansprüche häufig den wesentlichen Massebestandteil dar. Betrachtet man Art. 47, wird schnell klar, dass nach dem vorliegenden RL-Vorschlag die Anfechtung so weit wie möglich zurückgedrängt werden soll. Darin kann man eine Beschneidung von Gläubigerrechten sehen – Stichwort: unklare Vermögenssituation. Dies ist gleichbedeutend mit der Abschaffung der Anfechtung im Sonderverfahren für Kleinstunternehmer. Dazu kommt, dass die Reglungen des Art. 6 zwar zu einem großen Teil den §§ 30 und 31 IO entsprechen, aber die anfechtungskritischen Fristen sind in Österreich mit sechs bzw. zwölf Monaten im Vergleich zu den drei Monaten in Art. 6 länger, und auch notwendig. In Österreich ist eine Anfechtung von unentgeltlichen und diesen gleichgestellten Rechtshandlungen bis zu zwei Jahre vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässig, laut neuer Richtlinie wäre das nur mehr ein Jahr.

Die Verwertung von massezugehörigem Vermögen wird nach dem vorliegenden RL-Vorschlag vom Gericht vorgenommen. Das Mittel erster Wahl ist die Online-Auktion. Andere Veräußerungswege kommen nur in Betracht, wenn es den Umständen nach angemessen ist. Es ist zu bedenken, dass einer erlösoptimierten Verwertung von Massebestandteilen nicht allein durch Einstellung der Assets auf eine digitale Plattform Rechnung getragen wird. Je schneller der Verwertungsprozess durchlaufen wird, desto weniger Masseforderungen sind zu bezahlen.

Praxistipps 

  • Dem vorliegenden RL-Vorschlag sind im Vergleich zur aktuell in Österreich geltenden Rechtslage kaum Maßnahmen zu entnehmen, die zu einer Effizienzsteigerung führen würden. 
  • Allein die Verlagerung von Zuständigkeiten (weg vom Masseverwalter hin zum Insolvenzgericht) bewirkt keine Verbesserung der hierzulande bestehenden insolvenzrechtlichen Abläufe, die sich bestens bewährt haben.

[1] Viele weitere Aspekte der Richtlinie (z. B. eine einheitliche Definition der Zahlungsunfähigkeit; die Möglichkeit, auch jene Insolvenzen verstärkt zu prüfen, die heute mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen werden; die Standardisierung der Verfahrenseröffnung) können in unserer Stellungnahme nachgelesen werden.


Beitragsnummer: 22265

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