Donnerstag, 17. August 2023

Prospekthaftungsgrundsätze

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart


  1. In seiner Entscheidung vom 23.05.2023, XI ZB 30/20 (WM 2023,1415) erinnert der Bundesgerichtshof in einem KapMuG-Verfahren zunächst daran, dass es nicht Aufgabe eines Instanzgerichts ist, einem unbegründeten Feststellungsziel durch eine inhaltliche Abänderung zum Erfolg zu verhelfen, welche im Verfahrensrecht keine Stütze findet. Insofern lasse das KapMuG keinen Raum für inhaltliche Modifikationen, die dem Feststellungziel eine andere Zielrichtung geben. Demgemäß hätten Prospektfehler in Bezug auf etwaige Sondervorteile der Reederei nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nur dann vom OLG geprüft und gegebenenfalls festgestellt werden dürfen, wenn ein Beteiligter ein entsprechendes Feststellungsziel formuliert und das Oberlandesgericht es auf der Grundlage des § 15 KapMuG zum Gegenstand des Musterverfahrens gemacht hätte (Rn. 43), was im konkreten Fall nicht der Fall war.

    Sodann führt der Bundesgerichtshof in Bezug auf die Bestimmtheit sowie die Reichweite von Feststellungszielen aus, dass ein Feststellungsziel nicht derart undeutlich gefasst sein darf, dass der Streitgegenstand und der Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich der Musterbeklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und die Entscheidung darüber, was mit Bindungswirkung für die Ausgangsverfahren feststeht, letztlich den Prozessgerichten der ausgesetzten Verfahren überlassen bleibt (Rn. 52).

    In Bezug auf das im Prospekt erwähnte Bewertungsgutachten hält der Bundesgerichtshof fest, dass der Prospekt keinen Hinweis darauf enthalten muss, dass die Annahme einer uneingeschränkten Nutzung der Schiffe über mindestens 14 Jahre dem Sachverständigen von seinen Auftraggebern vorgegeben worden sei und nichts darüber aussage, ob der Gutachter eine Nutzung der konkreten Schiffe über mindestens 14 Jahre auch tatsächlich für möglich gehalten hat. Im Übrigen weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass der streitgegenständliche Prospekt bei einem Anleger nicht die Erwartung hervorrufe, dass der Sachverständige selbst geprüft und festgehalten habe, dass die Schiffe auch noch über die gesamte avisierte Fondslaufzeit einsetzbar sein würden. Zudem lasse der Prospekt erkennen, dass die Annahme der Nutzungsdauer von der Anbieterin stammt (Rn. 45 f.).

    Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs muss der Prospekt auch keinen Hinweis darauf enthalten, dass der Sachverständige die Schiffe nicht selbst besichtigt habe. Gem. § 9 Abs. 2 Nr. 7 VermVerkProspV. a.F. müsse der Prospekt zudem nur den Namen der Person oder Gesellschaft, die ein Bewertungsgutachten für das Anlageobjekt erstellt hat, das Datum des Bewertungsgutachtens und dessen Ergebnis angeben. Wie wiederum der Gutachter zu diesem Ergebnis gekommen ist, braucht wiederum nach diesen Vorschriften im Prospekt nicht erläutert zu werden (Rn. 48 f.).

  2. In seiner Entscheidung vom 13.06.2023, XI ZB 11/22 (WM 2023, 1418) weist der Bundesgerichtshof ebenfalls wie in seiner vorstehend bereits besprochenen KapMuG-Entscheidung vom 23.05.2023 darauf hin, dass auf den streitgegenständlichen Prospekt gem. § 32 Abs. 1 VermAnlG das Verkaufsprospektgesetz in der vom 01.07.2005 bis zum 31.05.2012 geltenden Fassung anzuwenden ist (Rn. 33). Sodann wiederholt der Bundesgerichtshof seine seit jeher anerkannten Prospektgrundsätze, wonach der Prospekt über alle Umstände, die von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können, sachlich richtig und vollständig unterrichten muss. Dazu gehöre eine Aufklärung über Umstände, die den Vertragszweck vereiteln können, und über solche Umstände, von denen zwar noch nicht feststeht, die es aber wahrscheinlich machen, dass sie den vom Anleger verfolgten Zweck gefährden. Für die Frage, ob ein Prospekt nach diesen Grundsätzen unrichtig oder unvollständig ist, kommt es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht allein auf die darin wiedergegebenen Einzeltatsachen, sondern wesentlich auch darauf an, welches Gesamtbild der Prospekt dem Anleger von den Verhältnissen des Unternehmens vermittelt. Hierbei seien solche Angaben wesentlich, die ein Anleger eher als nicht bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde, wobei auf die Kenntnisse und Erfahrungen eines durchschnittlichen Anlegers, der als Adressat des Prospekts in Betracht kommt und der den Prospekt sorgfältig und eingehend liest und auch lesen muss, abzustellen ist (Rn. 34).

    Unter Hinweis darauf, dass das Totalverlustrisiko an unterschiedlichen Prospektstellen erwähnt ist, führt der Bundesgerichtshof sodann aus, dass entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerden ein Anleger den Hinweisen auf die verschiedenen Risiken und auf das mit ihnen jeweils verbundene Totalverlustrisiko ein wesentliches Gewicht im Rahmen seiner Anlageentscheidung beimisst, da erst sie es ihm ermöglichen einzuschätzen, welche konkreten Risiken die Kapitalanlage birgt und welche Konsequenzen sich für die Anlage im Fall der Risikorealisierung im Einzelfall ergeben. In diesem Zusammenhang weist der Bundesgerichtshof noch darauf hin, dass der Prospekt auch in seiner Gesamtheit nicht das Bild vermittelt, nur der kumulierte Eintritt von Risiken führe zu einem Totalverlust. Vielmehr veranschauliche die gebotene Lektüre des gesamten Abschnitts über die wesentlichen Risiken der Vermögensanlage dem Anleger an mehreren Stellen unmissverständlich, dass bereits die Verwirklichung eines einzelnen Risikos zu einem Totalverlust führen kann (Rn. 38 – 41).

    Hieran anschließend legt der Bundesgerichtshof dar, weswegen der Prospekt in seiner Gesamtheit das an mehreren Stellen dargestellte Totalverlustrisiko nicht verharmlost (Rn. 42 – 45), dass und aus welchen Gründen die Darstellung der „Delay in Start-Up“-Versicherung (Rn. 46 - 50), die Ausführungen im Prospekt zu den Angaben über die der Prognoseberechnung zugrunde liegende Anzahl der Einsatztage der Ölplattform (Rn. 51 – 54) zutreffend sind und deswegen die prognostizierte Anzahl der Einsatztage nicht auf unzutreffenden bzw. nicht vorhandenen Erfahrungswerten beruhen (Rn. 55 – 57).

  3. In seiner Entscheidung vom 13.06.2023, XI ZB 17/21 (WM 2023, 1409), in welcher der Bundesgerichtshof mit einem nach den Regelungen des Verkaufsprospektgesetzes in der bis zum 31.05.2012 geltenden Fassung zu beurteilen hatte, erinnert der Bundesgerichtshof u. a. an seine Prospektprognosegrundsätze, wonach die Prognosen im Prospekt durch Tatsachen gestützt und ex ante betrachtet vertretbar sein müssen. Zudem seien diese nach den bei Aufstellung des Prospekts gegebenen Verhältnissen und unter Berücksichtigung der sich abzeichnenden Risiken zu erstellen. Hänge wiederum ein wirtschaftlicher Erfolg von bestimmten Voraussetzungen ab, deren Eintritt noch ungewiss ist, müsse dies im Prospekt deutlich gemacht werden. Auch bloße Mutmaßungen müssen sich deutlich aus dem Prospekt ergeben. Da die Prognosen nur auf ihre Vertretbarkeit hin zu untersuchen sind, komme dem Prospektherausgeber bei der Auswahl des Prognoseverfahrens und der Informationen, die ihr zugrunde gelegt werden, ein Beurteilungsspielraum zu, der nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt (Rn. 44). In diesem Zusammenhang hält der Bundesgerichtshof noch fest, dass ein Instanzgericht nicht dazu verpflichtet ist, ein Sachverständigengutachten zur Vertretbarkeit der Prognoseangaben im Prospekt einzuholen. Die Frage, ob eine im Prospekt enthaltene Prognose den an sie von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gestellten Anforderungen genügt, erfordere vielmehr, auch was die Vertretbarkeit der Prognose angeht, grundsätzlich nur eine rechtliche Beurteilung (Rn. 48).

    Sodann weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass ein etwaiges Bewertungsgutachten der finanzierenden Bank im Prospekt keine Erwähnung finden muss. Solche Bewertungsgutachten würden vielmehr von der finanzierenden Bank grundsätzlich nur im eigenen Interesse sowie im Interesse der Sicherheit des Bankensystems, nicht dagegen im Kundeninteresse erstellt (Rn. 51).

    Was wiederum den Hinweis im Prospekt auf das Vorhandensein des Fremdfinanzierungsrisikos sowie weiterer Risiken anbelangt, so hält der Bundesgerichtshof fest, dass es für die Darstellung eines Risikos nicht erforderlich sei, dass der Prospekt erläutert, welches Ereignis zur Verwirklichung eines bestimmten Risikos führen kann (Rn. 57).

    Schließlich hält der Bundesgerichtshof fest, dass der Umstand, dass eine Bank bei einer wesentlichen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers oder der Werthaltigkeit einer Sicherheit als milderes Mittel gegenüber der Kündigung gem. § 490 Abs. 1 BGB eine Nachbesicherung verlangen könne, neben der Verdeutlichung des Verlustrisikos nicht gesondert aufklärungspflichtig ist. Dies deshalb, weil dann, wenn die Bank aufgrund vertraglicher Regelungen in bestimmten Konstellationen bspw. zusätzliche Sicherheit oder eine Sondertilgung verlangen kann, das Risiko weiterhin darin besteht, dass es zu einem Totalverlust der Einlage kommen kann, weil der Darlehnsnehmer die zusätzlichen Sicherheiten nicht stelle oder die Sondertilgung nicht leisten kann und die Bank deshalb den Darlehensvertrag kündigt. Eine solche Nachbesicherung ändere daher weder an dem Risiko noch an der Ursache des Risikos etwas (Rn. 58).

Beitragsnummer: 22255

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